Deutsches Historisches Museum: Streit um Ausstellung über Vertriebene
In der Berliner Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung gibt es ein Zerwürfnis zwischen dem Direktor und seinen Beratern. Anlass ist die Ausstellung "Gewaltmigration erinnern" im DHM.
Zweieinhalb Jahre herrschte Ruhe um die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung (SFVV), die ein Dokumentationszentrum im ehemaligen Deutschlandhaus am Askanischen Platz erhält, das seit Juni 2013 im Bau ist. Seinerzeit hielt Bundeskanzlerin Merkel die Festrede, und in einer für sie nicht immer üblichen Offenheit sagte sie: „Der Gegenwind war stark, hoch schlug die Welle der Emotion.“ Das kann man wohl sagen. Merkel hat den Streit aus nächster Nähe erlebt, spielte er sich doch überwiegend im Bundestag ab.
Dort stand die langjährige Vertriebenenverbands-Vorsitzende Erika Steinbach (CDU) im Auge des Sturms, nachdem ihr Mitstreiter im Ringen um eine Einrichtung zur Dokumentation der Vertreibung von Deutschen nach 1945, der SPD-Politiker Peter Glotz, 2005 verstorben war. 2008 wurde die nicht selbstständige Bundesstiftung gegründet, die unter dem Dach des Deutschen Historischen Museums (DHM) angesiedelt ist. Bald gab es Grummeln um den Gründungsdirektor, den 52-jährigen Historiker Manfred Kittel. Seit fünf Jahren im Amt, wird er von seinen Kritikern als kommunikationsarm geschildert. Solche Interna, die es in jeder großen Institution und zumal im heißen Klima Berlins gibt, könnte man getrost auf sich beruhen lassen, gäbe es jetzt nicht einen Anlass zu stutzen. Um die Arbeit der Stiftung sichtbar zu machen, zeigt sie im Mutterhaus DHM die Ausstellung „Gewaltmigration erinnern“ – also mit dem Thema, dem die SFVV überhaupt gewidmet ist.
Doch ist diese freilich kleine, aus drei multimedial bestückten Holzkuben plus einer großen Leinwand mit Hörstationen bestehende Ausstellung nicht etwa Ergebnis eigener Arbeit, sondern wurde von der griechischen Firma „Anemon Productions“ übernommen. Das verwundert nun doch. Die Stiftung listet in ihrem Stellenplan zwar lediglich vier Wissenschaftler auf, erhält aber für immerhin 33 Millionen Euro ein Dokumentationszentrum, das ja wohl kaum von Fremdbeiträgen zugestellt werden soll.
Kapitel über Vertreibung aus Polen wurde ausgelassen
Im Original heißt die Ausstellung beziehungsweise das Medienpaket „Twice a Stranger“, was auf die doppelte Heimatlosigkeit von Vertriebenen hinweist. In Berlin wurde daraus „Gewaltmigration erinnern“. Mit einem Unterschied: Ein ursprünglich vorhandenes Kapitel über die Vertreibung der Deutschen aus Polen wurde „auf Wunsch der Stiftung“ ausgelassen. Ansonsten beginnt die Ausstellung mit den Folgen des Vertrages von Lausanne 1923, der die wechselseitige Vertreibung von Türken aus Griechenland und Griechenland aus der Türkei zur Folge hatte; sodann wird die Teilung von Britisch-Indien in Indien und Pakistan 1947 mit einer ähnlichen, indes nicht vertraglich geregelten Vertreibung dargestellt und schließlich die Vertreibung der Griechen aus dem türkisch annektierten Nord-Zypern nach 1960.
Kritisiert wird nun, dass die griechische Produktion die Vorgeschichte der deutschen Vertreibung ausgeblendet habe. Das gilt zwar auch für die anderen dargestellten Zwangsmigrationen, erfüllt aber nicht die Aufgabe der SFVV, Ursachen und Folgen darzustellen, und dies im europäischen Kontext. Gemessen an diesem Anspruch bleibt festzustellen, dass Anemon ein Multimediaspektakel auf der technischen Höhe unserer Zeit vertreibt, aber nicht auf der wissenschaftlichen Höhe, die die schwierige und schmerzreiche Diskussion über Vertreibungen jedenfalls in Europa erreicht hat.
Zudem ließ Kittel als Ergänzung einige Schauvitrinen mit Stücken aus der eigenen, im Aufbau befindlichen Sammlung aufstellen, und sei es nur, um den Ausstellungsraum im spärlich besuchten zweiten Obergeschoss des Pei-Baus des DHM überhaupt zu füllen. Was aber den für die Einhaltung der Standards zuständigen „Wissenschaftlichen Beraterkreis“ am meisten erbost, ist, dass Kittel die Übernahme der Ausstellung vorgenommen hat, ohne seine Berater darüber zu informieren. Das kann man nur als Brüskierung des ohnehin höchst sensiblen Beirats verstehen.
Auf Kriegsfuß mit Stiftungsdirektor Kittel
Mittlerweile hat der Wortführer der Kritik und Vorsitzende des deutschen Historikerverbandes, der Slawist Martin Schulze Wessels, präzisiert: „Bei der Ausstellung ,Twice a Stranger’ konnte nur durch eine Intervention des ,Wissenschaftlichen Beraterkreises’ im letzten Moment verhindert werden, dass die Vertreibung der Deutschen durch Polen ganz ohne die Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs dargestellt wurde.“ Schulze Wessels fordert generell für die Arbeit der Stiftung, „dass der dominierende Zusammenhang des Zweiten Weltkriegs ganz stark zum Ausdruck kommen muss“, wie er in einem Interview erklärte.
Die Wissenschaftler, darunter mehrere ausländische Historiker, stehen seit längerem mit Stiftungsdirektor Kittel auf Kriegsfuß. Dabei ist unter der Hand zu hören, dass die beiden polnischen Mitglieder – auf deren Teilnahme die Bundeskulturpolitik größten Wert legt – zu Hause bereits als „Verräter der nationalen Sache“ beschimpft würden. Hierzulande riefen verschiedene Zeitungen die Kulturstaatsministerin zum Handeln auf.
Tatsächlich gab es im Hause von Monika Grütters (CDU) in der vergangenen Woche Beratungen sowohl mit dem Stiftungsdirektor als auch dem Beirat. Auch über personelle Konsequenzen bis hin zur Abberufung Kittels soll gesprochen worden sein. Das letzte Wort hat jedoch der Stiftungsrat, der turnusmäßig im Dezember tagt. Es überrascht nicht, dass sich die Stiftung, zumal in Personalfragen, derzeit bedeckt hält und keine Stellungnahme abgibt.
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