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Bono und seine Kollegen von U2 plaudern mit Apple-Chef Tim Cook bei der Präsentation des neuen iPhones im kalifornischen Cupertino.
© dpa

Apple verschenkt neues U2-Album: Stadionband bei der Betriebsfeier

Die Überraschung ist perfekt gelungen: Bei der Präsentation des neuen iPhones traten plötzlich Bono, The Edge, Adam Clayton und Larry Mullen auf die Bühne. Sie verkündeten einen Megadeal. U2 verschenken ihr neues Album "Songs of Innocence" an 500 Millionen Besitzer einer Apple-ID.

An dieses Album von U2 wird man sich wie an eine Flugzeugkatastrophe, ein Attentat oder irgendein anderes Ereignis erinnern, auf das vorzubereiten die Welt keine Zeit hatte. Denn „Songs of Innocence“, an dem U2 mehrere Jahre gearbeitet und eine schwere künstlerische Krise erlebt hat, platzt in diese Welt in demselben Moment, in dem seine Vollendung überhaupt bekannt wird. Sofort also. Gratis. Exklusiv auf iTunes

Nö, ne? Doch doch doch.

Erster Reflex, sofort herunterladen. Aber, Mist! Das iPhone ist nur noch bei 13 Prozent seiner Akkuleistung. Und kein Ladekabel dabei. Erstmal einen Kollegen fragen. Der, energischer U2-Fan, starrt auf sein iPad, kopfschüttelnd. Er bekommt das Album nicht auf sein Gerät überspielt. In der Anleitung heißt es, dass es „bereits in deiner Mediathek“ sei, also schon da, ohne selbst etwas dafür tun zu müssen. Verflucht. Nur eine Kollegin hat den Download hingekriegt und summt die Songs in einer Ecke versonnen mit. Warum wir nicht? Weiter unten steht der verräterische Satz: „Finde heraus, wie du dir das Album jetzt anhören kannst.“

Seit 2010 hat U2 an einem neuen Album gebastelt. Jetzt kann es Bono, The Edge, Adam Clayton und Larry Mullen gar nicht schnell genug gehen. Die plötzliche Aufregung ist ein raffinierter Coup. U2-Frontmann Bono hatte irgendwann mittendrin seine Besorgnis geäußert, die größte Band der Welt könnte in ihrer kreativen Selbstblockade irrelevant werden. In den Jahren, die seit „No Line On The Horizon“ und der anschließenden „360°“-Tour vergangen sind, haben Epigonen wie Coldplay und The Killers Weltkarriere gemacht. Vollendete Tatsachen sind da zur Durchsetzung des eigenen Anspruchs noch immer das beste Argument.

Irritierend bleibt der Megadeal mit Apple trotzdem. Bono, The Edge, Clayton und Mullen traten am Dienstag an der Seite von Apple-Chef Tim Cook bei dessen Präsentation des neuen iPhones auf die Bühne. Nicht jeder kann sich eine solche Band zu seiner Betriebsfeier einladen. Doch was treibt die Musiker, eine für sie so aufreibende Arbeit an Apple zu verkaufen, damit es der Konzern über seine iTunes-Kanäle umsonst an die Apple-Community weitergibt? Haben sie womöglich keinen anderen Ausweg gesehen, als ihre Musik hinter diesem Aufreger zu verbergen?

Apple schafft einen Präzedenzfall

„Ein großer Moment in der Musikgeschichte. Und du bist dabei“, verspricht Apple seinen Kunden. Man weiß nicht, welcher Aspekt daran wichtiger ist. Der, dabei zu sein. Oder der, es für einen historischen Moment zu halten. Auf meinem iPhone fällt diese Teil der Musikgeschichte jedenfalls aus. Apple bietet an, jetzt ein altes Tocotronic-Album aus der ominösen iCloud herunterzuladen, das dort als von mir bereits gekauftes archiviert ist. Stirnrunzeln. Blöd, nicht zu wissen, ob man selbst der Trottel ist, oder ob es technische Probleme gibt. So recht durchschaut hat man das Geflecht aus Apple-Diensten ja nie.

Dass eine Band vom Format U2s ein ganzes Album verschenkt, in diesem Fall an 500 Millionen Apple-IDs, ist noch nicht vorgekommen. Man darf bezweifeln, dass sie es machen, um bloß einen Rekord aufzustellen. Die britischen Neo-Progrocker Radiohead versuchten vor sieben Jahren, ihren Frieden mit der freien Verfügbarkeit von Musik im Internet zu machen, indem sie die Käufer ihres „In Rainbows“-Albums den Preis festlegen ließen. Das kam einer Spende gleich. Seither nutzen Musiker soziale Medien oft für die virale Verbreitung einzelner Songs. Die Kalkulation lautet: Indem Bruchstücke freigegeben werden, steigt der Wert des Ganzen. Man verschenkt, um zu gewinnen. Die Gewichte haben sich verschoben. U2 könnte sich gedacht haben, dass etwas, das viele Menschen bereits bekommen haben, vielleicht noch viel mehr ebenfalls besitzen wollen.

Nun haben U2 das Geld, das sie mit „Songs of Innocence“ auf traditionelle Weise einnehmen würden, längst nicht mehr nötig. Aber darin liegt auch ein Teil ihres Problems. Denn die irische Band, die mit „Sunday Bloody Sunday“ 1983 ihren ersten Hit produzierte, hat überhaupt nichts mehr nötig. Schon so oft hat sie den Temperaturregler ihres Rock-Konzepts herauf- und heruntergeregelt, dass sie sich nur wiederholen kann. Den Weg in die Härte hat sie mit „Rattle and Hum“ schon mal beschritten. Und noch größer kann sie auch nicht werden.

