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Trauriger Anblick: Zuschauerraum nach Corona-Regeln.
© dpa

Vorstoß eines Charité-Professors: Streit um volle Säle geht weiter

Soll das Publikum wieder massenweise in Theater und Konzerthäuser strömen dürfen? Die Verantwortlichen reagieren ganz unterschiedlich.

Stefan Willich ist ein Mann, der weiß, dass der Ton die Musik macht. Neben seinem Hauptberuf als Charité-Professor und Leiter des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie ist er nämlich auch als Dirigent tätig, veranstaltet regelmäßig Konzerte mit dem von ihm gegründeten World Doctors Orchestra.

Ein echter, bewusst gesetzter Paukenschlag war jetzt sein Vorschlag, in den Konzertsälen und Opernhäusern der Hauptstadt alle Plätze wieder freizugeben, wenn die Zuschauer auch während der Aufführung konsequent medizinischen Mund-Nasen-Schutz tragen. Bereits im Mai hatte Willich auf Bitten der großen Berliner Orchester mit mehreren Charité-Kollegen eine Untersuchung zu den notwendigen Abständen zwischen den Musikerinnen und Musikern vorgelegt, die er nun auf ebenso unerwartete wie spektakuläre Weise aktualisierte. Was vielstimmige Reaktionen provoziert hat.

Kosky und Schwarz mahnen zur Vorsicht

Barrie Kosky, der Intendant der Komischen Oper, bremste die Erwartungen an eine sofortige Rückkehr zum Normalbetrieb. Er plädierte dafür, lieber Schritt für Schritt vorzugehen. Zunächst solle der Senat bis zum Oktober den Mindestabstand von 1,5 Meter auf einen Meter reduzieren, so wie das jetzt schon bei den Kinos probiert werden soll. Erst wenn sich herausstellte, dass es so funktioniere, könne man „Vollgas“ geben, sagte Kosky am Dienstag im Inforadio des RBB. Ähnlich sieht es sein Kollege Dietmar Schwarz von der Deutschen Oper. Auch er sprach sich für ein vorsichtiges Vortasten in der Sache aus. „Ich weiß auch nicht, wie unser Publikum reagieren würde, wenn wir jetzt sofort wieder mit vollen Sälen spielen würden“, sagte er in der RBB-„Abendschau“.

Christian Höppner, der Generalsekretär des Deutschen Musikrates, kommentierte Stefan Willichs Vorstoß mit den Worten, dieser sei „zu schön, um wahr zu sein“. Außerdem werfe er „bei rationaler Betrachtung“ einige Fragen auf. So müsse man die wissenschaftlichen Kriterien diskutieren, auf denen das Papier basiere. Höppner appellierte in diesem Zusammenhang erneut an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, das Zentrum für Luft- und Raumfahrt mit einer fundierten Studie über die Ansteckungsgefahr in geschlossenen Räumen zu beauftragen.

Die Philharmoniker-Intendantin begrüßt den Diskurs

Ein gemeinsames Statement veröffentlichten Andrea Zietzschmann, die Intendantin der Berliner Philharmoniker, und Sebastian Nordmann, Intendant des Konzerthauses: „Die Diskussion über eine weitere Öffnung der Konzertsäle für Publikum muss aus unserer Sicht dringend geführt werden, da hier aktuell die strengsten Auflagen gelten. Wir begrüßen den Diskurs, der durch wissenschaftliche Erkenntnisse und Stellungnahmen sowie Sicherheitskonzepte in anderen (Bundes-)Ländern angeregt wird. Sie sollten ausgewertet und in die weiteren politischen Überlegungen einfließen. Wir sind jederzeit bereit, uns an Gesprächen zu beteiligen sowie unsere eigenen Erfahrungen einzubringen. Sollte das Experiment, in Berliner Kinos jeden zweiten Platz zu belegen, erfolgreich verlaufen, erwarten wir, dass auch die Platzkapazitäten der Konzerthäuser bald wieder zu 50 Prozent genutzt werden können.“

In Dortmund gelten andere Regeln als in Berlin

Während der Berliner Kultursenator Klaus Lederer sehr vorsichtig ist, was die Modifizierung seiner sehr strengen Vorgaben im Bereich der Bühnen und Konzerthäuser betrifft, zeigt sich das Bundesland Nordrhein-Westfalen deutlich lockerer. Während in der Hauptstadt derzeit nur jede zweite Reihe belegt werden darf und zwischen den Zuschauern jeweils drei Plätze frei bleiben müssen, kann das Konzerthaus Dortmund mit einem Schachbrett-Sitzplan in seine Saison starten. Dabei müssen jeweils nur zwei Plätze ausgespart werden, sodass Intendant Rafael von Hoensbroech die Hälfte seiner Karten pro Konzert verkaufen kann. In Berlin sind es derzeit nur rund 25 Prozent.

Der Mund-Nasen-Schutz darf in Dortmund während des Konzerts abgenommen werden, außerdem sind, anders als in Berlin, Pausen zugelassen. Am 3. September wird es in der Ruhrgebietsstadt die bundesweit erste Oratorienaufführung nach der Zwangspause geben. Joseph Haydns Chorwerk „Die Schöpfung“ erklingt dann in voller Besetzung, interpretiert von Thomas Hengelbrock und seinen Balthasar-Neumann-Ensembles. Die Künstlerinnen und Künstler lassen sich zu diesem Zweck mehrfach testen und gehen vor dem Konzert in Quarantäne.

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