Gurlitt-Sammlung: Staatsanwaltschaft gibt Gurlitt-Bild von Matisse frei
Neue Etappe im scheinbar endlosen Fall Gurlitt: Der Kunstsammler will Bilder an die Erben jüdischer Kunsthändler zurückgeben. Und die Staatsanwaltschaft Augsburg will das erste Restitutionsbild, einen Matisse, auch freigeben.
Die Augsburger Staatsanwaltschaft will das Bild „Sitzende Frau“ von Henri Matisse aus der Sammlung von Cornelius Gurlitt an die Erben des jüdischen Vorbesitzers herausgeben. „Die Staatsanwaltschaft wird, wenn eine entsprechende Vereinbarung vorgelegt wird, und der Betreuer des Beschuldigten mitteilt, dass aufgrund dessen das Bild herausgegeben werden darf, dies gerne tun“, sagte ein Sprecher am Donnerstag. Nach Angaben von Gurlitts Sprecher Stephan Holzinger soll die Vereinbarung zwischen Gurlitt und den Enkelinnen des Pariser Kunsthändlers Paul Rosenberg, Marianne Rosenberg, und Anne Sinclair, voraussichtlich in der kommenden Woche unterzeichnet werden.
Zuvor hatte Augsburg verlauten lassen, man müsse erst prüfen, "ob es möglich ist, Rechten von Geschädigten zur Geltung zu verhelfen, ohne dass Rechte anderer verletzt oder prozessuale Belange beeinträchtigt werden“ - das klang schon wieder nach Verzögerung. Offenbar hat man sich in der Staatswanwaltschaft aber nun schnell besonnnen.
Am Tag zuvor war bekannt geworden, dass Gurlitt bereit ist, Raubkunst aus seiner Schwabinger Sammlung an die Erben jüdischer Kunstbesitzer zurückzugeben. Das Matisse-Gemälde, das sich Jahrzehnte im Besitz des Kunsthändlersohns Cornelius Gurlitt befande, gehörte zeitweise zur Kunstsammlung des Nazi-Politikers Hermann Göring: Das Porträt-Bild gelangte auf Umwegen in den Besitz der Familie Gurlitt. Mit der Ankündigung, eine Einigung mit den Erben stehe kurz bevor, ignorieren Gurlitt und sein Team nicht nur die eigens eingesetzte Berliner Taskforce, die die Herkunft der Bilder klären soll. „Nein“ sagt Sprecher Holzinger auf die Frage, ob es eine Zusammenarbeit mit dem Expertenteam von Ingeborg Berggreen-Merkel gibt. Diese begrüßt gleichwohl die Neuigkeiten: „Die aktuellen Ereignisse sehe ich im Sinne einer gerechten und fairen Lösung sehr positiv“, sagte Berggreen-Merkel am Donnerstag der Nachrichtenagentur dpa. „Wenn wir hinsichtlich aller Bilder nun zu einer Kooperation mit den Anwälten Gurlitts zum Zwecke der transparenten und wissenschaftlich fundierten
Provenienzrecherche kommen könnten, dann wäre dies ein wichtiger weiterer Schritt vorwärts bei der Aufarbeitung der Schwabinger und Salzburger Kunstfunde.“ Derweil setzen Gurlitts Anwälte die Augsburger Staatsanwaltschaft unter Druck, die die Schwabinger 2012 - aus Sicht der Anwälte zu Unrecht - wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung und Vermögensdelikte beschlagnahmte.
Wie es in einer Pressemitteilung von Gurlitts Sprecher Stephan Holzinger heißt, wird jetzt ein „Restitutionsrahmen“ in Anlehnung an die Washingtoner Prinzipien von 1998 erarbeitet. Den Prinzipien zufolge verpflichten sich Staaten freiwillig, sich auf die Rückgabe von Raubkunst auch nach der Verjährungsfrist "gerecht und fair" zu einigen. Die Verpflichtung gilt jedoch nur für staatliche Museen und Institutionen, nicht für Privatpersonen. Der "Rahmen" für die über 500 als Raubkunst verdächtigen Werke aus dem Gurlitt-Konvolut soll "als Basis für Anspruchsteller dienen" - sei es in klaren Fällen von Raubkunst, sei es in Fällen, „die weniger oder eben gar nicht eindeutig sind“.
