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Blick auf die Kraftwerker in der Neuen Nationalgalerie.
© AFP

Kraftwerk in Berlin, das 8. Konzert: Tour de France: Vorsprung durch Technik

Mit dem "Tour-de-France-Soundtracks"-Konzert haben Kraftwerk ihre achtteilige Konzertreihe in der Neuen Nationalgalerie in Berlin beendet. Wir haben alle acht Konzerte rezensiert. Gerrit Bartels setzt hier zum Schlussspurt an.

Ganz am Ende an diesem Dienstagabend, zum Finale des Berliner Kraftwerk-Marathons in der Neuen Nationalgalerie, als letzte Zugabe, kommt es doch noch: „Autobahn“, das Stück, mit dem Kraftwerk, wie wir sie heute kennen und insbesondere nach eigener Lesart 1974 auf die Welt gekommen sind, mit dem sie berühmt wurden und ihre Ästhetik definierten - und mit dem eben auch am vergangenen Dienstag ihre Werk-Retrospektive, die 3-D-„1-2-3-4-5-6-7-8“-Konzertreihe in Berlin losgegangen war. Ein Kreis schließt sich, so hat es den Anschein, und weniger erschöpft als vielmehr erleichtert verbeugen sich danach die vier älteren Herren Hütter, Schmitz, Hilpert und Grieffenhagen in ihren Gitter-Neoprenanzügen vor ihrem Publikum rechts am Bühnenrand, nachdem sie bei der vorherigen Zugabe „Musique Non Stop“ schon alle einmal einzeln abgegangen und mit Applaus bedacht worden waren.
Aber schließt sich hier wirklich ein Kreis? „Tour de France Soundtracks“ ist das letzte originäre Album, das Kraftwerk an diesem Abend zunächst vorstellen. Es stammt von 2003, nachdem sie fünfzehn Jahre nichts Neues veröffentlicht hatten, und verbindet den frühen Kraftwerk-Sound, also den der siebziger Jahre, mit dem Sound der Techno-House-und Rave-Ära. Weitflächige Arrangements, Synthiegeblubber, flimmernde Strings, manchmal eben auch ordentlich viel Beats per Minute, dazu die gewohnten, stumpf monoton vorgetragenen Ein- und Zwei-Wort-Texte, „Elektro-Kardiogramm“ oder „Minimum, Maximum, Beats per Minute“. Oder „Carbone Aluminium“, das sich auf „Cadre Titanium“ reimt. „Tour de France Soundtracks“ klingt modern und zeitgemäß – und ist vielleicht doch das altbackenste Album der Band, zumindest gemessen an den Standards elektronischer Musik der zehner Jahre dieses Jahrhunderts.

Kraftwerk mit einer Dreiviertelstunde Intro

Wer in den Genuss gekommen ist, Kraftwerk dieser Tage zwei- oder dreimal zu sehen, dürfte bemerkt haben, dass es hier keine wirklichen Kreisschlüsse gibt, dass die Mensch-Maschine immer schön linear gearbeitet und musiziert hat, auf dem immer gleichen, durchaus hohen qualitativen Niveau. Es war also auch bei diesem achten Kraftwerk-Konzert wieder sehr schön gewesen. Auffallend dieses Mal allerdings: das lange, fast eine Dreiviertelstunde dauernde „Tour-de-France-Soundtracks“-Intro, bei dem Kraftwerk nicht nur die Variationen des Stücks „Tour de France“ spielen, sondern auch „Vitamin“, „Aero Dynamik“ und „Elektro Kardiogramm“.

Und hier fällt auch auf, dass Hütter inhaltliche zeitgenösssiche Aktualisierungen doch nur sehr selektiv vorgenommen hat. Anders als bei „Radioaktivität“, das Hütter in Vocals und Visuals mit den Namen von Kernkraftwerksunglücksorten von Sellafield bis Fukushima versehen hat, fehlt dieser Agit-Pop-Zugang ausgerechnet bei einem Stück wie „Vitamin“ völlig. Von Epo oder Cortison keine Rede, immer wieder nur Kalium, Calcium, Eisen oder Magnesium. Das kann man werktreu nennen, was Kraftwerk letztendlich nicht sind, weil sie vieles aus ihrem bei Werk bei dieser Werk-Retro doch auslassen - oder einfach nur naiv. Ralf Hütter will sein Hohelied auf den Radsport halt nicht mit Misstönen versehen.. Der Rest ist das bekannte elektronische Malen nach Zahlen, das Best-of-Programm, das man sich gern gefallen lässt - und sich sicher auch noch in zehn oder zwanzig Jahren anschaut. Ein Museum hat seine Vorteile, und die Stones oder einen Kurt Cobain, wenn er denn noch lebte, möchte man dort nicht sehen. Mit Maschinen und elektronischer Musik lässt sich jedenfalls ganz gut alt werden.

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Gerrit Bartels

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