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Joyce DiDonato
© AFP

Berliner Philharmoniker mit Berlioz: Superromantik

Gerade haben die Berliner Philharmoniker Berlioz' orchestrales Höllenfahrtsdrama „La Damnation de Faust“ in Baden-Baden aufgeführt - jetzt sind sie von ihrem Osterspaziergang zurück und bringen das Stück in die Philharmonie.

Als gutem deutschen Bildungsbürger bleibt einem immer noch der Mund offen stehen, wenn man hört, was der linksrheinische Hector Berlioz in „La Damnation de Faust“ (1846) aus Goethes Drama gemacht hat. Nicht nur ist die Titelfigur hier alles andere als der nach Erkenntnis dürstende und von aller Erkenntnis angeekelte Geistesforscher, nämlich ein Melancholiker superromantischen Zuschnitts („Erde, bringst du nur für mich keine Blumen hervor?“). Auch die Form ist maßlos, manisch instrumentiert (vier Harfen!), ein Zwitter zwischen Oratorium und Choroper, Berlioz nannte es „Légende dramatique“. Mit entwaffnender Nonchalance verlegt er den Beginn mal eben nach Ungarn – er habe Lust gehabt auf ein ungarisches Thema.

Die Berliner Philharmoniker und Simon Rattle haben „La Damnation“ gerade in Baden-Baden aufgeführt und jetzt, von ihrem Osterspaziergang zurück, in die Philharmonie gebracht. Erst 50 Jahre nach der Uraufführung wirkt das Stück in der konzertanten Version wesentlich stärker als in der szenischen – gerade weil sie die Zuhörer mit ihrer Fantasie alleine lässt. Zumal alles mit dem Eifer, der Könner- und Leidenschaft aller Beteiligten wie am Freitagabend angegangen wird. Mit butterweicher Zärtlichkeit singt der Rundfunkchor (Simon Halsey) die „Amen“-Fuge der Studenten in Auerbachs Keller, die Damen deklamieren den Chor der Bäuerinnen so überdeutlich und ausbuchstabiert, dass man tatsächlich meint, eine Meute Gören vor sich zu haben. Das Orchester legt betörende Pianissimi hin, die alles andere als harmlos sind, kündigt sich in ihnen doch meist schon die nächste Katastrophe an.

Dominik Wollenwebers Oboe ist Marguerite über viele Takte hinweg leiser Begleiter, Echo, Kompagnon. Die Musik geht den Weg in den inneren Monolog, und die Philharmoniker zeichnen das feinnervig nach, vor allem in der irrlichternden Walpurgisnachtszene und Faustens Höllenfahrt. Ans Rollenprofil des Protagonisten, wie Berlioz es entworfen hat, schmiegt sich Charles Castronovo mit seinem Latin-Lover-Schmelz-Tenor nahezu perfekt an. Ludovic Tézier ist ein abgründiger Gentleman als Mephisto. Und Joyce DiDonato, die Mezzosopranistin aus dem robusten amerikanischen Mittelwesten, schwingt sich als Marguerite sofort in silberdurchwirkte Höhen auf, in denen sie dann engelsgleich verweilt. Ihre finale Verklärung ist, das darf man wohl sagen, lupenreiner musikalischer Kitsch. Ein Wort, das Berlioz zum Glück noch nicht kannte.

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