Art Claims Impulse: Stau der Gesichter
Meist reicht schon der Alltag. Etwa die konstruktive Schönheit von Strommasten, die bei näherem Hinschauen längst technische Dinosaurier sind: Was aktuell gen Himmel gebaut wird, ist aus grauem, einfältigen Beton. Videos von Maria Vedder bei "Art Claims Impulse".
Maria Vedder hat ihre Masten im Brandenburger Umland gefilmt. In weiter, einsamer Landschaft, wo wenig geschieht. So wirken ihre Videos, von denen vier auf Flachbildschirmen in einem kleinen Raum zusammengefasst sind, wie still gestellte Bilder. Bis ein Flugzeug den Horizont kreuzt oder der Wind mit dem Weizen spielt. Da aber lauscht der Ausstellungsbesucher der Kreuzberger Galerie Art Claims Impulse längst konzentriert den Tönen von „Susurrus“ (20.000 Euro, 3er-Edition), weil die Künstlerin zusätzlich zum Objekt auch das Brummen jener Stromträger einfängt und verstärkt.
Die Töne suggerieren Gefahr, die Natur dagegen ließe sich ewig anschauen. Ein seltsamer, verstörender Kontrast, der zum Titel von Vedders sehenswerter Ausstellung passt: „Energieverlust“. Sämtliche Arbeiten verhandeln wissenschaftliche Phänomene, die kompliziert zu erklären sind. Um so frappierender wirkt ihre Umsetzung in Bilder, wie sie die Medienkünstlerin und Professorin an der Universität der Künste findet. „Aus dem Nichts“ (38.000 Euro, 3er-Edition) spielt die Chaostheorie in der Nähe des Olympiastadions nach: auf einem runden Platz, den ein gutes Dutzend Autos in einer Endlosschleife befährt.
Vedder setzt das große Motiv – das sie aus dreißig Metern Höhe aufgenommen hat – auf kleinen TV-Schirmen fragmentarisch zusammen. Es fehlen Teile des Autokreises. Und so weiß man nicht, was die Fahrzeuge zu ihren plötzlichen stops and goes bewegt. Bloß dass die hektischen Manöver, abruptes Bremsen und schnelles Aufholen exakt dieselben Mechanismen sind, die auch auf Autobahnen grundlos Staus entstehen lassen.
Ähnlich unerklärlich ist die Gestik jener Menschen, die die Video-Stele „NoSenses“ (18 000 Euro, 3er-Edition) versammelt. Wen immer die Künstlerin als Porträt aus Tageszeitungen geschnitten, grob gerastert vergrößert und zu einem mehrminütigen Film montiert hat, hält sich die Hände vor Mund, Augen und Ohren. Verschließe deine Sinne, wenn es hart kommt. Wenn die Aktien fallen zum Beispiel. Ein Zeichen dafür, dass man nichts mehr hören, sehen, wissen will. Doch es hilft nicht, die Tatsachen sind in der Welt und die Gesten letztlich ein Stück Bühnenzauber. Eine Kommunikation, die sich vordergründig jedem Austausch verweigert. Exakt dieser Widerspruch reizt Maria Vedder, die genau hinschaut, wenig inszeniert. Und andere an ihrem Staunen teilhaben lässt.
Gallery Art Claims Impulse, Lübbener Str. 5; bis 27. 11., Mi - Sa 16 - 21 Uhr.
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