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Alles Pfusch! Herbert Fritsch im Haus der Berliner Festspiele neben Kultursenator Klaus Lederer.
© dpa/Jörg Carstensen

Theatertreffen in Berlin: Theaterpreisträger Herbert Fritsch

Das Berliner Theatertreffen eröffnet mit einem starken Tschechow, den "Drei Schwestern" aus Basel. Und es feiert am Sonntag seinen neuen Berliner Theaterpreisträger Herbert Fritsch.

Lange gab es keine so intelligente, gut gebaute Tschechow-Inszenierung mehr wie Simon Stones „Drei Schwestern“ vom Theater Basel. Lange hat auch keine Theatertreffen-Eröffnung solche Kraft aus dem Spiel heraus entwickelt. In den beiden Jahren zuvor fielen die Inszenierungen von Karin Beier und Nicolas Stemann durch ihre politische Botschaft auf, nicht durch schauspielerische oder ästhetische Originalität. Hier klagt jetzt einmal eine der Schwestern, sie habe gern was machen wollen für Flüchtlinge, sei aber vorm Fernseher hängen geblieben. Die kleine Szene tut sehr, sehr weh, sie sitzt und sagt mehr als stundenlang ausgewalzte Jelinek’sche Textflächen.

Simon Stone, der 1984 in der Schweiz geborene australische Regisseur, hat mit dem Basler Ensemble einen vollkommen neuen Text erfunden, der Tschechow gefährlich nahe kommt. Großer Auftaktsbeifall zur Theatertreffen-Eröffnung im Haus der Berliner Festspiele: für eine junge Truppe von Schauspielerinnen und Schauspielern, die sich reinhängen, die aufeinander eingespielt sind und den Namen Ensemble verdienen.

Das Stück heißt zwar „Drei Schwestern“, es dreht sich aber um vier Geschwister und deren Anhang und eine ganze Palette von Möglichkeiten, sich unglücklich zu machen. Tschechows Menschen sind Meister der Illusion und der Selbstzerstörung. Kein Dramatiker zeigt es härter: Man hat das Leben in der Hand, kann selbst entscheiden, und es geht schief. Und dann läuft das traurige Gemetzel bei Tschechow auch noch als Komödie.

Tschechow und die Generation der Serien-Dauergucker

Es ist nach Peter Stein, Peter Zadek und Jürgen Gosch ein neuer, junger Tschechow. Frisches Leid, neue Lust auf Fatalitäten. Diese narzisstischen Wesen gehören zur Generation der Serien-Dauergucker. Irina, Mascha, Olga, Andrej usw. stecken fest in einem Ferienhaus, in dem der Geist des toten Vaters spukt. Lizzie Clachan, die Bühnenbildnerin, hat einen verschachtelten Kasten gebaut, ein Domizil mit vielen Fenstern, ein cooles Architekten-Ego-Haus. Es zieht die vielen kleinen und am Ende großen Katastrophen wie beiläufig an. Eine kurze Drehung, und man blickt in eine andere schiefe Existenz.

Die Schauspielerinnen (v.l.) Liliane Amuat als Irina, Franziska Hackl als Mascha und Barbara Horvath als Olga in Simon Stones Basler Version der "Drei Schwestern". Das Stück eröffnete am Samstag das 54. Berliner Theatertreffen.
Die Schauspielerinnen (v.l.) Liliane Amuat als Irina, Franziska Hackl als Mascha und Barbara Horvath als Olga in Simon Stones Basler Version der "Drei Schwestern". Das Stück eröffnete am Samstag das 54. Berliner Theatertreffen.
© dpa/Sandra Then

In einem Zimmer wohnt die Tragödie, nebenan passiert Banales. Simon Stone komponiert diese Arien und Auftritte zu einer rasenden Sprechoper. Anfangs irritiert das Schnell- und Dauersprechen über die Mikroports, nervt der ungeheure Redezwang und Mitteilungsdruck (ohne dass diese Typen sich viel zu sagen hätten). Und plötzlich gerät der Zuschauer in den Sog, den Tschechow-Maelstrom. Motive aus der „Möwe“ und dem „Kirschgarten“ blitzen auf. Kein Wort ist noch „original“ Tschechow, aber darunter liegt der ganze Lebensvorrat: gebrochene Herzen, Verzweiflung, Tod, und immer weiter so.

Es war eine gute Idee, am zweiten Tag des Theatertreffens auch gleich den Berliner Theaterpreis 2017 an Herbert Fritsch zu verleihen. Die Theaterpreisfeier – zum 30. Mal! – wird immer ein Theaterfest. Herbert Fritsch ist mit „Pfusch“, seinem Abschied von der Volksbühne, zum Theatertreffen eingeladen. Die Preiszeremonie am Sonntagmittag im Haus der Festspiele war ebenso lustig. Und ebenso bitter-melancholisch.

Statt Laudatio: Probieren, was sich alles mit den Namen "Herbert" anfangen lässt

Am Samstagabend, als mit den Baslern das Theatertreffen begann, gastierte die Volksbühne in Siegen mit „Die spanische Fliege“. Sieben Stunden Heimfahrt im Bus, und am andern Tag stehen die Schauspieler in Victoria Behrs knallig-knackigen Kostümen vor dem Holz-Glas-Haus der „Drei Schwestern“ und probieren, was man alles mit dem Wort Herbert anfangen kann. Nicht Dieter Roths „Murmel“ oder Konrad Bayers „Karl“, sondern Fritschs Herbert. Herr Bert. Zum Flüstern, Brüllen, zum Umfallen. Komisch. Wolfram Koch, Sebastian Blomberg, der Musiker Ingo Günther. Alle da. Die ganze Familie. Dreißig hyperaktive Gratulanten.

Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, erinnert an Claus Peymann, der vor einigen Jahren mal gesagt hat, Fritsch sei kein Regisseur, aber ein guter Schauspieler. Große Heiterkeit im voll besetzten Theater. Frank Castorf kommt ans Rednerpult und sagt, er habe natürlich keine Laudatio vorbereitet, ist nicht sein Ding. Er erzählt, wie sie sich einst in München trafen, bei Lessings „Sara Sampson“. War 1990 beim Theatertreffen ein Skandal. Castorf redet vom Alter – wie Fritsch mit seinem extremen Körperspiel dagegenhält. Castorf spricht kurz. Früher hielt er Fidel-Castro-Reden, stundenlang. Er bedankt sich, dass Fritsch so viel Publikum gebracht und die Volksbühne gerettet hat. Fritsch sei dort mehr geliebt worden, als er selbst es wissen konnte.

Basler Theaterschneeflocken fallen auf Herbert Fritschs Haupt

Auch Kultursenator Klaus Lederer spricht mehr von der Volksbühne („Da droht etwas verschüttzugehen“) als vom Preisträger, und Herbert Fritsch kann es ohnehin nicht vermeiden. Wie auch? 25 Jahre Volksbühne, das ist ein Theaterleben. Er sei nicht bitter, alles geht vorbei, und doch fasst ihn das Ende dort hart an. Mit Geld sei die Erfahrung nicht aufzuwiegen. (Der Theaterpreis ist mit 20 000 Euro dotiert.) Und dann schneit es, wie bei Tschechow. Dicke Basler Theaterschneeflocken fallen auf Herberts Fritschs Haupt. Da wirkt der große Komiker mit seinem Jungenlächeln schmal und ein bisschen verloren.

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