Neuerwerbung für das Potsdam Museum: Späte Rückkehr
1937 musste die Malerin Lotte Laserstein emigrieren. Sie kehrte nie mehr aus dem schwedischen Exil zurück. Ein Selbstporträt erzählt ihre Geschichte.
Manchmal kann es ganz schnell gehen. Eigentlich hatte der britische Sammler das 1950 entstandene Selbstporträt von Lotte Laserstein (1898 – 1993) der Neuen Nationalgalerie angeboten, der er bereits zehn Jahre zuvor „Abend über Potsdam“ verkauft hatte. Es wäre das perfekte Pendant gewesen, denn auf dem zwanzig Jahre später gemalten Selbstbildnis war genau jenes Hauptwerk der Künstlerin im Hintergrund zu sehen. Der Nationalgalerie-Kurator lehnte jedoch dankend ab. Bei ihm wäre das Porträt eher im Depot gelandet, nur zeitweilig in Ausstellungen zu sehen gewesen. Stattdessen sagte er der Direktorin des Potsdam Museums Bescheid, dass es da eine interessante Offerte gäbe. Sie müsse sich nur beeilen, ein Auktionshaus sei ebenfalls über das Angebot informiert.
Die Ernst von Siemens Kunststiftung ermöglichte den Ankauf
Jutta Goetzmann machte wirklich schnell. Sie kontaktierte sofort den Sammler, bat ihn zu warten und holte den Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung mit ins Boot, der schon damals bei der Erwerbung des „Abends über Potsdam“ für die Neue Nationalgalerie zu den Geldgebern gehörte. Martin Hoernes stand auch diesmal – nach Einholung von Gutachten – parat und stellte den nun geforderten fünfstelligen Betrag bereit, damit das ungewöhnliche Selbstporträt seinen angemessenen Platz genau dort finden kann, wo das darin zitierte Werk einst entstand.
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Ein Happyend für ein Bild könnte man meinen, würde es nicht eine Beklommenheit auslösen, wie es da so auf der Staffelei im Magnus-Haus am Kupfergraben steht, dem Besucherzentrum der Ernst von Siemens Stiftung. Diesem Gefühl konnte sich wohl keiner bei der Feierstunde entziehen anlässlich der Übergabe des Gemäldes am Dienstag. Viel zu lange war Lotte Laserstein vergessen worden, das schlechte Gewissen schwingt bei ihr immer mit. Der nach innen gerichtete, melancholische Blick der Malerin verstärkt diese Unbehaglichkeit. Gerade darin liegt auch seine Qualität.
Mit der Retrospektive vor zwei Jahren kam endlich der Durchbruch
Heute gehört die 1937 ins schwedischen Exil abgewanderte Malerin zu den großen Wiederentdeckungen der jüngsten Zeit. Die Retrospektive vor zwei Jahren im Frankfurter Städel, anschließend in der Berlinischen Galerie, öffneten endlich auch einem breiten Publikum die Augen, welch kapitale Künstlerin übersehen worden war (Katalog: "Lotte Laserstein. Von Angesicht zu Angesicht." Prestel Verlag, 192 S., 45 €). Ihre erste Ausstellung 2004 im Ephraim Palais, selbst die viel beachtete Erwerbung ihres Hauptwerks „Abend über Potsdam“ durch die Nationalgalerie sechs Jahre später hatte den Durchbruch nicht herbeigeführt.
Mit Lotte Laserstein kehrt eine Malerin der Neuen Sachlichkeit und „verlorenen Generation“ ins Bewusstsein zurück, die nach dem Ersten Weltkrieg jung zu ihrer Form gefunden hatte, im Nationalsozialismus verdrängt wurde, häufig die Flucht antreten musste und dann in der Nachkriegszeit keine Chance mehr bekam, an ihr früheres Schaffen, ihr einstiges Leben, anzuknüpfen. In Deutschland wurde Laserstein nach 1945 schlicht vergessen, denn die gegenständliche Malerei stand nach den Heroen-Bildern der NS-Zeit unter Generalverdacht, war zunächst unerwünscht.