Gurlitt-Sammlung offenbar größer als bekannt
Wie am Mittwochabend ebenfalls bekannt worden war, ist der Salzburger Teil der Gurlitt-Sammlung weit umfangreicher als bisher bekannt In der Pressemitteilung des Sprechers heißt es, zusätzlich zu den am 10. Februar bei einer Begehung von Gurlitts verlassenenem Haus bei Salzburg entdeckten 60 Exponate seien bei weiteren Begehungen am 24. und 28. Februar 178 zusätzliche Kunstgegenstände gefunden worden, darunter befinden sich auch Ölgemälde und Aquarelle von Auguste Renoir, Édouard Manet, Gustave Corbet, Max Liebermann und Claude Monet. Zu den bekanntesten Werken gehören laut dem Rechercheverbund von SZ, WDR und NDR Renoirs „Mann mit Pfeife“ und Monets „Waterloo Bridge“.
Nach Angaben seiner Berater und seines gerichtlich bestellten Betreuers, des Rechtsanwalts Christoph Edel, will Gurlitt für diesen Salzburger Teil seiner Sammlung internationale Experten für die Provenienzforschung gewinnen, um die Herkunft der Werke zweifelsfrei klären zu können. In den kommenden Wochen sollen weitere Werke restituiert werden. Edel ist seit Anfang März der vom Amtsgericht München bestellte Betreuer des schwer herzkranken 81-Jährigen, zunächst bis Ende des Jahres. Der Anwalt betreibt gemeinsam mit Kollegen auch die Website www.gurlitt.info, auf der Gurlitts Perspektive auf seine Sammlung und ihren Verbleib dargelegt wird.
In Gurlitts Münchener Wohnung waren 2012 über 1400 Kunstwerke beschlagnahmt worden. Ein Großteil davon soll Nazi-Raubkunst sein, darunter Werke des Expressionismus, Dadaismus, Surrealismus oder Kubismus - Kunstströmungen, die von Adolf Hitler als „entartet“ stigmatisiert worden waren. Gurlitt hatte die Gemälde, darunter Meisterwerke von Picasso, Dürer, Renoir und Toulouse-Lautrec, von seinem Vater, dem Kunsthistoriker und Kunsthändler Hildebrand Gurlitt geerbt.
Gurlitt hatte signalisiert, dass er alle Kunstwerke, die aus „jüdischem Besitz gestohlen oder geraubt wurden“, an deren Besitzer oder Nachfahren zurückgeben wolle. Auch dies bestätigte Edel gegenüber dem Rechercheverbund.
Amtsgericht München ordnete Betreuung Gurlitts an.
Bereits Ende Januar hatte Gurlitt eine solche Rückgabe in Erwägung gezogen. „Er ist gewillt, sich die Raubkunst-Klagen genau anzuschauen und faire und gerechte Lösungen auszuhandeln“, sagte sein bisheriger Anwalt Hannes Hartung damals der Nachrichtenagentur dpa. Hartung sei „mit sofortiger Wirkung“ von sämtlichen Aufgaben des Mandats entbunden worden, erklärte Holzinger am Mittwochabend jedoch ohne Angabe von Gründen. Erst vor wenigen Wochen hatte der 88-jährige New Yorker Anwalt David Toren die Bundesrepublik und Bayern auf die Herausgabe von Max Liebermanns „Reiter am Strand“ aus dem Gurlitt-Konvolut verklagt
Anfang 2012 hatten Steuerfahnder im Zuge von Ermittlungen in der Münchner Wohnung Gurlitts rund 1280 Kunstwerke entdeckt und beschlagnahmt. Rund 500 der zum Teil sehr wertvollen Objekte stehen im Verdacht, Nazi-Raubkunst zu sein. Der Schwabinger Kunstfund kam erst im November 2013 an die Öffentlichkeit und sorgte international für großes Aufsehen.
Was im Salzburger Haus gefunden wurde
Nun fragt man sich, wieso bei der Begehung am 10. Februar nur 60 Werke in Gurlitts Salzburger Haus gefunden wurden. Die bisher unbekannten Kunstwerke seien in einem „zuvor nicht zugänglichen Teil“ des alten Gurlitt-Hauses entdeckt worden, heißt es dazu. Viele fanden sich offenbar hinter sperrigen Gegenständen. Zu den 39 Ölgemälden und Aquarellen unter anderem von Renoir, Monet, Dorot, Pissaro, Gauguin, Cézanne, Nolde, und Toulouxe-Lautrec gehören auch sieben Werke von dem 1897 verstorbenen Landschaftsmaler Louis Gurlitt, dem Großvater von Cornelius Gurlitt. Der mit Abstand größte Teil des Salzburger Konvoluts besteht jedoch aus Zeichnungen, darunter von Picasso und Edward Munch. Auch Silbergefäße, Holzschnitte, Keramikschalen und Bronze-, Marmor- und Eisenkunstwerke etwa von Rodin gehören zur Sammlung. Sämtliche Kunstgegenstände, heißt es in der Mitteilung auf www.gurlitt.info sind an einem sicheren Ort aufbewahrt, werden dort dokumentiert und von Restauratoren betreut. Tsp/dpa