Young Euro Classic: Traumgespinste am Gendarmenmarkt
Schnell vergeht die Zeit: 18 Tage Young Euro Classic sind schon wieder vorüber. Eine Rückblick auf feurige Dirigentinnen und tanzende Kobolde.
Es geht sofort weiter: Umstandslos mündet das Finale von Euro Classic ins Musikfest, das am Samstag begonnen hat (siehe Artikel links). Und wenn das vorbei ist, startet die Saison für die großen Orchester und Opernhäuser. Irgendwas ist immer los in der Stadt, Klassikfans können wählen zwischen großen, vielgespielten Namen und Neuem, Unbekanntem, Aufregendem. Felix Berolinum.
Bei Young Euro Classic hat Rachmaninow das letzte Wort. Seine 3. Symphonie, in den USA uraufgeführt und dort unverstanden geblieben, steht als sperriges Abschlusswerk am Ende des Festivals. Wer schon immer wissen wollte, was genau ein Dirigent eigentlich tut, kann es hier schön studieren. Denn das Orchestre Français des Jeunes erkor sich 2015 verblüffenderweise den inzwischen 80-jährigen David Zinman zum Chefdirigenten. Wer sagt, dass das nicht funktionieren kann? Zinman verfeinert die ungestümen Energien, die ihm entgegenschlagen, und würzt sie mit Altersweisheit. Ergebnis: ein sämiger, zugleich biegsamer und edelreifer Sound, der Rachmaninow gut ansteht.
Gautier Capuçon lässt Kobolde tanzen
Für scharfe Abbruchkanten war zuvor Gautier Capuçon zuständig – in Henri Dutilleux Cellokonzert „Tout un monde lointain ...“. Angeraute Spätromantik, deren Spannweite Capuçon mit raffiniertem Strich auslotet. Minimale Druckverlagerungen ändern den Klang radikal, mal singt das Cello selbstverliebt, mal lässt es Kobolde tanzen. Mal raunzt und schnarrt es, dann wieder macht sich Capuçon ganz unhörbar. Und kommt mit all dem Baudelaires Traumgespinsten ziemlich nahe, die Dutilleux in seinem Stück evoziert.
Top-Cellisten hörte man reichlich dieses Jahr, neben Capuçon auch Truls Mørk und Johannes Moser. Überhaupt sind immer mehr internationale Spitzenmusiker zu Gast bei Young Euro Classic: Die Labèque-Schwestern (die allerdings mit ihrem Eröffnungsauftritt enttäuschten), Philippe Jordan, Christian Gerhaher, Christoph Eschenbach und andere. Daneben Überraschungen wie Dirigentin Alondra de la Parra, die mit dem Bundesjugendorchester mexikanisches Feuer entfachte. Aber wäre es nicht mal an der Zeit, Iván Fischers verdiente, fünf Jahre alte Hymne durch eine neue zu ersetzen – zum Beispiel von der Estin Liisa Hirsch, die mit „Mechanics of Flying“ den Europäischen Komponistenpreis gewonnen hat? Wenn schon Fischers Hymne, dann bitte, wie vorgesehen, für Blechbläser. Beim (ansonsten überzeugenden) kasachischen Jugendorchester konnte man hören, was passiert, wenn sie von einem reinen Streicherensemble gespielt wird.
Prekärster und zugleich anrührendster Auftritt im Konzerthaus war der des Arab Youth Philharmonic Orchestra, das unter schwierigsten Bedingungen anreiste. Aber nicht nur dieses Orchester, ganz Young Euro Classic hat ein – in Zeiten von Krieg, Terror und Brexitirrsinn – hochwillkommenes Zeichen für Frieden und Verständigung gegen dumpfen Rechtspopulismus gesetzt. Möge es weiterstrahlen, auch nächstes Jahr.