Mit der Ausreise nach Schweden endete die Karriere abrupt
Laserstein blieb in Schweden, wohin sie sich als "Dreivierteljüdin" durch eine Ausstellungseinladung hatte retten können und fand ein eher unbefriedigendes Auskommen als Porträtistin und Auftragsmalerin. „Ihr glanzvoller Aufstieg wird zu verfolgen sein“, hatte das Berliner Tageblatt noch 1929 hoffnungsvoll geschrieben. 1935 musste sie ihre im Atelier gegründete Malschule schließen. Mit der Ausreise nach Skandinavien endete endgültig eine der einst vielversprechendsten Karrieren.
Von diesem tragischen Lebensweg handelt auch das bedrückende Selbstbildnis der Künstlerin aus dem Jahr 1950, das durch Zusammenschau mit ihrem wohl berühmtesten Bild noch einmal an die einstigen Erfolge erinnert. Der „Abend über Potsdam“ hatte bei Lasersteins erster Einzelausstellung in der Berliner Galerie Gurlitt große Beachtung gefunden. Statt es zu verkaufen, behielt sie das fünfköpfige Freundesbildnis jedoch und nahm es mit ins schwedische Exil.
Die gemalten Freunde erinnerten sie an die Potsdamer Zeit
„So ward ihr mir immer nahe“, schrieb sie später an ihr einstiges Lieblingsmodell und die beste Freundin Traute Rose, die zusammen mit ihrem Ehemann, dem Theaterintendanten Paul Rose, ebenfalls auf dem Gemälde zu sehen ist. Ähnlich wie Traute – allerdings leibhaftig – in einem früheren Selbstbildnis aus der Berliner Zeit hinter ihr steht und sie zu ermutigen scheint, hat die Künstlerin nun ihre gemalten Freunde hinter sich geschart.
Allerdings war es schon damals, 1930, kein glücklicher Moment, in dem sie ihre Freunde vor dem Potsdamer Panorama erfasste. Die Gruppe ist wie apathisch in Schweigen versunken. Eine drückende Ungewissheit lastet über dem Beisammensein, als wüssten die Freunde, dass eine schwere Zeit auf sie zukommt. Und doch konnten sie nicht ahnen, was sich zusammenbraut, dass ausgerechnet Potsdam und die in der Stadtsilhouette sichtbare Garnisonkirche von den Nationalsozialisten als Ort auserkoren werden würde, an dem am 21. März 1933 Hitler symbolträchtig Hindenburg die Hand reichen sollte, um damit den Übergang zur Alleinherrschaft zu ebnen.
Die Künstlerin verschwand vom Radar, Figuration war nicht erwünscht
Indem Lotte Laserstein das prophetische Freundesbild zwanzig Jahre später in ihrem Selbstbildnis zitiert, nimmt sie neben der Erinnerung an den damaligen Erfolg und die Berliner Karriere auch die weitere Entwicklung mit hinein – den Untergang einer ganzen Kultur, den zivilisatorischen Bruch und das Ende zahlloser Lebensentwürfe. Gerade dadurch wird das Bildnis bedeutend für das Potsdam Museum. In der neuen Dauerausstellung ab 2023 soll es besonders gewürdigt werden. In Potsdam traf Laserstein ihre Freunde, fand sie Auftraggeber. Ihre psychologisierenden Porträts waren begehrt. Heute faszinieren insbesondere ihre Bildnisse junger, selbstbewusster Frauen. Dass die Künstlerin vom Radar verschwand, mag auch daran liegen, dass sie sich nie eindeutig der Neuen Sachlichkeit zuordnen ließ und dadurch auf den späteren großen Überblicksausstellungen fehlte. Ihr spätimpressionistisch lockerer Pinselduktus galt selbst in ihrer eigenen Zeit als als zu akademisch. Die Härte, ja Schärfe einer Jeanne Mammen findet sich bei ihr nicht.