Das ist das U2-Gefühl

Aber es gibt dieses unverkennbare U2-Gefühl, eine Art Raumpathos, das trotz unermesslicher Weite jeden einzelnen darin nicht verloren sein lässt. Es ist der U2-Humanismus. Oft verkannt, oft verachtet. Dass er seinen Ursprung in der Verehrung für die Ramones und andere Punk-Rebellen hat, ist heute unter Stadionbombast begraben. „Everything I’ve ever lost / Now has been returned“, singt Bono in „The Miracle (Of Joey Ramone)” über den Moment, da ihn als Jugendlichen „I Believe In Miracles” weckte mit dem „schönsten Sound, den ich je gehört hatte”. Denn plötzlich, so Bono gegenüber dem "Rolling Stone"-Magazin, sei da noch ein Sänger gewesen, der "wie ein Mädchen geklungen" habe.

Die Popmusik lebt von solchen Gesten, bei denen sich die Großen vor den Kleinen verneigen. U2 tut es in aufrichtiger Verehrung, The Edges flirrende Echokammer-Gitarre verliert sogar ihren enigmatischen Hallraum, ist so rau und präsent, wie sie es in den Achtzigern war. Der Rückgriff auf die Zeit, da Bono sich selbst als „jung, aber nicht dumm“ beschreibt, ist allerdings auch der Versuch, etwas von der unschuldigen Vitalität zurückzugewinnen, die die Schulfreunde 1976 auf der Mount Temple Comprehensive School in Dublin zusammenführte.

Was haben U2 mit Coldplay zu tun?

Bei der Umsetzung stand ihnen ein Experte für derlei Wendungen ins Innerliche zur Seite. U2 haben schon früh Brian Burton alias Danger Mouse engagiert, den neben Rick Rubin vielleicht prägendsten Rockproduzenten der letzten Jahre. Dessen Feeling für sublime Soul-Momente hat bereits Norah Jones ihr bestes Album beschert, auf „Songs of Innocence“ setzt  er nun ebenfalls deutliche Akzente. „Sleep Like A Baby Tonight“ und „Troubles“ entwickeln ihre wundersam abstrakte Strahlkraft aus einem hypnotisch pulsierenden, warmen Zwielicht, auf das sich die Band aber dann doch nicht einlassen mochte. Es wäre spannender gewesen. Aber man kann die Scheu der Veteranen verstehen, da Danger Mouse offenkundig im Begriff war, die U2-DNA umzuprogrammieren.

Deshalb dominieren nun Stücke, die in Zusammenarbeit mit Mainstream-Meister Paul Epworth entstanden, der das U2-Konzept zuvor erfolgreich auf Coldplay übertragen hatte, und behutsamer mit den Eitelkeiten der Stars umgeht. Auch U2s langjähriger Produzent Flood ist wieder dabei. Sie haben mit „Vulcano“ einen Song von enormer Spannweite aufgenommen. Claytons Bass rumpelt so dreckig durch die ersten Takte, dass Joy Division höchstselbst wieder auferstanden scheinen, aber im Refrain, der Bono in die Kopfstimme zu wechseln zwingt, ist dann reinster Gitarrenpop zu hören. Auch das wäre ein Weg in die Gegenwart gewesen, den weiter zu beschreiten sie hätten wagen sollen.

Der Rest wird von Bonos Wunsch geprägt, die Liebe zurückzugeben, die er erfahren hat von seiner verstorbenen Mutter – in „Iris (Hold Me Close)“ – und von Joe Strummer, dem „This Is Where You Can Reach Me“ gewidmet ist. Es geht darum, in den Straßen Nord-Dublins aufzuwachsen, "unter Wölfen", wie es einmal heißt, Spaziergänge mit einem hübschen Mädchen zu machen und zugleich als harter Kerl zu gelten. Die Band rekapituliert auch klanglich noch mal ihre Hinwendung nach Amerika („Every Breaking Wave“), die 1987 ihre „Joshua Tree“-Phase einleiten sollte und die Quecksilber-Akkorde von The Edge zum Markenzeichen werden ließ.

Um den Antrieb hinter U2s 13. Album zu verstehen, liefert „Song for Someone“ den besten Hinweis. Formal ist diese Ballade, die sich aus dem Fingerpicking einer Folkgitarre entwickelt und immer opulenter wird, ein typischer Mutmacher im Bono-Style. Das Licht niemals ausgehen lassen, die Finsternis nicht fürchten, lautet sein Rat. Und er sagt das als jemand, der „weit davon entfernt ist, zu sein, wo ich war und wo ich sein müsste“. Unschuldig hört sich das nicht an.

Weshalb ich das weiß? Am Ende hat es doch geklappt mit dem Gratis-Download, nachdem ich sämtliche Barrieren, mit denen ich mein Telefon gegen den Datenhunger der Onlinedienste zu schützen hoffe, aufgehoben habe. Und mich beschleicht der Verdacht, dass nun all jene, die U2 schon immer gehasst haben, „Songs of Innocence“ ebenfalls besitzen werden. Daran sind sie dann selbst schuld.

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