Volksbühne: Tim Renner will am 30. April Castorf-Nachfolger vorstellen
Lange hat er geschwiegen, am 30. April soll es soweit sein: Dann will Kulturstaatssekretär Tim Renners Chris Dercon offiziell als Nachfolger Frank Castorfs als Leiter der Volksbühne vorstellen. Und der neue soll noch viel mehr: Nämlich den Flughafen Tempelhof bespielen.
Die Proteste häufen sich, sie werden lauter. Theaterintendanten nah und fern kritisieren die Absicht des Berliner Senats, die Volksbühne nach der Ära Castorf in eine Art Festivalhaus umzuwandeln. Kulturstaatssekretär Tim Renner hält indessen an seinen Plänen fest. Sie gehen nach Informationen dieser Zeitung weit über die Volksbühne hinaus. Von einem neuen Produktions- und Veranstaltungsverbund ist die Rede. Tim Renner will offenbar einen ganz großen Coup aus der Tasche ziehen – am 30. April. Dann ist er ein Jahr und zwei Tage im Amt.
Chris Dercon soll die Volksbühne im Sommer 2017 übernehmen
Chris Dercon, der Direktor der Tate Modern in London, soll am Donnerstag der nächsten Woche als künftiger Chef der Volksbühne und Nachfolger Frank Castorfs vorgestellt werden. Dercon übernimmt demnach das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz im Sommer 2017. Viele Beobachter wundern sich, was ein Museumsmann und Kurator in einem Theater verloren hat. Dercon soll, wie Renner bereits mehrfach erklärte, von Bühnenspezialisten flankiert werden. Und er soll, das ist die dicke Überraschung, Teile des Flughafens Tempelhof bespielen. Im Gespräch sei eine Biennale oder Triennale, heißt es in Theaterkreisen. Dabei spielt der Tanz eine wichtige Rolle. Es sind die Namen der Choreografen Anne Teresa de Keersmaeker und Boris Charmatz gefallen, die in Berlin bereits mit den Festspielen und dem Hebbel am Ufer kooperieren.
Da deuten sich heiße Konkurrenzkämpfe zwischen Einrichtungen des Landes Berlin, aber auch des Bundes an. Zumal der Senat, wie zu hören ist, den Etat der Volksbühne um 5 Millionen Euro auf 22 Millionen Euro im Jahr erhöhen will. Auf die Reaktionen der anderen Bühnen darf man gespannt sein.
Tim Renner sucht das große Wagnis
„Die Volksbühne war immer der Ort, an dem Berlin sich selbst definiert hat. Als eine Stadt, die auch in den Künsten vorgegebene Grenzen überwindet“, sagte Renner in einem Interview mit der „FAS“. Tempelhof ist so etwas wie ein Schicksalsort für Berlin und den Senat, in jeder Beziehung. Ein Denkmal erinnert dort an die Luftbrücke, das Referendum gegen die Bebauung des Flugfelds lässt sich als politisches Exempel begreifen – gegen bürgerferne Politik oder überhaupt gegen Wachstum und Veränderung in der Stadt. Zuletzt hat es mit der Vermietung der Gebäude an diverse Eventveranstalter nicht mehr so recht geklappt.
Da soll es nun die Volksbühne richten. Es wäre das erste Theater mit Abfertigungshalle und Naherholungsgebiet. Renner sucht das große Wagnis und scheint zu hoffen, dass sich Geschichte wiederholen lässt. Anfang der Neunziger, als Castorf die Volksbühne übernahm, war sie eine heruntergespielte Bude, hässlich, ohne Zukunft. Wie Tempelhof. Es war ein wildes Abenteuer, als der Senat seinerzeit Frank Castorf das Riesenhaus übergab.
Nur dass Tempelhof ein wenig größer ist als die Volksbühne und die Stimmung in Berlin heute eine andere; man ist bürgerlicher geworden, satter. Das Hauptproblem aber bleibt: Tanz, Performance, Musiktheater, Festivals, all die Mischformen gibt es bereits in Hülle und Fülle in Berlin, eine Kunst-Biennale auch. Das Tempelhofer Feld ist freilich schon mal von Künstlern bebaut worden – als Matthias Lilienthal seinen Abschied vom HAU inszenierte. Jetzt wird er Chef der Münchner Kammerspiele und mischt doch wieder mit in Berlin. Mit Dercon versteht er sich gut, und er ist bisher der einzige Intendant, der Renner unterstützt. Der Berliner Theaterkampf ist nicht vorbei, er beginnt jetzt erst richtig.