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Der Schriftsteller Uwe Tellkamp
© Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa

Rückblick auf Uwe Tellkamps "Der Eisvogel": Traum von der konservativen Revolution

Es lohnt sich, aus der Perspektive von gestern auf den Tellkamp von heute zu schauen: Ein Rückblick auf seinen Roman "Der Eisvogel" von 2005.

Als hätte sich das Beben nicht schon vor 13 Jahren angedeutet. Da erfand der Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp für seinen zweiten Roman „Der Eisvogel“ eine rechte Geheimorganisation mit terroristischen Visionen. Während sich Christoph Hein („In seiner fernen Kindheit ein Garten“) oder Leander Scholz („Rosenfest“) noch fiktional mit der RAF abplagten und Kurt Oesterle („Stammheim“) oder Gerd Koenen („Vesper Ensslin Baader“) historische Urszenen nachzeichneten, entwarf Tellkamp mit den Guerilleros von Cassiopeia und deren charismatischem Anführer Mauritz Kaltmeister ein politisches Gegenbild, von dem sich sein junger Protagonist, der gescheiterte Philosoph Wiggo Ritter, angezogen fühlt. Es gibt Hinweise darauf, dass Kaltmeister nicht aus der Luft gegriffen war: Tellkamp begegnete einer ähnlichen Figur wohl während seines Medizinstudiums in Leipzig; er hat sich dazu nie offen geäußert.

Kaltmeisters Gewaltfantasien waren aber nur der erzählerische Brandbeschleuniger. Unheimlicher ist der intellektuelle Kosmos, in den sie eingebettet waren – ein Vorgeschmack auf das, was vergangene Woche im Dresdner Streitgespräch mit Durs Grünbein an deutschnationalem Pathos aus Tellkamp herausbrach. Es ist ein befremdliches Gefühl der Wiedererkennung, die eigene Rezension von damals jetzt noch einmal hervorzukramen.

Antidemokratische Hassreden von Tellkamps Figuren

„Der Eisvogel“, heißt es da, sei „das erste ernst zu nehmende rechte Buch der jüngeren deutschen Literatur, das in einer ursprünglichen Abscheu vor dem ,Morbus 68’ wurzelt. Wahrscheinlich braucht man wie Tellkamp auch zwanzig Jahre DDR im Rücken, um diesen Ekel so ungehindert zu empfinden. Nicht zuletzt das unterscheidet den Roman von jenem Elitismus, der linksadornitisch sozialisierte Autoren wie Botho Strauß zu Einsprüchen gegen das ,herunterdemokratisierte’ Bewusstsein getrieben hat oder Hans Wollschläger zu Tiraden gegen die Dummheit ,In diesen geistfernen Zeiten’.“ Man darf die antidemokratischen und antiliberalen Hassreden, die durch das Buch schwirren, zwar nicht als authentische Äußerungen des Autors betrachten – sie sind durch die Figuren gebrochen. Sie waren Tellkamp aber auch nicht fremd.

„Der Eisvogel“, konnte man schon 2005 feststellen, „ist das Plädoyer für eine konservative Revolution, und zwar für eine, wie sie Hugo von Hofmannsthal 1927 in seiner Münchner Rede über ,Das Schrifttum als geistigen Raum der Nation’ forderte, lange bevor der Begriff von der Neuen Rechten politisch okkupiert wurde. Durch die Nervenbahnen seiner Prosa kriecht die Kälte von Ernst Jünger, der preußische Romantizismus von Ernst von Salomon, aber eben auch die Magie von Friedo Lampe.“ Ein Irrtum war nur der erste Satz: „Wo dieses Buch herkommt, da war lange keiner mehr, und dort, wo es hinwill, wird es einsam bleiben.“ Eben deshalb lohnt es, aus der Perspektive von gestern auf den Tellkamp von heute zu schauen. Lesen Sie hier die gesamte Rezension, die ursprünglich am 16. März 2005 in der gedruckten Ausgabe des "Tagesspiegel" erschien:

