zum Hauptinhalt
Nabelschnur. Zu den wenigen Dingen, die Flüchtlinge mitnehmen können, zählt fast immer ein Smartphone.
© picture alliance / dpa

Neue Serie: Kultur und Flüchtlinge: Sprache ist der Schlüssel

Was kann Kultur in Deutschland für Flüchtlinge tun? Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, macht den Anfang unserer neuen Serie.

Wir erleben derzeit eine beeindruckende Willkommenskultur, die das Bild Deutschlands in der Welt nachdrücklich prägt. Willkommen heißen ist jedoch nur ein Beginn. Entscheidend wird sein, wie schnell den Menschen der Zugang zur Gesellschaft ermöglicht wird, wie Lebens- und Berufsperspektiven entwickelt werden können.

Der Begriff „Flüchtlinge“ suggeriert zunächst eine homogene Gruppe, doch das Gegenteil ist der Fall. Jeder Flüchtling hat eine unterschiedliche Biografie, eigene Erfahrungen und Fähigkeiten, die seine Erwartungen bestimmen. Sicher werden alle zunächst aufatmen, aus lebensbedrohenden Krisen- und Kriegsgebieten entkommen zu sein und sich in Sicherheit zu befinden. Aber spätestens nach einem halben Jahr werden die Fragen nach der Zukunft drängender, nicht nur für die eigene Person, sondern auch für die Familie.

Das Goethe-Institut kennt die Situation bereits aus den Herkunftsländern, es sieht die Flüchtlingsproblematik in den Nachbarländern Syriens und des Irak – in der Türkei, Jordanien und Libanon. Die Flüchtlingszahlen dort machen teilweise bis zu 30 Prozent der ursprünglichen Bevölkerung aus. Es ist eine unvorstellbare Belastung, entsprechend eingeschränkt sind auch die Lebensbedingungen, die Arbeitsmöglichkeiten und die Perspektiven der Menschen auf der Flucht.

Projekte in den Lagern sollen verhindern, dass eine verlorene Generation heranwächst

Als international tätige Organisation hat das Goethe-Institut in Zusammenarbeit mit Flüchtlingsorganisationen in den Lagern des Nahen Ostens und der Türkei 2013 damit begonnen, Kultur- und Bildungsprojekte zu realisieren, die besonders Kindern und jungen Erwachsenen sinnvolle Beschäftigungen vermitteln, das Erlebte verarbeiten helfen und kreative Alternativen entwickeln lassen. Das sind Kurzfilmprojekte, Theaterprojekte oder sport- und musiktherapeutische Maßnahmen. Sie sollen verhindern, dass es zu einer „verlorenen Generation“ kommt. Ein Kulturproduktionsfonds soll syrische Künstler wieder als Akteure in den Lagern motivieren. Denn der Aufenthalt in den Lagern wird nicht wenige Jahre, sondern eher Jahrzehnte dauern. Deshalb ist es notwendig, das Bleiben erträglicher zu gestalten.

„Kunst gegen Krieg“, das mag naiv klingen. Aber sonst gibt es keine Hoffnung, sondern nur Resignation oder Flucht. Es lohnt sich, in die kulturellen Aktivitäten und die Bildung zu investieren. Es ist kein Allheilmittel, aber ohne dieses kreative Arbeiten geben wir die Menschen auf.

Am besten, die Menschen lernen bereits vor ihrer Ankunft Deutsch

Spracharbeit wird ebenfalls in den Nachbarländern für Flüchtlinge angeboten, hier aber ausschließlich für die sogenannten Kontingentflüchtlinge oder im Zuge der Familienzusammenführung, also für diejenigen, die ein gesicherter Aufenthalt in Deutschland erwartet. Hier müsste es zu einer Erhöhung der vorbereitenden Sprachkursstipendien für diese Gruppen kommen. Dies wäre in mehrfacher Hinsicht positiv. Die Wartezeit könnte produktiv genutzt werden, die Kosten wären geringer als in Deutschland und die Menschen könnten schneller in Deutschland integriert werden.

Sprache ist der Schlüssel zur Integration, um in Deutschland am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, ein Studium zu beginnen oder sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Ausreichende und differenzierte Angebote zum Deutschlernen sind deshalb von zentraler Bedeutung. Das gehört zum Kerngeschäft des Goethe-Instituts, einschließlich der Fortbildung von Deutschlehrern.

