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Abgehoben. Das Oscar-Niemeyer-Haus in der Altonaer Straße.
© Kai-Uwe Heinrich

Bauhaus: Stadtführung durchs Hansaviertel

Vision der Moderne: Berlins Bauhaus-Erbe soll bekannter werden. Dabei helfen Architekturführungen durch privat bewohnte Räume. Ein Trip ins Hansaviertel zeugt von der strengen Architektur-Logik gemäß dem Motto: „Licht, Luft und Sonne“

Das Haus scheint zu schweben. Dabei ist es ein massiver Betonklotz. Entworfen hat ihn der legendäre brasilianische Architekt Oscar Niemeyer für das Berliner Hansaviertel. Der Schwebeeffekt kommt durch die für ihn typischen V-Stützen zustande, die dem staunenden Besucher unter dem ersten Stock viel Platz zum Atmen lassen.

Der Zeilenbau hat einen separaten Turm für den Fahrstuhl, mit dem man zu den Übergängen im fünften und achten Geschoss gelangt. Im Hausflur offenbart sich die bezwingende Stärke der Bauhaus-Logik: viel Licht und viel Raum, wie geschaffen zum gegenseitigen Kennenlernen und Kommunizieren. Das war eine der zentralen Forderungen der Bauhaus- Architektur: Funktional sollte sie sein und ein Gemeinschaftsgefühl stiften. Ziel war es, in der hektischen Großstadt einen Lebensraum zu schaffen, in dem man nicht neben- oder übereinander, sondern miteinander wohnt. Grünanlagen, nahe gelegene Supermärkte und eine gute Infrastruktur sollten den sozialen Wohnungsbau attraktiv machen.

Um die Vielfalt der hiesigen Bauhaus- Kultur bekannter zu machen, organisiert jetzt das Bauhaus-Archiv zusammen mit der Agentur Art:Berlin diverse Rundfahrten, um zu zeigen, welche Schmuckstücke die weltweit bekannte Architektur-Schule in Berlin hinterlassen hat.

Ein Höhepunkt der Führung „Eine Messe der Moderne – Das Berliner Hansaviertel“ sind die Innenbesichtigungen privater Bauhaus-Wohnungen. Im Zeilenbau von Oscar Niemeyer öffnet ein gut gekleideter Architekt die Wohnungstür und geleitet die Gruppe in sein kompaktes und edel eingerichtetes Drei-Zimmer-Apartment. Bereits beim Eintritt fällt die präzise und klug durchkomponierte Raumteilung auf: Einen langen Flur gibt es nicht – stattdessen kommt man schnurstracks ins Wohnzimmer, das über eine kleine Öffnung zur Küche verfügt. Die großen, breiten Fenster bieten nicht nur einen fantastischen Ausblick auf das südliche Hansaviertel, sondern ermöglichen auch eine helle, vom Sonnenlicht getragene Atmosphäre.

Die Wohnung hat mehr als 70 Quadratmeter, wirkt aber doppelt so groß. Das liegt auch daran, dass die Durchgänge dermaßen knapp geraten sind, dass ausreichend Platz herrscht für die zentralen Wohn- und Aufenthaltsräume. Außerdem besitzt die Wohnung einen kleinen Balkon. Auch die Wandschränke sind original und vermitteln die strenge Logik der Bauhaus-Architektur, deren Motto „Licht, Luft und Sonne“ war.

Der Stadtführer, ebenfalls Architekt, erzählt von der besonderen historischen Situation, die in den fünfziger Jahren in West-Berlin herrschte: Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Wohnungsnot groß war, konnte die international gefeierte Architektur-Szene im Hansaviertel mit völlig neuen Wohnkonzepten experimentieren. Trotz der widrigen Umstände haben 35 Vertreter der Bewegung Neues Bauen 1957 intelligent geschnittene, formschön gestaltete Wohnhäuser konzipiert – umgesetzt wurden unter anderem die Punkthochhäuser von Johannes Hendrik van den Broek und ein Wohnblock des Finnen Alvar Aalto.

Aber auch die anderen Stadtteile Berlins, zu denen die Rundfahrten führen, zeugen von einer lebendigen Bauhaus-Kultur, die die konventionellen Grenzen des Wohnens hinterfragte – nicht immer mit Erfolg. Die Gropiusstadt beispielsweise, die sich über die Siedlungen Britz, Buckow und Rudow erstreckt, sollte die Vollendung von Walter Gropius’ Konzept einer voluminösen, mit viel Grünfläche ausgestatteten Großraumsiedlung sein. Die Enge West-Berlins und die planerischen Eingriffe der Stadtverwaltung unterwanderten jedoch das gut gemeinte Konzept: Nach der Realisierung im Jahr 1975 entwickelte sich die Gropiusstadt zu einem sozialen Brennpunkt, auch weil die Monotonie der Bauten und die vermeintlich effiziente Raumgestaltung zu einer Abschottung der Bewohner führte. Viele Menschen beklagten einen Verlust des Kiez-Gefühls und fühlten sich nicht wie im Paradies, sondern wie im Ghetto. Erst im neuen Jahrtausend hat sich die Attraktivität der Trabantenstadt durch neu zugezogene Anwohner und den Bau von Einkaufszentren erhöht.

Bauhaus, das heißt auch Faszination für Technik und Moderne: Nirgendwo sonst lässt sich diese Begeisterung für die Industrialisierung so unvermittelt erleben wie in Charlottenburg. Der Kant-Garagenpalast, wo der zweite Teil der Bus-Tour hinführt, ist ein gutes Beispiel dafür: Während überlegt wird, wie sich die Autos aus den Innenstädten verbannen lassen, versuchten die Bauhaus-Schüler in den dreißiger Jahren den Ansprüchen der motorisierten Moderne zu entsprechen – und das mitten in der Stadt.

Das denkmalgeschützte Gebäude in der Kantstraße 126/127 ist die älteste erhaltene Hochgarage Europas. Während sich im Erdgeschoss eine Tankstelle befindet, führt eine zweifache Wendelrampe zu 300 Pkw-Stellplätzen. Obwohl das Gebäude zu verfallen droht, ist mit Blick auf die Glasfassade und die dynamisch versetzten Stockwerke auch heute noch die revolutionäre Absicht der Architekten erkennbar. Die wachsende Hauptstadt wollte sich den Herausforderungen der Zukunft stellen. Beim Blick auf den Bau entsteht ein nostalgisches Gefühl, das an die Stimmung in dem technikbegeisterten Film „Berlin – Sinfonie einer Großstadt“ erinnert. So bieten die Rundgänge die Gelegenheit, einen architektonisch aufbrausenden Zeitabschnitt nachzuerleben, auf den nicht nur Weimar, sondern auch Berlin mit Recht stolz sein darf.

Hansaviertel-Führung: 31.3., 14–16 Uhr. Treffpunkt: U-Bhf. Hansaplatz, Ausgang Bartningallee (ausgebucht) Zusatztermin: 14.4., 14 Uhr.

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