Ein Roman nach dem Zeitalter der Ironie

Wo dieses Buch herkommt, da war lange keiner mehr, und dort, wo es hin will, wird es einsam bleiben. Wahrscheinlich behagt Uwe Tellkamp diese Vorstellung sogar, denn der Aufstand gegen die eigene Zeit, den er in seinem zweiten Roman "Der Eisvogel" probt, fleht geradezu um Verachtung durch die Gegenwart. Die Einmütigkeit, mit der sich die öffentliche Neugier darauf stürzt, hat trotzdem etwas Unheimliches, auch wenn sich dafür Gründe finden lassen, literarische wie außerliterarische. Die mediale Aufmerksamkeit gehört Tellkamp spätestens seit letztem Jahr, als er im Abstand weniger Wochen zuerst den Dresdner Lyrikpreis für einen Ausschnitt aus seinem Versepos "Der Nautilus" gewann und dann, mit einer Passage aus dem Roman "Der Schlaf in den Uhren", den Bachmann-Preis beim Klagenfurter Literaturwettbewerb. Für die viel zu oft im Kleinklein von Mädchensorgen und Großstadteinsamkeiten herumstochernde junge deutsche Prosa war er der ersehnte Retter. Unter den Autoren seiner Generation findet sich kaum jemand, der es mit der Sprachmächtigkeit des 1968 geborenen Dresdners aufnehmen könnte, seinen sich über ganze Absätze erstreckenden Erinnerungsgirlanden, in denen die aneinander gereihten Impressionen noch glühen von der Genauigkeit des Beobachtens. Es könnte aber auch sein, dass nicht jeder die Provokation des "Eisvogels" ermisst. Vielleicht ist nicht einmal Tellkamp ganz bewusst, welchen Echoraum er aufgestoßen hat. Und womöglich hat sich die intellektuelle Großwetterlage so verschoben, dass inmitten all des vielfach fragmentierten Sprachzaubers, den Tellkamp anzettelt, seinen manchmal mitten im Satz abbrechenden Poesiewolken, die Gedankenwelt niemanden mehr irritiert.

Eine Provokation schon der tödliche Ernst, mit dem Tellkamp erzählt. "Der Eisvogel" ist ein Roman nach dem Zeitalter der Ironie: ein Bruch mit sämtlichen von einem Augenzwinkern begleiteten Schreib- und Redeweisen, die einem in Fleisch und Blut übergegangen zu sein scheinen. Eine Kriegserklärung an alle, von Heinrich Heine (explizit) bis zu Christian Kracht (unausgesprochen), denen der Sinn für das Heilige und Erhabene fehlt, weil sie "unfähig zur Empfindung (sind), wie all diese superintellektuellen, in Dekonstruktivismus-Seminaren eisgekühlten Kaltschnauzen, die heute den Ton angeben und alles ironisch gebrochen sehen wollen, ohne Pathos vor allem, sie hassen Pathos, weil sie es fürchten, sie hassen Pathos, weil sie die Gefühle dahinter fürchten, ihre Brennkraft, die sie außerstande sind zu ertragen, sie hassen Pathos, weil sie glauben, dass alle Pathetiker Faschisten sind, mindestens aber werden, Idioten, alles muss gebrochen sein, ironisch gebrochen sein".

Eher gefühlte als gedachte Kulturkritik

Der das sagt, Wiggo Ritter, ist ein an der akademischen Karriere gescheiterter Philosoph, der nicht nur der melancholische Protagonist des Buches ist, sondern auch das kulturkritische Sprachrohr seines Erfinders. Tellkamps eher gefühlte als gedachte Kulturkritik wächst sich dabei zu weit mehr aus als der kleinen Gratisempörung über den grassierenden Fernsehschwachsinn, das Formatradio-Einerlei und den Verlust der Briefschreibkunst im E-Mail-Getümmel. "Der Eisvogel" ist das Plädoyer für eine konservative Revolution, und zwar für eine, wie sie Hugo von Hofmannsthal 1927 in seiner Münchner Rede über "Das Schrifttum als geistigen Raum der Nation" forderte, lange bevor der Begriff von der Neuen Rechten politisch okkupiert wurde. Mit der Wirklichkeit hat Tellkamp nicht viel im Sinn, obwohl seitenweise antidemokratische und antiliberale Hassreden durch das Buch schwirren. Selbst ihr rhetorisches Gefäß Mauritz Kaltmeister, der als Anführer des Geheimbundes Cassiopeia die Grenze vom konservativen Revolutionär zum Terroristen längst überschritten hat und Wiggo Ritter auf seine Seite zu ziehen versucht, sieht sich eher als Erlöser über allen historischen Wassern denn als Visionär einer künftigen Gesellschaft. "Befreien wir uns von der Geschichte!", fordert er. "Was wir brauchen, ist ... eine NEUE RELIGION!"

