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Sara Danius trat letztes Jahr als Ständige Sekretärin der Schwedischen Akademie zurück.
© AFP

Literaturnobelpreis: Sprung in der Medaille

Im Herbst werden zwei Literaturnobelpreise verliehen - einer für 2018 und einer für 2019. Doch nach einem Neuanfang sieht es derzeit nicht aus.

Wie das wohl im kommenden Oktober werden wird, wenn im Haus der Schwedischen Akademie die Tür aufgeht, der momentan die Geschäfte der Akademie führende Sekretär Anders Olsson mit einem Zettelchen in das Blitzlichtgewitter und vor das Mikrofonwirrwarr der versammelten Weltmedien tritt und die Literaturnobelpreisträgerinnen der Jahre 2018 und 2019 verliest – ob er zuerst den Namen für 2018 nennt? Oder den für 2019, weil das nun einmal das laufende Jahr ist? Ob Anders Olsson womöglich sonst noch was sagt, gar Erklärungen abgibt?

Und welcher dieser beiden Literaturnobelpreise ist der wertigere, weniger anrüchige, nachdem die Akademie und die Nobelpreisstiftung vor zwei Wochen beschlossen hatten, nicht nur 2019 wieder einen zu verleihen, sondern die Verleihung von 2018 nachzuholen? Der Preis des vergangenen Jahres wurde ja aus guten Gründen ausgesetzt: wegen der Aufdeckung des Vergewaltigungs- und Korruptionsskandals und der sich anschließenden Turbulenzen innerhalb der Schwedischen Akademie, nicht zuletzt wegen ihrer Schwierigkeiten, diese in den Griff zu bekommen. Das wirkt nun wie ein Nachklapp, wie hinterhergeschmissen: Hier Haruki Murakami, nehmen Sie ihn endlich, sonst bekommen Sie ihn nie! Oder Sie, Margaret Atwood, sonst müssen Sie vielleicht noch zehn Jahre warten!

Es wurde Zeit, dass Sekretär Horace Engdahl geht

Ist der Literaturnobelpreis nicht überhaupt ramponiert, hat er sein Ansehen nicht grundsätzlich eingebüßt, genau wie die ihn vergebende Schwedische Akademie? Alles, was man aus Stockholm hört, deutet darauf hin, dass es weiterhin knirscht in der Akademie. Von einem echten Neuanfang kann kaum die Rede sein. Immerhin hat sich eines der hartleibigsten Mitglieder, der einstmals ständige Sekretär Horace Engdahl, die Mitarbeit in dem neuen Komitee versagt. Es setzt sich zusammen aus fünf externen und fünf Mitgliedern der Schwedischen Akademie. Engdahl war mit dem rechtskräftig wegen Vergewaltigung verurteilten Jean-Claude Arnault befreundet, dem Ehemann des Akademiemitglieds Katarina Frostenson – und er machte immer den Eindruck, als seien die Verfehlungen von Arnault und Frostenson nur Petitessen (Frostenson wurde nachgewiesen, Namen von Literaturnobelpreisträgerinnen und Literaturnobelpreisträgern vorab verraten und daraus Vorteile gezogen zu haben).

Wie quälend lange sich allein die Trennung von Frostenson hinzog! Und auch dass es Abfindungen gegeben hat für sie und Sara Danius, die ihren Sitz nun ebenfalls endgültig niedergelegt hat. Allerdings tat Danius das erst, nachdem ihr Ansinnen, wieder Ständige Sekretärin zu werden, wie sie es von 2015 bis 2018 war, von der Stiftung abgelehnt wurde. Was ein weiteres Indiz dafür ist, was für eine eigene Gesellschaft mit sehr eigener Moral (und sehr eigenem Finanzgebaren) die Schwedische Akademie ist.

Marke ist Marke, deshalb muss es weitergehen

Trotzdem: Zu den etwas weitsichtigeren Mitgliedern gehörte Danius immer, und sie wurde häufig ausgerechnet von Engdahl kritisiert. Danius sagte kürzlich, dass die nachträgliche Vergabe des Literaturnobelpreises 2018 ein Fehler sei. Aus Respekt vor den Frauen, die von Arnault belästigt worden seien, wäre ein Verzicht angebracht gewesen: „So hätte man in Erinnerung behalten können, dass tatsächlich etwas passiert ist, wie ein Sprung in der Scheibe.“ Wie wahr! Der Literatur und der Welt hätte das nicht geschadet – die eine wird weiterhin geschrieben, die andere dreht sich weiter.

Selbst ein Aussetzen des Literaturnobelpreises 2019 könnte man verschmerzen. Doch Marke ist Marke, mögen sich Akademie und Nobelstiftung gesagt haben. Weshalb die fünf Externen und fünf Akademiemitglieder gerade intensiv lesen und sortieren, um der inzwischen wieder aus 15 Mitgliedern (von 18) bestehenden Akademie (darunter nur drei Frauen) eine Shortlist zu präsentieren, auf dass diese zwei Namen auswähle. Ob es Schriftstellerinnen und Schriftsteller gibt, die den Preis ablehnen, so wie 1964 Jean-Paul Sartre? Bei einem Preisgeld in Höhe von rund 760 000 Euro ist das kaum zu erwarten.

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