Ausstellung in der Akademie der Künste: Tanz mit mir!
„Schwindel der Wirklichkeit“: Die Akademie der Künste untersucht in einer großen Gruppenausstellung Lug und Trug der Bilder. Zugleich wird damit die dritte Berlin Art Week eröffnet.
Das Bild ging um die Welt. „The Situation Room“, aufgenommen am 1. Mai 2011 von Peter Souza, dem offiziellen Fotografen im Weißen Haus, zeigt Barack Obama und seinen nationalen Sicherheitsstab, wie sie auf dem Monitor die Tötung von Osama Bin Laden verfolgen. Schon damals bewegte die Gemüter: Was ist echt, was gestellt? Was sehen die Mitglieder der US-Regierung wirklich in diesem Moment, was sehen wir?
Der Medienkünstler Franz Reimer dreht den Spieß um. Er baut den Situation Room nach, ähnliche Stühle, ähnlicher Tisch, aufgeklappte Laptops und Pappbecher. Nur nimmt jetzt der Ausstellungsbesucher Platz und schaut an jene Stelle, wohin einst Hillary Clinton mit schreckensgeweiteten Augen blickte: zum Bildschirm, wo er allerdings nicht die Militäraktion im Nahen Osten sieht, sondern sich selbst.
Reimers Closed-Circuit-Videoinstallation ermächtigt den Betrachter, ins Bilderspiel einzusteigen, und führt ihm zugleich vor, wie manipulativ die Aufnahmen sind. Nehmen Sie Platz auf Obamas Sessel, reißen Sie die Hand erschrocken zum Mund wie damals Hillary Clinton. In dieser Welt sind die Akteure austauschbar. Der große Schwindel.
Die Berliner Akademie der Künste versucht seit anderthalb Jahren, der Frage nach der Wirklichkeit und ihrer Manipulierbarkeit auf den Grund zu gehen. Welche Möglichkeiten der Widerständigkeit gibt es, wie reagieren Künstler auf das Dilemma? Zu diesem Zweck taten sich die Sektionen Musik, Film, Kunst in einem „Metabolischen Büro zur Reparatur der Wirklichkeit“ zusammen, das 32 Mal im Foyer am Hanseatenweg tagte, um etwa die Unsichtbarkeit der Finanzkrise zu diskutieren, die Zukunft transhumaner Figurationen oder das Wesen des Homo ludens digitalis. Sowohl der Titel des akademischen Denkerklubs als auch dessen Themen klingen eher abschreckend. Doch im Ergebnis entstand daraus eine kluge, unterhaltsame Ausstellung, mit einem Riesenprogramm.
„Schwindel der Wirklichkeit“ versammelt sowohl historische Werke der Sechziger von Nam June Paik bis Bruce Nauman als auch neueste Entwicklungen der Netzüberwachung und öffnet einen Horizont für jenen unsichtbaren Raum, von dem wir immer noch wider besseres Wissen hoffen, dass er die Wahrheit birgt. Die Schau ist damit am Ende das gewichtige Statement geworden, mit dem sich die Berlin Art Week angemessen eröffnen lässt, der 2014 ansonsten die thematische Klammer fehlt. Jedem der zwanzig Art- Week-Partner – von der Nationalgalerie über das Haus der Kulturen bis zur nominierten Produktionsgalerie – war es freigestellt, sich etwas für die fünf tollen Tage im September zu überlegen. Allein das Veranstaltungssignet, ein rosa Kreis, vereint ihre Angebote zum gemeinsamen Event.
Da fehlt etwas im Vergleich zum vergangenen Jahr, wo die Malerei aufs Schild gehoben wurde; erst 2015 wollen sich die großen Institutionen auch wieder inhaltlich zusammentun. Glücklicherweise hat die Ausstellung „Schwindel der Wirklichkeit“ das Zeug, die losen Fäden zu verknüpfen; insofern passt die Akademie der Künste zugleich als Ort für die Eröffnungsparty der Berlin Art Week am Dienstagabend.
Mit der Digitalisierung, der Schaffung künstlicher Bilder, beschäftigt sich in den Kunst-Werken auch Kate Cooper, die am Samstag den Preis der Schering-Kunststiftung erhält, mit der Macht und ihrer Aura Luca Vitone, der im Neuen Berliner Kunstverein seine olfaktorische „Skulptur“ präsentiert. Die Bezüge muss der Art-Week-Besucher diesmal selber finden.
Welche Gefahren hinter Bildern lauern, welche Schönheit sie trotzdem besitzen, zeigen die Aufnahmen von Trevor Paglen, der über eine Distanz von 18 Meilen mit hoch gerüstetem optischem Gerät einen offenen Hangar in der flirrenden Hitze der Wüste fotografierte. Zusammen mit der Installation „Ernste Spiele“ des kürzlich verstorbenen Harun Farocki offenbaren sie die Abgründe einer militärischen Technik, die nur noch mit abstrakten Zielen operiert und die alle konkreten Folgen ausblendet. Wäre es nur zum Lachen komisch wie bei Björn Melhus, der sich in einem Video-Cutout als „Headhunter“ porträtiert: Der Künstler hat eine Holzstellage mit seiner Silhouette gebaut, auf die er den eigenen Körper ohne Kopf projiziert. Den hält er statt dessen am Schopf in der Hand, lustig kauend. Der Besucher darf sich hinter den Aufsteller platzieren und der Figur sein eigenes Gesicht leihen.
Überhaupt scheint die Partizipation das Mittel der Stunde, um der Irreführung zu entgehen oder zumindest mitzuspielen. Der dänische Künstler beschert seinen willigen Akteuren, die sich Kopfhörer mit gesprochenen Instruktionen aufsetzen, heitere Momente. „Mit jeder Zahl machen Sie eine andere Bewegung“, fordert die freundliche Stimme auf – und alle machen mit, werden zu Performern. Zum Amüsement des Publikums beginnen mitten in der Ausstellung plötzlich Besucher zu tanzen oder ihre Arme wild zu schlenkern. Tino Sehgal geht in seiner choreografierten Interaktion „This is Exchange“ weiter. Er schickt geschultes Personal auf den Besucher los, mit dem reizvollen Angebot, jedem den Eintrittspreis zur Hälfte zu erstatten, der sich auf eine Diskussion zum Thema Marktwirtschaft einlässt. Schöner Warentausch.
Vom Besucher zum Teilnehmer und schließlich User ist es da nur noch ein kleiner Schritt. In den Hallen 1 und 2 laden Videospiele zum Mitmachen ein: etwa jenes von Marguerite Duras inspirierte „Bientôt l’été“, in dem sich zwei Lichtjahre voneinander entfernte Liebende zu finden suchen; in Wirklichkeit trennt sie nur eine Wand. Oder „Frontiers“, das die Situation von Flüchtlingen an Europas Grenzen reinszeniert. Das ist nicht zynisch, sondern eine Realität. Auch wenn den Besucher ein Schwindel erfasst, wenn er sich dieser simulierten Wirklichkeit stellt.
Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, bis 14. Dezember; Di bis So 11 – 19 Uhr. Kein Katalog. Programm: www.adk.de