"Women in Trouble" in der Volksbühne: Traumfrauen in der Röhre
Regisseurin Susanne Kennedy gibt mit „Women in Trouble“ ihren Einstand an der Volksbühne.
Wenn das keine erbauliche Vorweihnachtsbotschaft ist. „I’m on my way to happiness and future“, verkündet eine denkwürdig plastikgesichtige Jeansträgerin in Susanne Kennedys Produktion „Women in Trouble“ in der Berliner Volksbühne. „Unterwegs zu Glück und Zukunft“: Wirklich tiefenentspannt können das wohl tatsächlich nur oberflächenversiegelte Seifenopernheldinnen oder anderweitig ferngesteuerte Avatare von sich behaupten.
Die Protagonistin des Abends, Angelina Dreem, ist irgendwie all das. Und was ganz genau, spielt eigentlich überhaupt keine Rolle. Susanne Kennedy interessiert sich nicht fürs viel beschworene „Menschentheater“. Spätestens seit ihrem Theatertreffen-Gastspiel mit Marieluise Fleißers „Fegefeuer in Ingolstadt“ von den Münchner Kammerspielen vor drei Jahren kennt man sie als Verfechterin einer radikalen Künstlichkeit. Die Schauspieler bewegen sich mit Latexmasken und im Playbackmodus durch stilisierte Szenen und hochartifizielle Settings, die Stimmen kommen vom Band.
Dass die Theaterszene nun diesem Berlin-Einstand der Regisseurin – sprich: Kennedys erster Inszenierung als Mitglied des künstlerischen Teams unter dem neuen Volksbühnen-Intendanten Chris Dercon – mit Hochspannung entgegensah, ist fast noch untertrieben. Abgesehen davon, dass die Regisseurin die stark dezimierte Schauspiel-Fraktion an der „neuen“ Volksbühne repräsentieren soll, ist „Women in Trouble“ auch die erste wirkliche Uraufführung der Saison am Rosa-Luxemburg-Platz. Selbst wenn sich der Abend deutlich von Kennedys eigenem Vorgänger „Hideous (Wo)men“ abstößt, der im Rahmenprogramm des vorletzten Berliner Theatertreffens zu sehen war.
Ein Setting zwischen Wellness und Palliativstation
Verglichen mit dem unfassbar misslungenen Auftakt im Volksbühnen-Haupthaus vor drei Wochen, der in einer Art (Beckett-)Theater-Museum die Avantgarde von vorgestern feierte und maßgebliche frühere Tino-Sehgal-Arbeiten fahrlässig im Pausenfoyer versanden ließ, ist Kennedys Abend nun immerhin eine (handwerklich absolut beanstandungsfreie) Setzung. Auch wenn man sie beileibe nicht mögen muss.
Lena Newton hat der Regisseurin ein parzelliertes Plastikwelt-Szenario irgendwo zwischen TV-Set, Palliativstation und Wellness-Hotel auf die Drehbühne gebaut. Denn TV und Reality, Tod und (Wieder-)Geburt, Homo sapiens und Avatar, First und Second Life – das sind in Kennedys ewigem und ästhetisch entsprechend installativem Kreislauf sowieso keine sinnvoll unterscheidbaren Kategorien. Falls man auf die einigermaßen abwegige Idee käme, diesem Abend so etwas wie eine Kernbotschaft zu unterstellen, dann wäre es das Stückzitat: „Wenn man an der Wiederholung stirbt, ist es doch wiederum sie, die rettet und heilt“.
In jeder Drehbühnen-Abteilung flimmert also mindestens ein Bildschirm, lädt ein Crosstrainer vor bonbonfarbener Wanddekoration zur Beinmuskelertüchtigung ein oder steht ein Kernspintomograf mit offensivem Sonnenbank- Charme bereit. Durch dieses Szenario bewegen sich – maskiert und im identischen Jeans- und T-Shirt-Look – verschiedene Varianten der besagten Heldin Angelina Dreem. Die erscheint unter anderem als Soap-Star der titelgebenden US- amerikanischen Web-TV-Fernsehserie „Women in Trouble“, als Krebspatientin, als Tochter, Schauspielerin und mutmaßlich auch als ihr eigener Avatar oder Zombie. Ist aber eigentlich auch alles egal. Denn genauso flüchtig, sekundär und dezidiert authentizitätsfrei wie solche vermeintlichen Identitäten sind auch die Worte, die in stilechtem Kaugummi-Englisch wechselweise aus den Masken-Mündern der Angelinas oder ihrer Spielpartner geplaybackt werden.
Frauen und Ohrfeigen - auch Sexismen werden thematisiert
Da wechseln sich Selbstoptimierungsgehirnwäsche-Idiome mit Erbauungsbotschaften à la „Ich mag Amerika und Amerika mag mich“ ab, werden permanent esoterische Eskapismen mit Werbefloskeln für „eine auf den post-humanen Konsumenten ausgerichtete Accessoire-Linie“ kurzgeschlossen und sehr nachdrücklich die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischt.
Den Text hat Susanne Kennedy aus Blogs, Fernsehserien, Filmzitaten und anderen verfügbaren Gebrauchssprachfetzen gesampelt: ein Verfahren, das sie selbst als „unkreatives Schreiben“ bezeichnet – und das die zweieinhalb pausenlosen Stunden, in denen sich „Women in Trouble“ über die Drehbühne ergießt, denn auch zunehmend zähflüssig erscheinen lässt.
In einem Videoblog, das die Volksbühne premierenvorbereitend auf ihre Website gestellt hat, bezeichnet Kennedy „Women in Trouble“ als dezidiert „feministisches Stück“. Und tatsächlich werden hier nicht nur T-Shirts mit der Aufschrift „Gender“ getragen, sondern auch leitmotivisch Sexismen thematisiert.
„Schauspielerinnen werden geschlagen, das ist Tradition, das ist nicht erniedrigend“, muss sich Angelina Dreem einmal am Filmset anhören. Kennedys Abend rekurriert hier auf die berühmte Ohrfeigenszene aus John Cassavetes’ „Opening Night“, auf die sich ja auch René Pollesch immer wieder bezogen hat. In dessen Produktion „Liebe ist kälter als das Kapital“ vor zehn Jahren wurde sie zum Startpunkt eines Diskurses über die Tücken der theatralen Repräsentation und Reproduktion.
Dass Susanne Kennedy als Regisseurin stark von den Künstlern der Castorf-Volksbühne geprägt ist, betont sie nicht nur selbst. Man sieht es ihren Arbeiten auch deutlich an, wie an diesem Abend. „Women in Trouble“ spielt stellenweise mit diesen Referenzpunkten und hat insofern – in dieser Zeit und an diesem Ort – durchaus Statement-Charakter: Gegen den Diskurs der Castorf- Volksbühne setzt Kennedy die bewusste Sinnfreiheit oder zumindest Sinnkontingenz. „Zeige deine Wunde“ lauten die letzten Worte der Aufführung: ein Zitat, das sich schon Christoph Schlingensief für seine Arbeiten – namentlich für die Auseinandersetzungen mit seiner Krebserkrankung – von Joseph Beuys geborgt hatte. Kennedy zeigt indes die dezidierte Oberfläche.
Volksbühne, wieder am 2., 3., 10., 23. und 27. Dezember