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Wegen Terror in der Zelle. Der Kampfpilot Lars Koch (Timo Weisschnur) hat Menschen getötet, um Schlimmeres zu verhindern.
© dpa

Von Schirach am Deutschen Theater: "Terror": Freispruch mit 255 zu 207 Stimmen

Ein Kampfpilot tötet 164 Menschen, um 70 000 zu retten – richtig so? Ferdinand von Schirachs „Terror“ befragt am Deutschen Theater das Publikum.

Mit aufgeräumter Miene sitzt Lars Koch, Kampfpilot der Bundeswehr, in seiner Strafverhandlung. Er ist des 164-fachen Mordes angeklagt. Koch (Timo Weisschnur) hatte – gegen den Befehl seiner Vorgesetzten – im letztmöglichen Moment ein von Terroristen gekapertes Passagierflugzeug abgeschossen, das Kurs auf die ausverkaufte Münchner Allianz-Arena nahm.

Und nun wird auf der Bühne des Deutschen Theaters Berlin im Stil einer Gerichtsverhandlung erörtert, ob der Kampfpilot tatsächlich 164 Menschen töten durfte, um 70 000 zu retten: Kann man, rein quantitativ, Leben gegen Leben aufwiegen? Oder degradiert man – wie Staatsanwältin Nelson (Franziska Machens) argumentiert – den Homo sapiens damit nicht zum bloßen Objekt und somit zu einer Verhandlungsmasse, die weitere ethisch problematische Fragen gleich zu Dutzenden nach sich zieht?

Für das Stück existieren zwei Schlüsse: Das Publikum muss mit einer Art Hammelsprung entscheiden, ob Lars Koch freigesprochen oder verurteilt wird. Die Saaltüren – auf der Hälfte steht „schuldig“, auf der anderen „unschuldig“ – dienen nach der Pause der Abstimmung.

Am Premierenabend herrscht unter den Hobby-Entscheidungsträgern im DT-Parkett eine immens hohe Promi-Dichte. Denn „Terror“ stammt vom Bestsellerautor und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach: Es ist sein erstes Theaterstück. Weshalb auch gleich eine „Doppel-Uraufführung“ anberaumt wurde: Zeitgleich zur Berliner Premiere in der Regie von Hasko Weber brachte Oliver Reese „Terror“ am Schauspiel Frankfurt/Main heraus. Weitere 14 Theater sitzen bereits in den Startlöchern, um das Stück in den nächsten Monaten nachzuinszenieren. Selbstredend sind auch die Filmrechte schon verkauft.

Ob es sich bei von Schirachs well-made Text im Stile US-amerikanischer Gerichtsdramen deshalb gleich um „das bemerkenswerteste neue Stück der Spielzeit“ handelt, wie die Zeitschrift „Die Deutsche Bühne“ vorab enthusiasmiert jubelte, darüber lässt sich definitiv streiten. Aber seine Genre-Ziele erfüllt „Terror“ tadellos. Sachkundig wird die spontane Anwaltschaft für den Angeklagten an ihre juristischen wie moralphilosophischen Belastungsgrenzen geführt, Anleihen bei Immanuel Kant inklusive: ein Gedankenexperiment in nüchtern-analytischem Ton – auf welchen Webers Uraufführung allerdings nur bedingt vertraut.

Vielmehr wird das Geschehen im DT leicht emotionalisiert. Thilo Reuters Bühne besteht aus einem kargen grauen Kasten mit Handwaschbecken: Lars Kochs U-Haft-Zelle. Und so ist leider auch zu befürchten, dass es sich bei den teilweise arg naiv illustrierenden Videoprojektionen (Daniel Hengst) auf der hinteren Bühnenwand um Kopfinhalte des Angeklagten handeln soll: Flugzeuge, Bordkarten, das hohe Gericht übergroß, schließlich Grafiken und Flugsimulationen wie aus einem Computerspiel.

Dieser subjektiven (Koch’schen) Wahrnehmungsperspektive ist es wohl auch geschuldet, dass die enorm schnelldenkende junge Staatsanwältin in ihrer Leutseligkeits-Performance den Vernehmungspartnern gern vertraulich die Hand auf die Schulter legt und ihre Interessen notfalls mal mit einem aparten kleinen Kreisch-Stampf-Anfall durchsetzt.

Davon abgesehen hat Hasko Weber den Text nicht nur deutlich gestrafft, sondern auch die Rollen des vorsitzenden Richters und der Verteidigung (Aylin Esener) weiblich besetzt. Der Konflikt zwischen praktischen Entscheidungserfordernissen in (militärischen) Ausnahmesituationen und der juristischen Prinzipien-Welt wird so, wenig zielführend, von einer seltsamen Art Geschlechterdiskurs überlagert. Wenn etwa in der Vernehmung des Bundeswehr-Zeugen Lauterbach (Helmut Mooshammer) durch die vorsitzende Richterin (Almut Zilcher) in erster Linie nicht zwei Funktions- beziehungsweise Thesen-Träger aufeinandertreffen, sondern ein Macho, wie er im Klischee-Buche steht, und eine in dessen Perspektive per se weltfremd im sicheren Hinterland hockende Frau, verkleinert das jedenfalls die Dimension.

Das Berliner – wie parallel auch das Frankfurter – Premierenpublikum sprach den Angeklagten übrigens mit knapper Mehrheit frei. Im DT wurden 255 zu 207 Stimmen gezählt.
Wieder am 6., 16., 22. Oktober, 20 Uhr

Christine Wahl

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