Theatertreffen in Berlin: Theatertreffen 2018: Laut und furchtbar unsicher
Jedes Wort ein Ausrufezeichen: Die Stücke des Theatertreffens kreisten auffällig um sich selbst. Die Fantasie fehlte, dafür wurde mal wieder ausgiebig gebrüllt. Ein Fazit.
Zufall oder Vorsehung? Das eindrücklichste Gastspiel, die wirklich bemerkenswerte Inszenierung der vergangenen Wochen hatte mit der Auswahl der Theatertreffen-Jury nichts zu tun. Es war auch keine deutschsprachige Produktion. Es kommt eben, wie es kommt – ein Blitz, dessen Strahlkraft noch lange nachleuchtet. Simon McBurneys Solo-Performance „The Encounter“ war am Pfingstwochenende in der Schaubühne zu erleben, ein Hightech-Kunstwerk von tiefer Humanität, eine Erzählung über Grenzerfahrungen und die Grenzen der Zivilisation. Und des Erzählens.
McBurneys Stück liegt die Geschichte eines US-Fotografen zugrunde, der im Amazonasgebiet bei dem Stamm der Mayoruna strandet. Sie leben in einer eigenen Weltzeit und führen einen verzweifelten Kampf gegen die Ölkonzerne, die immer weiter in den Dschungel vordringen. McBurney hebt, wie die Ureinwohner, Raum und Zeit auf. Er spielt mit Kunstkopf-Technik und schafft Bildströme, die im Kopf des Zuschauers oder besser des Zuhörers explodieren.
Solo-Performer McBurney hebt unsere Wahrnehmung aus den Angeln
Minimalistische Show, maximale Wirkung: McBurneys Auftritt ist so erhellend, weil er – wie so viele Inszenierungen des Theatertreffens – über das Theater und seine Möglichkeiten reflektiert. Doch bei ihm ist es keine bloße Selbstbezüglichkeit, vielmehr ein Weg, sich einer unwahrscheinlichen Story zu nähern, die die Pforten unserer Wahrnehmung aus den Angeln hebt. Außerdem demonstriert der britische Regisseur, Autor, Schauspieler mit seinem Théatre de Complicité einen souveränen, witzigen Umgang mit dem elektronischem Spielzeug; es ist eine Bereicherung.
Ganz anders präsentiert sich Karin Henkels „Beute Frauen Krieg“. Ohne Kopfhörer ist diese Inszenierung vom Schauspielhaus Zürich nicht zu verfolgen; das ist aber auch die einzige Gemeinsamkeit mit „The Encounter“. Denn die Technik, die den Besucher ja isoliert, fügt einer bestenfalls durchschnittlichen Griechenklassikeraufführung nichts hinzu und lenkt nur ab von der Fantasiearmut der Regie. Die Helena des Trojanischen Kriegs als Vorstadt-Marilyn – peinlich! Die fette Beschäftigung hauptsächlich mit sich selbst, darin ist Frank Castorf der King. Er gab mit dem für ein Riesengeld ins Haus der Berliner Festspiele verpflanzten „Faust“ den Ton an. Auf die Besucher mit Gebrüll!
Die Regler sind voll aufgedreht, das prägt den Stil
Beim Fernsehkanal CNN ist zu beobachten, wie bei den Werbeblöcken die Lautstärke zunimmt. Werbung für Airlines, Investitionsziele und für den Sender selbst ist automatisch lauter als das eigentliche Programm. Also ist die Werbung das Programm. Die Regler voll aufgedreht, geschrien, monologisiert! Das hat Konsequenzen, prägt den Theaterstil. Ein Dialog ist bei dieser Dezibelstärke nicht mehr möglich. Viele Akteure stehen frontal zum Publikum und ballern Text ins Parkett – beispielhaft in Falk Richters Inszenierung „Am Königsweg“ aus Hamburg. Volle Dröhnung mit autoliterarischen Arschbomben von Elfriede Jelinek. Es sind hermetische Satzreihen, die auch bei geringerer Lautstärke kaum einen Austausch erlauben.
So groß ist die Verunsicherung, dass sich die Theaterleute permanent anranzen oder Mut zubrüllen. Wer wagt es einmal, eine Geschichte zu erzählen, einen dramatischen Text auszuloten, einen Charakter zu entwickeln? Auch eine hochgelobte Inszenierung wie Michael Thalheimers „Endstation Sehnsucht“ am Berliner Ensemble – wählbar für das nächste Theatertreffen – kommt ohne ausgedehntes Geschrei nicht aus.
Niemand spricht mit dem anderen. Jedes Wort ein Ausrufezeichen. Der Atem reicht nur noch aus für einen Tweet. Ständig wird gesendet und nicht empfangen. Das Individuum in Vorwärtsverteidigung, pausenlos. Da war der letzte Abend dieses Berliner Theatertreffens nur konsequent, Joachim Meyerhoffs Power-Solo „Die Welt im Rücken“ vom Wiener Burgtheater, nach dem Roman von Thomas Melle. Ein kranker Mensch, manisch-depressiv, im Gespräch mit sich selbst. Die Welt rückt immer weiter weg, der Kokon wird dichter.