"Orfeo" von Sasha Waltz: Tränen säen, Gemüse ernten
Sasha Waltz inszeniert an der Staatsoper Monteverdis „Orfeo“ und wagt zu wenig. Das Freiburger Barockconsort spielt wunderbar sachkundig.
Die Entstehung der Oper verdankt sich einem gelehrten Missverständnis. In der Hoffnung, einen Weg für die Wiederentdeckung antiker Dramen zu finden, wurden in exklusiven Renaissance-Akademien Tanz, Theater, Musik, Gesang, Bühnenbild, Kostüme und Licht aufgeboten, um den Geist der Alten aufs Neue zu entfachen. Doch was als umfassende Lesehilfe gedacht war, entwickelte bald ein Eigenleben, das unmittelbar auch die Kräfteverteilung in der neuen Kunstlegierung infrage stellte. Seitdem sucht die Oper nach sich selbst und träumt von einer Einheit, die man viel später einmal Gesamtkunstwerk taufen wird.
Die "Orfeo"-Premiere war letztes Jahr in Amsterdam
Monteverdis „Orfeo“ ist zwar nicht die erste Oper der Musikgeschichte, aber die erste, die die Frage nach dem Verhältnis von Liebe und Tod und Kunst noch heute fesselnd zu formulieren vermag. Darüber hinaus ist die 1607 in Mantua uraufgeführte „Favola in musica“ mit ihrem Musikerhelden auch ein selbstbewusstes Werk, das dem Künstler erlaubt, an den Gang des Schicksals zu rühren und bis ins Reich der Toten einzudringen. Sasha Waltz hat „Orfeo“ zu ihrer sechsten choreografischen Oper erkoren, nach etlichen Stationen seit der Premiere im September 2014 in Amsterdam ist ihre Monteverdi-Interpretation nun an der Staatsoper zu Gast.
Hier war es auch, wo die Choreografin vor zehn Jahren erstmals in die Welt der Oper eintauchte, mit Purcells „Dido & Aeneas“ – und einem riesigen Wasserbassin. Seitdem hat Waltz die Widerstände kennenlernen können, die Opern und Opernhäuser umgeben. Kein Zufall, dass sie sich auf Gegenwartsstücke warf, einen Kreis von vertrauten Partnern aufbaute und beim „Tannhäuser“ einsehen musste, dass Wagnersänger sich nur schwer bewegen lassen. Einen Dialog zwischen Tanz und Musik nennt sie ihre bisherigen Arbeiten für die Opernbühne. Diese Inszenierungen haben in ihr die Sehnsucht nach einer weitergehenden Verschmelzung der Künste geschürt. Kein Zweifel: Sasha Waltz laboriert an einer ernsthaften Operninfektion.
Bei ihrem „Orfeo“ will alles bewegter Raum sein: Die Tänzer sollen auch singen (was bei Monteverdis forderndem Satz nur begrenzt möglich ist), die Sänger auch tanzen (was je nach Talent in Ansätzen gelingt) und die Musiker sich frei bewegen (was bei vielen sitzenden Interpreten naturgemäß wenig wirkmächtig ist). Gleichzeitig muss bei einer Produktion mit vielen Gastspielstationen auch der Schauwert stimmen, bei möglichst überschaubarem Aufwand. Das Ergebnis ist ein Abend, der spannend hätte sein können, wäre er tatsächlich aufgebrochen ins Experimentelle, ins große Monteverdi-Abenteuer.
Blumen und Äste werden umständlich ins Spiel gebracht
Seine Musik trägt alles dafür Nötige in sich: die Freiheit, Gefühlen radikal auf den Grund zu gehen, die Freiheit, keiner trügerischen Harmonie zu huldigen, die Freiheit, ganz außer sich und zugleich ganz bei sich selbst zu sein. Man muss sie sich nur nehmen können. Doch Sasha Waltz wagt viel zu wenig, gibt sich über weite Strecken damit zufrieden, einfach die Handlung zu illustrieren. Man tanzt mit Gemüsen, um Gesichter wie auf den Gemälden von Archimboldo zu arrangieren. Blumen und Äste werden zu umständlich ins Spiel gebrachten und mühsam wieder eingesammelten Requisiten. Selbst beim Bilderausmalen unterläuft Halbherziges wie eine verwackelte Sicht auf den Tod Euridices.
Das zu beiden Seiten der Spielfläche platzierte Freiburger Barockconsort spielt wunderbar sachkundig, schenkt jedem Ritornell einen eigenen Klang, sitzt ansonsten aber da, wie Musiker im Orchestergraben es auch tun würden, Kantinengang der Bläser inklusive. Georg Nigl als Orfeo findet nach anfänglichem Eitelkeitstänzchen musikalisch tief in seine Rolle und berührt immer wieder jenen Bereich, wo Monteverdis Musik wie improvisiert und ganz nah klingt. Anna Lucia Richter ist seine ganz und gar unschuldige Euridice, Charlotte Hellekant kann als Unglücksbotin und Hoffnung ihre große Charakterkunst zeigen. Konstantin Wolff als Unterweltherrscher Plutone gelingt mit seiner Gattin Proserpina (verführerisch: Luciana Mancini) die gewagteste Körperchoreografie, bleibt aber stimmlich angestrengt. Die kleineren Partien sind trefflich besetzt, auch das Vokalconsort Berlin ist ein überaus verlässlicher Partner.
Am Ende drehen sich Tänzer, Sänger und Musiker (sofern sie von ihren Sitzen wegkönnen) zum Klang der Moresca im Kreis. Das sieht nett aus, hat aber nichts von der emanzipatorischen Schönheit, wie sie Pina Bausch einst zu entfachen wusste. Monteverdi selbst schwebte ein finales Bacchanal für seinen „Orfeo“ vor, der Psalm „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten“ sollte nicht das letzte Wort haben. Sasha Waltz hingegen setzt einen der gängigen Barockopern-Inszenierungspraxis folgenden Schlusspunkt. Verschmelzung kann echt öde sein.
wieder am 3., 5. und 6. Juli.