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Schauspielerin Carolin Erdmann und Florian Stiehler, kommissarischer Intendant des Theaters an der Parkaue.
© Doris Spiekermann-Klaas

"Wenn jemand sagt, er wurde diskriminiert, dann glauben wir das": Theater-Mitarbeiter müssen Antidiskriminierungsklausel unterschreiben

Das Theater an der Parkaue spielt wieder – und hat mit einer Antidiskriminierungsklausel auf Rassismus-Probleme im Haus reagiert.

Wer das Gebäude betritt, muss eine Maske tragen und seine Adresse hinterlassen. Sind die Plätze im Innenhof des Theaters an der Parkaue erreicht, darf das Publikum aber wieder frei atmen. Nach 83 Tagen Coronapause hat das Kinder- und Jugendtheater als erste staatliche Bühne in Berlin wieder den Spielbetrieb aufgenommen. 

Gezeigt wird „Maria Stuart“ von Friedrich Schiller, auf einem großen Teppich im Innenhof, bei Tageslicht, zu Vogelgezwitscher und anderen Nebengeräuschen. Als ein Flugzeug vorbeibrummt, schauen die Schauspieler nach oben, als gehöre dies zum Stück.

Die Königin von Schottland wird gerade verurteilt. Die Zuschauer sitzen verteilt auf einzelnen Stühlen. Auch die Schauspieler halten Distanz zueinander, spielen mitunter mit den Abstandsregeln, wenn beispielsweise Briefe übergeben werden müssen: Sie beugen sich weit vor oder ziehen sich Handschuhe an.

Seit dem 2. Juni dürfen in Berlin unter Einhaltung der Corona-Regeln zwar wieder Veranstaltungen in geschlossenen Räumen für 150 Personen durchgeführt werden – das gilt aber nicht für überwiegend öffentlich geförderte Theaterhäuser. 

Bei den Proben ist immer eine Ärztin anwesend

Laut Verabredung der Kulturminister wurde die Saison 2019/ 2020 eigentlich für beendet erklärt. Unter freiem Himmel jedoch können Veranstaltungen mit bis zu 200 Zuschauern stattfinden - vorausgesetzt, die Abstands- und Hygieneregeln lassen sich einhalten.

Carolin Erdmann, die die Königin Elisabeth spielt, berichtet im Gespräch, dass bei den Proben immer eine Ärztin anwesend war und begutachtete, ob Vorgaben beachtet wurden. Die Inszenierung von Albrecht Hirsche wurde pandemiegerecht umgearbeitet: Es gibt weniger Auf und Ab der Darstellerinnen und Darsteller, weil die sich dabei nahekommen könnten. 

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Schminken müssen sich die Mitwirkenden selbst: Die Maskenbildner geben Anweisungen und Tipps, dürfen aber nicht selbst Hand anlegen.

„Durch den Abstand ergeben sich vollkommen neue Situationen auf der Bühne“, erzählt Erdmann. Sie müsse sich noch an das entfernte und auseinandersitzende Publikum gewöhnen. „Ich wollte in die Menge schauen, aber konnte nur zu einem Mann blicken, also wirkte es, als würde ich mit ihm reden.“

„Vor der schwarzen Wand sieht man dich ja gar nicht mehr“

Die aktuelle Spielzeit ist bald zu Ende. Aber auch danach heißt es am Theater an der Parkaue: Abstand einhalten. Als erstes Theater in Deutschland hat das Kinder- und Jugendtheater eine Antidiskriminierungsklausel beschlossen. Alle 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen diese juristische Dienstvereinbarung unterschreiben.

Im April 2018 hatte die Schauspielerin Maya Alban-Zapata das Theater verlassen, weil sie die rassistischen Diskriminierungen ihrer Kollegen nicht mehr ausgehalten hatte. Sie war bei den Proben die einzige Frau in der sonst weißen Männerbesetzung. Theoretische Auseinandersetzungen über die Verwendung rassistischer Wörter im historischen Kontext waren in rassistische Praxis übergegangen. 

Die Proben sollen eine Art Stammtisch-Atmosphäre gehabt haben. „Vor der schwarzen Wand sieht man dich ja gar nicht mehr“, soll ein Kollege zu Alban-Zapata gerufen haben, berichtete die „taz“ ein Jahr später, als der Fall öffentlich wurde.

Abmahnung für den Intendanten 

Regisseur Volker Metzler, 2018 stellvertretender Intendant des Theaters, soll die Schauspielerin ebenfalls mit rassistischen Sprüchen adressiert haben. Er bekam eine Abmahnung und verließ 2019 das Theater an der Parkaue. Wenig später verließ auch der langjährige Intendant Kay Wuschek das Haus. 

Es starteten Förderprogramme für Diversitätsentwicklung, eine Stelle für eine Diversitätsagentin wurde geschaffen. Florian Stiehler kam 2018 als Geschäftsführender Direktor an die Parkaue und wurde, nach dem Abschied von Wuschek, zum kommissarischen Intendanten ernannt.

„Beim Thema Rassismus sollte die deutsche Mehrheitsgesellschaft zuhören“

Stiehler spricht jetzt von einem Lernprozess, den nicht nur sein Theater, sondern die ganze Gesellschaft durchleben müsse. „Der Prozess der Aufarbeitung und Auseinandersetzung läuft noch“, so Stiehler. 

Der Mord an George Floyd in den USA verdeutliche noch einmal, wie wichtig es ist, sich damit zu beschäftigen. „Beim Thema Rassismus sollte die deutsche Mehrheitsgesellschaft zuhören.“

Bei dem Fall um Maya Alban-Zapata sei einer der Fehler des Theaters gewesen, der Schauspielerin nicht vollständig geglaubt und Vorfälle nicht sofort aufgeklärt zu haben. „Beim Wort Rassismus gehen viele Leute schnell in eine Abwehrhaltung“, sagt Stiehler. „Man muss aber zuhören.“ 

Die Mehrheitsgesellschaft hat nicht die Perspektive, um alleine beurteilen zu können, ob Rassismus vorliege. „Wenn jemand sagt, er wurde diskriminiert, dann glauben wir das. Seit diesem Jahr gibt es mit der Antidiskriminierungsklausel nun auch eine juristische Grundlage dafür.“

Nach rassistischer Diskriminierung gibt es drei Möglichkeiten zur Auswahl

Bisher hat noch kein Mitarbeiter von der Klausel Gebrauch gemacht. Sollte ein Fall eintreten, gibt es keine Beweislast, keine Vermutungsregel: Die Theaterleitung ist vertraglich verpflichtet, innerhalb einer festgelegten Zeitspanne zu reagieren. 

Dann gibt es drei Möglichkeiten: entweder einen Workshop zur Klärung des Falls mit allen Beteiligten der betroffenen Probe sowie der Agentin für Diversität und dem Personalrat, eine Mediation mit den an dem Vorfall Beteiligten oder eine Empowerment-Maßnahme für den betroffenen Mitarbeiter.

„Als Schauspieler musst du manchmal an Grenzen gehen, auch emotional. Aber es muss Grenzen geben, jemand muss 'stopp' rufen können“, meint Stiehler. Schauspielerin Carolin Erdmann ergänzt: „Und dann darf man nicht gleich als Zicke oder ‚schwierig' dargestellt werden, sondern muss ernst genommen werden.“ 

Sie sieht in der Antidiskriminierungsklausel ein Zeichen in die richtige Richtung. Die Belegschaft habe angefangen, anders miteinander zu reden.

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