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Räume schaffen. Der Ende Januar eröffnete Erweiterungsbau.
©  Kienzle/Oberhammer

Museum Neuruppin: Steinpilz und Apfeltorte

Sehnsuchtslandschaften: Das Museum Neuruppin entstaubt seine Dauerausstellung, zeigt Heimatbilder von Anton Henning - und beweist, dass der langsame Abschied vom "Heimatmuseum" kein Abschied von den damit verbundenen Aufgaben ist

Wenn es um Neuruppin geht, schlägt man bei Fontane nach. Der erste Band seiner „Wanderungen“, der Grafschaft Ruppin gewidmet, beginnt mit dem Satz: „Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat besitzen.“ Theodor Fontane überkam in Schottland die Sehnsucht nach der Mark. Die Entdeckung der Schönheit vor der eigenen Haustür grenzt zuweilen ans Wunderbare. Besucher aus Berlin zeigen sich überrascht darüber, was für ein reizendes Städtchen Neuruppin ist und warum man nicht schon viel eher hierhergefunden habe.

Seit kurzem gibt es einen weiteren Grund, Neuruppin zu entdecken. Nach fast dreijähriger Sanierungs- und Bauzeit konnte Ende Januar das um einen Erweiterungsbau des Berliner Büros Heidenreich & Springer Architekten ergänzte Neuruppiner Museum wiedereröffnet werden. Ruppiner und Gäste von auswärts drängelten sich, um die erste Sonderausstellung im neuen Haus in Augenschein zu nehmen. Der in Manker bei Fehrbellin lebende Maler Anton Henning zeigt unter dem Motto „home is where the heart is“ den zweiten Teil seiner Doppelausstellung „Heimat schaffen“, der erste Teil war im Tucholsky Literaturmuseum im Schloss Rheinsberg zu sehen.

Henning würde Fontanes Sentenz unterschreiben. In den Achtzigern trieb es den 1964 in West-Berlin Geborenen nach London und New York. Anfang der Neunziger stellte sich die Frage, dort zu bleiben oder zurückzukehren. Henning entschied sich für etwas Drittes, eine Sehnsuchtslandschaft seiner Kindheit, flüchtig bekannt allein aus dem Autofenster bei Transitfahrten Richtung Dänemark. 1992 erwarb er ein halbruinöses Bauerngehöft und lebt seit nunmehr zwanzig Jahren mit seiner Familie in Manker. Heimat, erklärt Henning anlässlich der Ausstellung, „besitzt man nicht oder bekommt man nicht einfach so in die Wiege gelegt und kann sich darauf verlassen, dass es so bleibt. ‚Heimat‘ muss man sich, so wie alles andere im Leben auch, zu eigen machen“.

Henning kultiviert den Charme des scheinbar Unbekümmerten

Bei Anton Henning verknüpft sich der Aneignungsprozess eng mit seinem künstlerischen Möglichkeitssinn. Mit einem Augenzwinkern durchgespielt wurde das in Rheinsberg, wo er sich auf großformatigen Fotos inmitten seines Rhinluch-Refugiums als Armer Poet, in der Doppelrolle als Großkünstler und Großgalerist oder als Suppenkoch inszenierte. Vis-à-vis hingen gemalte Luchlandschaften im spätimpressionistischen Stil von Slevogt oder Corinth.

Das Landschaftssujet taucht im Neuruppiner Teil des Ausstellungsprojekts wieder auf, ergänzt um (Selbst-)Porträt, Akt und abstrakte Komposition. Neben Bildern gibt es Skulpturen, Möbelobjekte, Kurzfilme und Hinterglasmalereien. Henning kultiviert den Charme des scheinbar Unbekümmerten, lustvoll bedient er sich in der Malereigeschichte von Picasso bis Richter und Polke. German Pop vom Feinsten ist beispielsweise sein mit Künstlerscheiße gemaltes Hakenkreuz „Komposition mit frischen Ruppiner Steinpilzen, Garten-Rucola, Parmesan mit von Schubertschem Riesling, Kabinett 1994 Herrenberg, danach Gorgonzola mit von Schubertschem Riesling, Auslese Abstberg 1989, dazu Apfeltorte“ von 1995. Mahlzeit!

Leichtfüßig gelingt Anton Henning, was man die größte Leistung dieser sehenswerten Ausstellung nennen darf. Dank seiner Einbauten, Lichtregie, Designelemente und der farbigen All-over-Wandgestaltung schafft der Künstler einen Raum, wo zuvor keiner war. Das 1791 erbaute Noeldechen-Haus bietet klassische Proportionen, die Architekten des Neubaus antworten mit fließenden Räumen. Was im großzügigen Servicebereich des Erdgeschosses funktioniert, wird eine Etage darüber problematisch: Räumlich wenig differenziert, an zwei Seiten durchfenstert, missverstehen viele den neuen Wechselausstellungsbereich, wie Neuruppins Bürgermeister Jens-Peter Golde bei der Ausstellungseröffnung scherzte, als Tagungssaal. Museumsdirektor Hansjörg Albrecht und seine Mitarbeiter werden künftig ganze Arbeit leisten müssen, um an die Inszenierungsqualität dieser Ausstellung heranzureichen.

Dass sie das können, beweist die neue Dauerausstellung, die den Altbau auf drei Etagen füllt. Nicht nur wer die frühere, im Wortsinn äußerst angestaubte Präsentation kannte, wird dankbar aufatmen angesichts der klugen Entschiedenheit, mit der die großen Söhne der Stadt – Schinkel, Fontane, der Orient-Maler Wilhelm Gentz – lebendig werden. Mit der Präsentation archäologischer Funde unten im Kellergeschoss erfährt man nebenbei etwas über die Anfänge des Neuruppiner Museums, das Mitte des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung eines gewissen Grafen von Zieten auf Wustrau hervorging.

Die Darstellung zur Stadtgeschichte schließt so disparate Themen wie die Prägung als Garnisonstadt von Kronprinz Friedrichs Zeiten bis zum Abzug der Roten Armee, größenwahnsinnige Neubaupläne der DDR oder den Kampf umweltbewegter Bürger um die „Freie (Kyritz-Ruppiner) Heide“ ein. 2015 widmet sich das Museum dem Jahresthema Heimat. Mit diesem Motto, so Museumsdirektor Albrecht, zeigt das Haus, „dass der langsame Abschied vom Namen Heimatmuseum keine Verabschiedung von der damit verbundenen Aufgabe ist“.

Am Ortseingang von Manker hat Anton Henning mit Nachbarn ein großes Plakat gegen noch mehr Windräder in seiner Region aufgestellt. Heimat ist, wo Verantwortungsgefühl wächst. Auch wenn dabei unbequeme Fragen gestellt werden müssen.

Museum Neuruppin, August-Bebel- Straße 14/15, bis 13. September. Bis Ende März: Di–Fr, 11–16 Uhr, Sa/So 10–16 Uhr. Ab April: Di–So, 10 –17 Uhr

Michael Zajonz

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