Liebeserklärung an Lichtenberg: Trampelpfade, Sehnsuchtswege
Ode ans Urbane: Die vier Medienkünstler Heinz Emigholz, Harun Farocki, Maria Vedder und Johannes Kochs stellen gemeinsam aus.
Das Liebesgedicht an Lichtenberg muss erst noch geschrieben werden. Die ersten Zeilen aber haben vier Medienkünstler schon einmal verfasst. Unter dem Titel „Moments of Awareness“ zeigen sie in der Kommunalen Galerie des Bezirks ihre Ode ans Urbane: Heinz Emigholz, der im vergangenen Jahr überraschend verstorbene Harun Farocki, Maria Vedder und Johannes Kochs, der den Anstoß zur gemeinsamen Ausstellung gab.
Alle Vier leben und lebten im Victoria-Kiez, jener von Bahndämmen umschlossenen steinernen Insel, ein klassischer Arbeiterkiez, in dem Heinrich Zille seine Milljöhstudien machte. Bis vor Kurzem schien der Boom der aufstrebenden Stadt an ihr vorüberzugehen. Der Krach von der Großbaustelle am Ostkreuz lärmte zwar herüber, aber auf der Riesenbrache, wo einst das Gasometer stand, herrschte noch die Idylle: Hier schlug der Kinderzirkus sein Zelt auf, hier wurde gepicknickt, wurden Ostereier versteckt. Inzwischen sind auch auf diesem letzten freien Fleck Betonwände hochgezogen, ein riesiger Block für 160 Wohnungen, die dem Viertel zahlreiche Neubewohner bescheren.
Maria Vedder erinnert mit ihren „Desire Lines“ daran, wie es davor auf der grünen Wiese war. Ihr Video ist eine lakonische Betrachtung jener Trampelpfade, die einst kreuz und quer durch Büschel und Gestrüpp gingen. Die Wege folgen einer rätselhaften Dramaturgie, ihre Verzweigungen entbehren scheinbar jeder Logik und führen doch geradewegs zum Ziel. Fast wirken sie wie Hieroglyphen, lesbar nur von den Füßen der Bewohner. Die Stadt ist hier noch nicht domestiziert wie in Harun Farockis Video-Installation „Gegen-Musik“, die Bilder aus den Schaltzentralen der Verkehrsüberwachung im nordfranzösischen Lille zeigt.
Auch Heinz Emigholz schweift in die Ferne mit seinem 35-Millimeter-Film „Schindlers Häuser“, der in Los Angeles entstand, wohin es den österreichischen Moderne-Architekten Rudolf Schindler in den zwanziger Jahren verschlug. Menschen sieht man im Film keine, nur die Ansichten der Gebäude, ihr Inneres. Dazu hört man aus der Ferne die Geräusche der Stadt.
Johannes Kochs macht es andersherum. Er kehrt zurück nach Lichtenberg, wo er Menschen seiner Nachbarschaft in stiller Pose vor ihren Geschäften, am Arbeitsplatz, zu Hause filmt: 15 kinematografische Porträts insgesamt. Manchmal lächeln seine Protagonisten oder schauen zwischendurch verlegen weg, dann wechseln sie unruhig Stand- und Spielbein. Prompt beginnt der Betrachter zu raten, was genau sie machen, worin ihre Tätigkeit besteht, wie sie leben, in welcher Verbindung der Filmemacher mit ihnen steht. Menschen, Häuser, Wege – daraus ist die Stadt gemacht. Ob in Los Angeles, Lille oder eben Lichtenberg.
rk - Galerie für zeitgenössische Kunst, Möllendorffstr. 6, bis 15. Januar; Montag bis Freitag 10 – 18 Uhr.