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Antonio Canova ließ sich von antiken Fresken zu Kompositionen anregen wie dieser aus dem Jahr 1799, „Die Grazien und Venus tanzen vor Mars“ (Tempera auf Papier).
© Museo e Gipsoteca Antonio Canova, Possagno (Treviso)

Canova im Bode-Museum: Tanz für die Ewigkeit

Canova liebte das Ballett. Er fertigte Skulpturen von Tänzerinnen an. Das Berliner Bode-Museum zeigt diese weiche Seite des Klassizismus in seiner großartigen Ausstellung „Canova und der Tanz“.

Das makellose Weiß des Marmors ist ein Kennzeichen der klassizistischen Skulptur. Von Winckelmann leitet sich das Ideal der reinen Helligkeit des Steins her, das im Klassizismus – jener Kunstrichtung, die zwischen dem ausgehenden 18. und dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts bestimmend war – seine vielfache Ausprägung erfuhr. Zwei Bildhauer dominieren die europäische Szene, der Däne Bertil Thorvaldsen und der Italiener Antonio Canova. Ihr gesamteuropäischer Ruhm erwächst auf dem Hintergrund der napoleonischen Zeit, in der die Grenzen der europäische Staaten gewaltsam aufgehoben und verschoben werden und eine ungekannte Mobilität die wohlhabenden und die gebildeten Stände erfasst. Neben Paris als neuer Welthauptstadt der Kunst bleibt Rom der Ort, auf den alle Kunstinteressierten blicken.

Canova (1757–1822), aus Possagno im nördlichen Veneto gebürtig, kommt über das Studium in Venedig und einen Aufenthalt in Neapel mit Besuch der antiken Ausgrabungen am Vesuv nach Rom, wo er sich als Bildhauer etabliert und bald bedeutende Aufträge erhält. Den Zenit seines Ruhms erlebt er unter Napoleon, für den und dessen Familie er im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts arbeitet. Zugleich entstehen immer wieder Büsten bedeutender Männer der Zeit und natürlich Figuren aus dem Kosmos griechischer Götter- und Heldensagen. Einen besonderen Aspekt seiner Arbeit jedoch bildet der Tanz; ihm widmet das Bode-Museum jetzt eine ganz erstaunliche Ausstellung mit einem halben Dutzend Skulpturen und zahlreichen Zeichnungen und farbigen Temperablättern.

Zeitlose Schönheit der Marmorskulpturen

Erstaunlich ist die Ausstellung allein schon deshalb, weil Ausleihe und Transport von Skulpturen eine heikle Angelegenheit sind. Dennoch ist es gelungen, aus dem Canova-Museum in dessen Heimatstadt Possagno ein Gipsmodell – anstelle des verlorenen Marmors – und aus der St. Petersburger Eremitage eine Marmorskulptur auszuleihen. Sie bilden mit den beiden Berliner Skulpturen sowie einem ebenfalls in Berlin beheimateten, römischen Fragment eine wunderbare Gruppe im Bode-Museum – im Saal der italienischen Barockskulptur unmittelbar an der Stadtbahntrasse, wo der gedämpfte Lärm der vorbeifahrenden Züge einen reizvollen Kontrast zur zeitlosen Schönheit der Marmorskulpturen bildet.

Alles aber in der stilsicher arrangierten Ausstellung führt auf die Berliner Skulptur der lebensgroßen „Tänzerin mit Zimbeln“ von 1812 hin, die als glückliche Erwerbung des Jahres 1982 für die damals erhebliche Summe von viereinhalb Millionen D-Mark schon im Alleingang den Klassizismus Canovas repräsentieren könnte, hier aber mit der anderthalb Jahrzehnte früher entstandenen „Hebe“, der griechischen Mundschenkin der Götter, ein ideales Paar bildet. Als Hebe gehört die bereits 1825 von König Friedrich Wilhelm III. erworbene Skulptur nicht eigentlich zum Thema des Tanzes, obgleich sich in ihrer anmutigen, vom Boden fast losgelösten Haltung die gleichen Bewegungsmuster zeigen. Der Berliner Tanz wird vervollständigt durch das Gipsmodell der koketten „Tänzerin mit dem Finger am Kinn“ aus Possagno sowie die gleichzeitig geschaffene „Tänzerin mit den Händen in den Hüften“, die die Petersburger Eremitage in einem kulturpolitischen Schachzug ihres diesbezüglich meisterhaften Direktors Michail Piotrowsky herlieh, ohne zunächst danach überhaupt gefragt worden zu sein.

Feminine Seite des Klassizismus

Erstaunlich ist die Ausstellung aber auch durch die zahlreichen farbigen Blätter, die Canova in freier Interpretation der in Pompeji und Herculaneum gesehenen römischen Fresken für sich gemalt hat, und die den Bildhauer als einen exquisiten, Proportion und Bewegung souverän beherrschenden Zeichner zeigen. Der fast drei Meter breite, friesartige „Markt der Putten“ von 1798/99 geht zurück auf die vierzig Jahre zuvor in Stabiae entdeckte – und später von Goethe bedichtete – Darstellung einer Amouretten-Verkäuferin. Hier zeigt Canova einen ganzen Katalog von Bewegungen, im schönen Ausstellungskatalog zu Recht als „Inszenierung eines Balletts“ bezeichnet. Canova war ganz und gar ballettbegeistert, und bereits in seinen „Reisetagebüchern“ von 1779/80 schildert er zahlreiche, von ihm in Neapel, Rom und Florenz besuchte Opern und Ballette.

In Rom, wo er ein großes Atelier unterhielt, liebte er Spaziergänge in den Stadtteil Trastevere, „um die Mädchen aus dem Volk tanzen zu sehen“, wie sein römischer Freund und Kollege Antonio d’Este berichtet.

Die „Tänzerin mit dem Finger am Kinn“ schuf Canova übrigens für den russischen Botschafter in Wien, Graf Rasumowsky, während die Tänzerin aus der Eremitage ursprünglich von der ersten Gattin Napoleons, Joséphine de Beauharnais, in Auftrag gegeben worden war. Es gibt weitere Skulpturen Canovas für russische Auftraggeber, wie überhaupt der Klassizismus zum dominierenden Stil des nach dem Sieg über Napoleon sich erneuernden russischen Kaisertums wurde. Die Tänzerinnen zeigen die weiche, feminine Seite dieses Klassizismus, und wie es im Katalog heißt, „verkörpern die drei Tänzerinnen Canovas Ideal weiblicher Anmut“.

Von Idealen ist die Kunst unserer Zeit denkbar weit entfernt. Umso schöner, dass sich im Bode-Museum für eine begrenzte Zeitspanne ein Fenster geöffnet hat, das in eine andere, beseeltere Vorstellungswelt hineinblicken lässt.

Bode-Museum, bis 22. 1., Di–So 10–18., Do 10–20 Uhr. (Deutschsprachiger) Katalog im Verlag Terra Ferma (Treviso), 25 €.

Bernhard Schulz

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