Im Kino: "Werk ohne Autor": Süßigkeiten für Geschichtsblinde
Florian Henckel von Donnersmarck macht eine Episode aus dem Leben Gerhard Richters zur Grundlage seines Films „Werk ohne Autor“ – ohne die Kunst des Malers zu verstehen.
„Alles, was wahr ist, ist schön“, lautet das Credo des Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck. In „Werk ohne Autor“, frisch gekürt als deutscher Oscar- Kandidat 2019, fällt der Satz gleich zweimal: erst als Anrufung, dann als Reprise. Es sagt ihn die Tante des kleinen Kurt Barnert nach ihrem gemeinsamen Besuch der Ausstellung „Entartete Kunst“. Der Junge soll nur von den Besten lernen: Kandinsky, Picasso, Klee, hier ist die gesamte Kunstmoderne versammelt.
Tante Elisabeth, gespielt von Saskia Rosendahl, stirbt später durch das NS-Euthanasieprogramm, gewissermaßen als Strafe für ihren exquisiten „entarteten“ Kunstverstand. Kurts Tante war auf der Suche nach der „Weltformel“, dem epiphanischen Moment der Erkenntnis absoluter Schönheit. Sie erlebt ihn dann aber doch nur auf einem Parkplatz, beim Hupkonzert der örtlichen Buskolonne. Kurt hingegen wird aufsteigen zum Starkünstler der jungen Bundesrepublik.
Die Pathosformel vom Wahren und Schönen ist reichlich abgegriffen, sie verrät allerdings einiges über den Kunstbegriff des Regisseurs. „Werk ohne Autor“ ist eine fiktionalisierte Künstlerbiografie, der Film bezieht sich auf ein Kapitel im Leben Gerhard Richters, von dem dieser selbst jahrzehntelang nichts wusste.
2004 veröffentlichte Jürgen Schreiber im Tagesspiegel einen Artikel über die unglaubliche Geschichte von Richters Schwiegervater Heinrich Eufinger, der im „Dritten Reich“ Karriere als Gynäkologe der NS-Eliten gemacht hatte. Als Direktor der Frauenklinik in Dresden war er auch in das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten involviert. Im selben Krankenhaus wurde 1944 Richters Tante Marianne zwangssterilisiert, bevor sie in der Anstalt Großschweidnitz starb. Der Artikel lieferte Schreiber die Grundlage für die Biografie „Ein Maler aus Deutschland. Gerhard Richter – Das Drama einer Familie“, auf die sich Henckel von Donnersmarck – sehr frei – bezieht.
Parallele Geschichten von Tätern und Opfern
Schicksalshafte Verstrickungen vor dem Hintergrund deutscher Geschichte sind Henckel von Donnersmarcks großes Thema. In „Das Leben der Anderen“ greift ein Stasi-Spitzel als Schutzengel in das Leben eines Dissidenten ein, ohne die Tragweite seiner Tat zu überblicken. Auch in Richters Biografie verlaufen Täter- und Opfergeschichte parallel: 1965 „zermalt“ er mit seiner charakteristischen Wischtechnik ein Foto von seiner 14-jährigen Tante und sich als Baby, ein Jahr zuvor entstand bereits das Bild eines Schnappschusses mit seinem Schwiegervater: „Familie am Meer“. Ebenfalls 1965 reproduzierte Richter per Wischtechnik ein Zeitungsfoto von der Verhaftung eines Leiters der NS-Euthanasiebehörde, Werner Heyde. Die drei Bilder korrespondieren in Richters Werk auf unheimliche Weise.
Die Wischbilder der Tante, des Schwiegervaters und des NS-Täters stehen in „Werk ohne Autor“ am Ende einer Selbstfindung der Richter-Figur Kurt Barnert (Tom Schilling): als fotorealistische Montage, eine gemalte Mehrfachbelichtung. Er erfindet in seinem Atelier an der Kunstakademie Düsseldorf gerade seine „Signatur-Technik“, als Schwiegervater Professor Carl Seeband (Sebastian Koch) – auf den Titel legt er noch wert, als die Russen ihn am Kriegsende aus seinem zerbombten Krankenhaus abführen – hereinplatzt. Fassungslos starrt der Arzt, der sich durch drei politische Systeme (das NS-Regime, die DDR und die Bundesrepublik) laviert hat, auf die Arbeit, die unbewusst die Kontinuität der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert offenlegt. „Meine Bilder sind klüger als ich“, hat Richter zu Jürgen Schreiber gesagt, Kurt wiederholt den Satz. Richter allerdings, so muss man wohl konstatieren, war damals schon klüger als dieser Film 50 Jahre später.
Der Schlüsselmoment der modernen Kunst interessiert Henckel von Donnersmarck weniger hinsichtlich seiner ästhetischen Charakteristik, so uninspiriert wie er den Schaffensprozess in Szene setzt. Sondern als symbolische Geste: der Verdichtung von deutscher Geschichte, in der es dunkel raunt. Das gilt auch für den Soundtrack von Max Richter – als zum Beispiel der Führer, schemenhaft in der Rückansicht, in seiner Limousine durch ein Spalier deutscher Mädels gleitet.
