Regisseur Ken Loach im Interview: "Theresa May ist Cameron in Rock und Stöckelschuhen"
Die nächsten Wochen werden den Werdegang Großbritanniens bestimmen, meint Ken Loach. Der britische Filmemacher zum Brexit, den Versäumnissen Europas und seinem Wunsch nach Klassenkampf.
Mister Loach, Sie hofften auf einen Verbleib Ihres Landes in der EU – aber nicht um den Status quo zu wahren, sondern um ihn zu verändern. Wie das?
Für uns Linke ist die EU-Mitgliedschaft reine Taktik. Die EU ist ein neoliberales Projekt, das den Multinationalen dient und die Arbeiterklasse unterdrückt. Schauen Sie doch mal, wie die EU mit Griechenland umging – eine Schande! Ich kann mich mit dieser EU nicht identifizieren. Das Problem des Austritts ist jedoch die Narrenfreiheit, die ein solcher für die britische Regierung bedeutet.
Es gibt keine Kontrolle von außen mehr.
Ganz genau. Ich fürchte, dass die Regierung nun weiter nach rechts abdriftet. Investoren und Multinationale wird man mit Steuersenkungen locken, während die öffentlichen Ausgaben stark gekürzt werden. Ich rechne mit einer strikten Sparpolitik und einer Abschwächung vieler Arbeitnehmerrechte und Naturschutzregelungen. Als EU-Mitglied geht das nicht so einfach. Ich hatte auch gehofft, dass man innerhalb der EU eine starke Linksfront aufbauen könnte, um das Projekt Europa zu retten.
Der „Guardian“-Kolumnist Owen Jones forderte die europäische Linke kürzlich dazu auf , die Euroskepsis wieder für sich zu beanspruchen und sie nicht den Rechten zu überlassen.
Die britischen Medien sind äußerst rechts und euroskeptisch, was zur Folge hat, dass man Euroskepsis nur noch mit den Rechten in Verbindung bringt. Sie gehört aber ebenso zum Programm der Linken, nur werden diese Stimmen selten gehört. Euroskepsis steht oft in Verruf – das war nicht immer so.
Sie hat Tradition in Großbritannien, vor allem bei der Arbeiterklasse und den Gewerkschaften, die die EU als Bedrohung empfanden.
Natürlich lehnt die Linke die neoliberale Agenda der EU ab, das heißt aber nicht, dass wir nicht mit anderen europäischen Ländern kooperieren wollen, ganz im Gegenteil. Das Konzept der EU ist gut, die Umsetzung miserabel. Deshalb brauchen wir eine Alternative.
Glauben Sie, dass es der Arbeiterklasse beim Referendum um die Ablehnung der derzeitigen EU ging oder darum, sich vor Immigration zu schützen?
Ich fürchte, Letzteres war ein wichtiger Faktor bei den „No“-Wählern. Die Zeitungen predigen, dass die Migranten an allem schuld sind, natürlich entwickelt sich da ein Klima der Angst. Der Arbeiterklasse fehlt seit Jahren die politische Interessenvertretung. Labour hat sie im Stich gelassen, viele sind den Rechtspopulisten ins Netz gegangen. Es wäre aber falsch, die Schuld komplett auf die Arbeiter zu schieben. Auch die gutbetuchte Mittelklasse hat Großbritannien austreten lassen.
Die linksliberale Presse macht aber weiterhin die Arbeiterklasse verantwortlich und wirft ihr Engstirnigkeit und Rassismus vor.
Die rassistische Arbeiterklasse, das ist ein Mythos. Natürlich gibt es schwarze Schafe, aber die Abgehängten werden in diesem Land dämonisiert. Einerseits warnt man stets vor ihrem Einfluss auf die Politik, andererseits gibt es keine Partei, die sich für sie engagiert.
Könnte denn die Kultur ein Gegengewicht zu den Medien sein und die Bürger über die politischen Verhältnisse informieren?
Da habe ich meine Zweifel. Ich glaube nicht, dass Literatur oder Filme große politische Umbrüche bewirken können, dazu fehlt ihnen der Einfluss. Gesellschaftspolitische Filme oder Bücher sind nicht gerade Massenprodukte, die Boulevardzeitungen schon. Die öffentliche Diskussion geht immer noch von den Medien aus und die driften zunehmend an den rechten Rand. Wir erleben die „Produktion des Konsens“, wie Noam Chomsky es nannte.
Sie selber sind doch das Paradebeispiel dafür, dass kontroverse, politische Filme sehr erfolgreich und einflussreich sein können.
Das ist eine teils selektive Wahrnehmung. Meine Filme sind erfolgreich, aber bei den Zuschauerzahlen können sie nicht mit Hollywood-Blockbustern konkurrieren. Ich will auch nicht, dass sie am ersten Wochenende Rekorde brechen und dann in Vergessenheit geraten. Sie sollen langfristig Bestand haben und Menschen inspirieren.
Überrascht es Sie, dass die britischen Kulturschaffenden sehr zurückhaltend auf die jetzige Situation reagieren?
Leider nein, die Künstler von heute sind Thatchers Kinder. Sie wuchsen in einer Gesellschaft auf, die nicht daran glaubte, dass es eine Gesellschaft gibt. Es gibt eine kulturelle Gegenbewegung, und viele junge Künstler nehmen sich der aktuellen Probleme an. Aber es ist schwieriger als in den achtziger Jahren, als man mithilfe von Musik und Film versuchte, Margaret Thatcher etwas entgegenzusetzen.
Ist die jetzige Lage mit der Ära Thatcher zu vergleichen?
Das Land ist wieder tief gespalten, aber unter Thatcher war es deutlich schlimmer. Sie zerstörte den Wohlfahrtsstaat und nötigte Millionen von Bürgern, in Armut zu leben. Auch jetzt befinden wir uns wieder auf dem Weg ins Chaos, und es gibt wenig Hoffnung, dass jemand das Ruder herumreißt. Labour-Chef Jeremy Corbyn hat Potential, aber er wird von seiner eigenen Partei gerne sabotiert.
Und was erwarten Sie von der neuen Premierministerin Theresa May?
Gar nichts. Sie ist David Cameron in Rock und Stöckelschuhen. Sie hat sich immer für die Interessen des Kapitals eingesetzt und wird dieser Linie treu bleiben. Die nächsten Wochen werden womöglich den politischen Werdegang Großbritanniens auf Jahrzehnte hinaus bestimmen – und alle machen einfach weiter wie gehabt. Das kann nicht gutgehen. Ich will einen politischen Klassenkampf um unsere Zukunft, aber die Linke entwaffnet sich leider gerade selber.