Das Smartphone soll beim Deutschlernen helfen

Nabelschnur. Zu den wenigen Dingen, die Flüchtlinge mitnehmen können, zählt fast immer ein Smartphone.
Nabelschnur. Zu den wenigen Dingen, die Flüchtlinge mitnehmen können, zählt fast immer ein Smartphone.
© picture alliance / dpa

Aufgrund der außergewöhnlichen Situation und des rasant steigenden Bedarfs an Deutschkursen erweitert das Goethe-Institut sein Angebot für Fortbildungskurse, in denen Ehrenamtlichen ein Grundlagenwissen Deutsch in der Spracharbeit mit Flüchtlingen vermittelt wird. Nach einer Erprobungsphase können jetzt alle zwölf Standorte in Deutschland hier tätig werden. Ausgewählt werden die Teilnehmer von Organisationen wie Caritas, Innere Mission, Deutsches Rotes Kreuz oder Diakonie. Die bisherigen Ergebnisse sind außerordentlich positiv.

Eines vereint die Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen:  Fast alle besitzen ein Smartphone. Das Goethe-Institut will deshalb sein bestehendes Angebot für Selbstlernprogramme auf Tablets und Smartphones so gestalten und erweitern, dass es für den Einstieg ins Deutschlernen breit genutzt und auch mit den häufigsten Herkunftssprachen, zum Beispiel Arabisch, verknüpft werden kann. Dadurch könnte die Reichweite erheblich erhöht werden, ein nicht zu unterschätzender Aspekt bei den großen Zahlen.

Es gibt auch eine Gruppe von Flüchtlingen mit guter Ausbildung, die ein hohes Interesse an hochwertigen Kursen für einen schnellen Einstieg in den Arbeitsmarkt und eine überdurchschnittliche Bereitschaft zur sprachlichen Fortbildung haben. Hier wäre die Teilnahme an Intensivkursen sowohl im Präsenzunterricht als auch in betreuten Online-Kursen zu ermöglichen. Da Goethe-Institute in Deutschland keine öffentlichen Mittel erhalten, müsste neben dem eigenen Angebot einer großzügigen Rabattierung eine Zusatzfinanzierung überlegt werden. Die damit erreichbare Verfügbarkeit von hoch qualifizierten Fachkräften würde diesen Ansatz in jedem Fall legitimieren.

Ein großartiges Geschenk hat die Japan Art Association in Berlin dem Goethe-Institut am 10. September dieses Jahres gemacht – anlässlich der Bekanntgabe der Preisträger des Praemium Imperiale, des Nobelpreises der Künste. Sie stiftete für Deutschkurse und kulturelle Bildung für Flüchtlingskinder in Deutschland 100 Millionen Yen, das sind 750 000 Euro. Damit können Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 12 und 17 Jahren bedacht werden. Die ersten Kurse beginnen jetzt in München und Schwäbisch Hall, ebenso Kultur- und Freizeitprogramme. Außerdem ist ein Sprach- und Wissensfernsehen für Kinder geplant, das ebenfalls der Integration mit einer großen Breitenwirkung dient.

Bei allen akuten Nöten und den erforderlichen Anforderungen für die Integration in Deutschland sollte nicht vergessen werden: Nicht alle Menschen sind Nomaden. Deshalb arbeitet das Goethe-Institut intensiv an Maßnahmen, die der Destabilisierung von Gesellschaften entgegenwirken. Kristallisationskerne in erodierenden Gesellschaften können bildungsnahe Akteure sein, mit denen wir Lerngemeinschaften gründen, eine kulturelle Infrastruktur auf- und ausbauen und Perspektiven am Ort schaffen. Gute Beispiele dafür gibt es in Afrika und Südostasien: Nicht für die Migration qualifizieren, sondern für das eigene Land!

Klaus-Dieter Lehmann ist Präsident des Goethe-Instituts. In loser Folge drucken wir Beiträge von führenden Vertretern deutscher Kulturinstitutionen, die sich mit der Frage beschäftigen: Was können wir für Flüchtlinge tun – und wie verändert das Kunst und Kultur?

Klaus-Dieter Lehmann

Zur Startseite