Laserstein malte sich eingezwängt zwischen Bild und Staffelei
Laserstein hatte keine Chance sich weiterzuentwickeln. Wie beengend und perspektivlos sie die neue Lebenssituation in Schweden empfunden haben muss, lässt sich ebenfalls an dem Bild ablesen. Waren in früheren Selbstporträts noch Ausschnitte ihres Stockholmer Ateliers zu sehen, erscheint die Künstlerin im Malerkittel nun geradezu eingeklemmt zwischen der eigenen Staffelei, auf der gerade das neue Bild entsteht, und dem „Abend über Potsdam“ im Hintergrund. Kompositorisch ist dies höchst raffiniert von ihr gelöst. Der Rahmen des zitierten Gemäldes fällt exakt mit der Ecke des gemalten Bildes zusammen.
Es scheint, als schlüpfe die Künstlerin ins Bild hinein, auch wenn es nun spiegelverkehrt zu sehen ist. Lasersteins Welt ist nun auf die Erinnerung, auf das Geviert der Leinwand reduziert. Erst wenige Jahre vor ihrem Tod war ihr noch einmal größere Beachtung beschieden. Die Londoner Galerien „Thos. Agnew & Sons“ und „The Belgrave Gallery“ richteten ihr 1987 eine Doppelausstellung ein, auf der beide Gemälde zu sehen sind und ihren Käufer fanden. Den Durchbruch in ihrem Heimatland aber sollte die Künstlerin nicht mehr erleben.
Das Bild ist eine Brücke nicht nur nach Berlin
Für Potsdam stellt das Selbstbildnis eine Brücke dar – nicht nur nach Berlin, wo in der Neuen Nationalgalerie mit der Eröffnung des Mies van der Rohe-Baus 2021 das Freundesbild zu sehen sein wird. Wie Laserstein, die mit ihrer Leinwand mit der S-Bahn zwischen beiden Städten hin- und herfuhr, um das Werk in ihrem Berliner Atelier zu vollenden, wird auch der Besucher sich auf den Weg machen müssen, um den Eindruck aus Potsdam zu vervollständigen. Ihr Selbstbildnis schlägt außerdem einen Bogen in die Gegenwart. So animierte der „Abend über Potsdam“ vor drei Jahren zu einer gleichnamigen Inszenierung am Hans Otto Theater, ein Jahr später schuf der Potsdamer Künstler Stefan Pietryga ein Triptychon, mit dem er die Vorlage von Laserstein in die Gegenwart überführte. Darauf sind ebenfalls fünf junge Leute zu sehen, allerdings in Jeans, T-Shirt und Birkenstock-Sandalen gekleidet. Ihr Standort ist diesmal die Terrasse des Potsdamer Rechenzentrums, in dem sich heute ein Kreativzentrum mit Ateliers befindet, darunter das von Pietryga. Auch bei ihm weitet sich der Blick über die Stadt, in deren Silhouette allerdings die Garnisonkirche fehlt.
Der „Abend über Potsdam“ stimuliert noch heute Künstler
In der künftigen Dauerausstellung des Potsdam Museums wird Pietrygas Triptychon ebenfalls zu sehen sein und verdeutlichen, wie visionär Lotte Lasersteins „Abend über Potsdam“ damals war und welche Tragweite ihr Selbstporträt besitzt. Die im Bildnis durch das Zitat durchgespielten Zeitebenen gelten auch für die Stadt selbst – in welcher Blüte sie einst stand, was sie durchlitten hat und welche aktuellen Auseinandersetzungen etwa um den Wiederaufbau der Garnisonkirche noch immer schwelen. Mit Glück wird die Museumsdirektorin ein weiteres Gemälde der Künstlerin bekommen, das ebenfalls einen Potsdam-Bezug hat. Gerade werden die Verhandlungen um eine Dauerleihgabe mit dem Sammler geführt.
Ein wenig wird man sich also gedulden müssen, bis sowohl das Selbstporträt im Potsdam Museum als auch der „Abend über Potsdam“ in der sanierten Neuen Nationalgalerie zu sehen sind. Im Vergleich zum jahrzehntelangen Ausbleiben der Anerkennung für Lotte Laserstein dürfte sich diese Wartezeit aber kurz anfühlen.