Ritter ist viel zu sehr Ästhet, ja ein sympathisch versponnener Ästhetizist wie Tellkamp, als dass man ihm auch nur eine Sekunde zutrauen würde, sich einer bewaffneten Guerilla anzuschließen. Seine Gegner sind Dichter wie Bertolt Brecht, "was ist das, Leitartikel mit Zeilenbruch, Binsenweisheiten zum Abnicken, kennst du Walcott, Ashbery, Pound, that's lyric, das sind Kap-Hoorn-Fahrer, die sich ins Dunkle wagen, angetreten, dem Teufel ein Ohr abzusegeln, die ins Niebetretene, Ungesicherte fahren". Und es ist die diffuse Ablehnung, die ihm entgegenschlägt: "Ich hasse meine Zeit. Ich hasse sie, weil sie Leute wie mich hasst. Ich glaube, es ist kein Platz mehr für musische Menschen. Hier sind Kräfte am Werk, denen wir, denen Geist, Kunst, Musik etwas bedeuten, ohne die sie sich ein Leben nicht vorstellen können, nicht mehr gewachsen sind." Doch der zentrale Konflikt des Romans ist der zwischen Tatmensch und zergrübeltem Intellektuellen , und Wiggo scheint ihn nur lösen zu können, indem er ein einziges Mal aus seinem Abseits heraustritt. "Yet each man kills he thing he loves", lautet die berühmte Zeile von Oscar Wildes "Ballad of Reading Gaol". Wiggo also erschießt Mauritz. Mit diesem Fall putativer Notwehr beginnt das Buch.

Bildungsaristokratisch unter dekadenten Himmeln

"Der Eisvogel" ist als Rechtfertigung der Tat vor Wiggos Verteidiger angelegt, mit Rückblenden tief in die Vergangenheit, und ergänzt um Zeugenaussagen, die Wiggos und Mauritz' Charakter beleuchten. In Textblöcke so stark zerklüftet, dass man sich beim Lesen nicht nur einmal fragt, wer gerade spricht, pflügt der Roman durch viele Genres. Er bietet einen Thriller, einen Liebesroman (Wiggo verfällt Mauritz' Schwester Manuela) und ein Vater-Sohn-Drama (Wiggos Banker-Papa versucht den Taugenichts zu bekehren). Zugleich wurstelt er sich durch viele Milieus, die Tellkamp gar nicht kennen kann. Mit dem Krankenhausbetrieb ist er als studierter Arzt vertraut, das Universum einer TV-Comedy-Show kennt er schon viel weniger. Das wirklich Ärgerliche ist, dass ihm das Metier seines Protagonisten, die Philosophie, nur unzureichend geläufig zu sein scheint: Viel mehr als Namedropping bringt er nicht zustande. Dafür entsteht eine Bewegung, die überdeckt, wie statisch-weltanschauungshaft es zugeht in diesem Buch und wie sehr Tellkamp seine Figuren mit mehr oder weniger gut verteilten Meinungen behängt.

Er mag von einer Kap-Hoorn-Fahrt über sturmgepeitschte Meere geträumt haben, angekommen ist er in den Gefilden einer Bildungsaristokratie unter dekadenzverhangenen Himmeln: "Gibt es einen Mozart, einen Bach oder einen Richard Wagner unserer Tage?" Durch die Nervenbahnen seiner Prosa kriecht die Kälte von Ernst Jünger, der preußische Romantizismus von Ernst von Salomon, aber eben auch die Magie von Friedo Lampe. "Der Eisvogel" ist das erste ernst zu nehmende rechte Buch der jüngeren deutschen Literatur, das in einer ursprünglichen Abscheu vor dem "Morbus 68" wurzelt. Wahrscheinlich braucht man wie Tellkamp auch zwanzig Jahre DDR im Rücken, um diesen Ekel so ungehindert zu empfinden. Nicht zuletzt das unterscheidet den Roman von jenem Elitismus, der linksadornitisch sozialisierte Autoren wie Botho Strauß zu Einsprüchen gegen das "herunterdemokratisierte" Bewusstsein getrieben hat oder Hans Wollschläger zu Tiraden gegen die Dummheit "In diesen geistfernen Zeiten". Deshalb führt "Der Eisvogel" aber auch nicht weiter. Denn es ist eins, auf dem existenziellen Ernst des Schreibens und Denkens zu beharren. Und es ist etwas anderes, dabei eine Wahl zwischen Pathos und Ironie zu fordern. Dafür ist es nicht nur historisch zu spät. Beides sind Darstellungsformen - auch der letzten Dinge. Tellkamp klammert sich an den Gestus. Das läuft hinaus auf schiere Restauration.

Uwe Tellkamp: Der Eisvogel. Roman. Rowohlt Berlin 2005. 318 Seiten, 19,90 €.

 

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