zum Hauptinhalt
Sprung an die Spitze. Yasiel Hodelin, Gewinner des Grand Prix der internationalen Ballettschulen, bei einer Straßenperformance.
© Festival

500 Jahre Havanna: Stadt auf den Beinen

Eine nationale Angelegenheit: Havanna tanzt zu seinem 500. Geburtstag. Die Szene birst vor Vielfalt.

Havanna tanzt eigentlich immer. Manche reisen nur wegen der Salsa hin. Aber anlässlich des 500. Geburtstags der Stadt in diesem Jahr – am 16. November – tanzt man noch ein bisschen mehr als sonst. „Habaneros adelante“ (Vorwärts Leute aus Havanna) prangt es über der Autobahn in die kubanische Hauptstadt. Und noch heute ist verständlich, dass der aufreizende Tanz und Gesang der Carmen in Georges Bizets Oper eine „Habanera“ ist. Im Originaltext schön umspielt mit „L'amour est un oiseau rebelle“, auch das ist Havanna.

Wie das Jubilieren im Tanz aussehen kann, zeigt das Cabaret Parisién des Hotel Nacional mit seiner opulenten Show „Cubano cubano“ als Finale der „Tage des Tanzes“. Getanzt wird zu historischen Filmsequenzen, die im Hintergrund laufen. Die „Tage des Tanzes“ von Havanna liefen wie jedes Jahr unter der künstlerischen Leitung von Santiago Alfonso im Mella-Theater, sie standen diesmal auch unter dem großen Motto des Stadtjubiläums. Die Tanzförderung in Kuba ist eine einmalige Sache. Begabte aus allen Teilen des Landes haben Zugang zur Ausbildung, unabhängig von ihrer Herkunft und Hautfarbe. Tanz genießt in der kubanischen Gesellschaft ein hohes Ansehen.

Eine Woche lang wurde die Tanzvielfalt der Insel geballt präsentiert. Das kubanische Nationalballett und die angeschlossene Schule sind international bekannt. In der überbordenden Mixtur aus Beiträgen der verschiedenen Schulen, Ballett Nacional und Tropicana, Modernem und Folkloristischem, afrokubanischen Mythen und heutigen Kreationen lassen sich leicht Favoriten des Publikums ausmachen. Und das gehört auch zu den Besonderheiten in Havanna: Das Festival dringt ein in die Atmosphäre der Stadt, die Tänzer werden wie Helden verehrt.

Da ist Rubén Rodriguez, der in diesem Jahr sein 50. Bühnenjubiläum mit seinem Solo-Klassiker „Canta Ruiseñor“ begeht. Er wird von der Tanzjugend mit Standing Ovations gefeiert. Die Gruppe Danzares zeigt „Encuentro“ (Begegnung). Dieses Ensemble ist weit über das übliche Tanzalter hinaus. Die älteste Tänzerin zählt 77 Jahre, die jüngste bei diesen Tanztagen vier. Wie sich die ehemaligen Tänzerinnen und Tänzer präsentieren, reißt das Publikum von den Plätzen.

Acosta bringt neue Ideen in die Tanzszene der Stadt

Das Tropicana bringt mit „Cuadro Negro“ eine Show über die Befreiung der Sklaven. Ein wichtiges Thema ist die Auseinandersetzung mit dem afrikanischen Erbe auch bei der Compañia de danzas traditionales JJ. und der Compañia Raices profundas. So viel stolzer schwarzer Tanz ist, trotz kolonialer Vergangenheit, wohl kaum anderswo außerhalb des afrikanischen Kontinents zu sehen.

In Kuba hat sich eine eigene Tanzkultur entwickeln und etablieren können. Man eilt hier keinem Vorbild aus dem Westen hinterher, auch wenn Carlos Acosta modernes Tanztheater aufführt. Ihm gelingt es mit seiner Arbeit , die Menschen auf einen anderen künstlerischen Weg mitzunehmen. In der Choreografie „Soledad“ (Einsamkeit) von Rafael Bonachela sind eine Frau und ein Mann in einem Wohnzimmer zu erleben. Stuhl und Stehlampe schaffen eine Bühnensituation und lassen Raum für das Paar, das ganz offensichtlich keinen Weg für ein Zusammenleben findet.

Acosta bringt neue Ideen in die Tanzszene der Stadt. Nur wenige Gehminuten vom Mella-Theater entfernt befindet sich seine Akademie, in der auch nach der klassischen Methode ausgebildet wird, auch seine Compagnie ist dort ansässig. Die Truppe probiert aber auch ganz neue Dinge aus. Für eine Straßenperformance ließ Acosta Danza an einem Samstagabend eine der Hauptverkehrsadern der Stadt, die Linea, vor seiner Haustür sperren. Kunst im öffentlichen Raum, Eintritt frei und für alle. Passend zur gerade stattfindenden 13. Biennale, bei der Deutschland von dem in Berlin lebenden Ryan Mendoza vertreten wird. Bekannt wurde er durch den Nachbau des Hauses der schwarzen Bürgerrechtlerin Rosa Parks in einem Weddinger Hinterhof. In Havanna ist sein Videoclip zu sehen, in dem eine schwarze Frau mit einem Baseballschläger eine weiße Büste von George Washington zertrümmert.

Ramona de Saá ist eine lebende Legende

Havanna gibt sich dem Tanz hin. Im Coppelia-Park und im Nationaltheater sind Fotos von Gabriel Davalos zu sehen. Er hat Tanzschüler im Stadtbild fotografiert, die Ausstellung verweist auf das internationale Ballettschultreffen. Gegründet hat es Ramona de Saá, von allen Shery genannt, die Leiterin der Schule. Sie hat dafür gesorgt, dass erstklassige Tänzerinnen und Tänzer aus Kuba in der Welt populär werden. Viele der Goldmedaillen dieses Ballettschulwettbewerbs gingen an Kuba.

Den Grand Prix gewann Yasiel Hodelin, ein junger Mann, von dem man in der Zukunft hören wird. Und schließlich gab Viengsay Valdés, die neue Co-Leiterin des kubanischen Nationalballetts neben Alicia Alonso, bekannt, dass das Nationalballett und die Ballettschule zum nationalen Kulturerbe erklärt worden sind.

Ramona de Saá ist eine lebende Legende. Als sie vor dem riesigen Vorhang des Theaters erscheint, eine zierliche Frau, ganz still, steigert sich der Jubel in eine schier unglaubliche Ekstase.

Ralf Stabel

Zur Startseite