Befangen in der Selbstergriffenheit
„Werk ohne Autor“ ist über weite Strecken befangen in seiner Selbstergriffenheit, der Überwältigung von der Geschichte. So macht sich der Regisseur selbst klein, trotz hochtrabender Ansprüche: Sein Film kommt am symbolträchtigen 3. Oktober in die Kinos. Henckel von Donnersmarck schätzt ganz offensichtlich aber nur die handwerkliche Virtuosität Richters, weniger dessen erstaunlich nüchternen Blick auf Nachkriegsdeutschland. „Ich mache keine Aussagen, ich mache Bilder“, sagt Kurt auf einer Pressekonferenz. Er, seine Frau Ellie (Paula Beer), Seeband, der Joseph Beuys nachempfundene Antonius van Verten (Oliver Masucci), der in Düsseldorf Kurts Mentor wird, sie alle sind Kippfiguren: reale Personen mit unscharfen Ausläufern in die Fiktion. Anders als bei Richter erhellen diese biografischen Unschärfen aber nicht die Wahrnehmung, die tatsächliche Verfasstheit der jüngeren deutschen Geschichte, die „Werk ohne Autor“ in drei Stunden zusammenzurrt. Sie verwischen vielmehr die Spezifika der einzelnen Systeme. Henckel von Donnersmarck nimmt sich, was ihm in sein Geschichtsbild passt.
Nur so lässt sich die höchst unseriöse Parallelmontage im ersten Drittel erklären, die in einer Art deutschem Leidenskontinuum den Tod Elisabeths in der Gaskammer, die sterbenden Soldaten (Elisabeths Brüder) an der Front und die Opfer der Bombenangriffe auf Dresden gleichstellt. Henckel von Donnersmarck mag diese Relativierung nicht beabsichtigt haben, aber ein Regisseur – selbst wenn ihn Bilderdiskurse nicht interessieren – sollte sich der Wirkung seiner filmischen Mittel schon bewusst sein.
Verwerflicher noch: „Werk ohne Autor“ begleitet die jungen Mädchen in die Gaskammer, sieht ihnen verstohlen beim Sterben zu. Die Szene ist unterlegt mit Händels Duett „De torrente in via bibet“ aus „Dixit Dominus“, einem sakralen Werk. Hätte hier nicht zumindest die musikalische Untermalung angemessen sein können? Olivier Messiaens „Quartett für das Ende der Zeit“ zum Beispiel oder – wenn es denn schon deutsch sein soll – Bernd Alois Zimmermanns „Requiem für einen jungen Dichter“. Anspruchsvolle Kompositionen, die das Grauen nicht sublimieren. Aber: Alles, was wahr ist, ist schön.
Der Regisseur reagiert auf Kritik äußerst dünnhäutig
Den Schlusspunkt der Sequenz setzt Henckel von Donnersmarck mit einem Dreisatz aus Stillleben: das Gesicht des toten deutschen Soldaten, das Gesicht der toten Elisabeth (beide in Nahaufnahmen kadriert) und Dresden in Flammen. Jacques Rivette bezeichnete Anfang der sechziger Jahre in seinem einflussreichen Essay „Von der Niedertracht“ über Gillo Pontecorvos Kriegsdrama „Kapo“ die ästhetische Inszenierung von KZ-Opfern als „pornografisch“. Am Kunstverständnis von „Werk ohne Autor“ würden solche Einwände abperlen. Der Regisseur reagiert auf Kritik ohnehin äußerst dünnhäutig, gleichzeitig erweist sich sein ästhetisches Sensorium als nicht gerade feinsinnig. Eine ganz schlechte Kombination.
Henckel von Donnersmarck irrt hingegen, wenn er Kritik an seinem Film beleidigt als „politisch-korrekt“ abkanzelt. Mangelndes politisches (bzw. historisches) Bewusstsein ist das eine, als Filmemacher fehlen ihm aber vor allem moralische Kategorien. Im Film reißt er selbst Beuys’ Kunstbegriff aus dem Kontext („Nur in der Kunst findet man wahre Freiheit“, sagt die Beuys-Figur), was nicht weiter verwundert. Für Konzeptkunst fehlt dem Regisseur sichtlich das Verständnis, wie schon der kurze Rundgang durch die Düsseldorfer Atelierräume 1961 zeigt: So lächerlich stellen sich höchstens Mario Barth oder die „Bild“- Zeitung moderne Kunst vor.
Man muss aber auch den Künstler vor „Werk ohne Autor“ in Schutz nehmen. Gerhard Richter selbst hat in seinem „Birkenau“-Zyklus klargestellt, dass nicht immer alles gezeigt werden muss, um Wahrhaftigkeit zu bezeugen. Die vier zur Unkenntlichkeit schraffierten Bilder abstrahieren vier Fotografien aus dem Krematorium in Auschwitz, die Insassen aus dem Lager schmuggeln konnten.
Florian Henckel von Donnersmarck ist für solche intellektuellen Diskurse wenig empfänglich, das lässt er in Interviews durchblicken: Sie vertragen sich nicht mit seinem Hang zum Pathos. Das ist natürlich völlig legitim. Sein Film verträgt sich aber auch schlecht mit der Kunst Gerhard Richters. Dabei dürfte „Werk ohne Autor“ – zieht man die Kriterien des Regisseurs heran – sogar einen persönlichen Triumph darstellen. Sein funktionales Erzählkino nähert sich einem Ideal von Kunst, mit dem Richter unmöglich einverstanden sein kann. Es ist selbst ein Werk ohne erkennbare Autorenschaft.
Ab Mittwoch in den Berliner Kinos
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