"Hase Hase" am Schillertheater: Solidarisch gegen Matratzenmangel
Die Komödie am Kurfürstendamm bringt „Hase Hase“ zurück ans Schillertheater – mit Katharina, Anna und Nellie Thalbach.
Auf der Bühne des Schillertheaters ist eine Zeitmaschine gelandet. Sie hat sich aus dem Jahr 1992 herübergebeamt und die Inszenierung „Hase Hase“ von Benno Besson eingepackt, mit Katharina Thalbach als Nesthäkchen einer schrecklich netten Familie. Gemeint als Gruß an die Berliner Kulturpolitik: Schaut mal, so wild und lustig ging’s hier zu, bevor ihr den Laden dichtgemacht habt. Was sich ja, ohne besserwisserisch klingen zu wollen, als krachender Knieschuss erwiesen hat. Vielleicht entwickelt ihr mal eine zukunftsfähige Idee für dieses Haus? Und jetzt viel Spaß mit Coline Serreaus Komödie über Solidarität, und außerirdische Kinder.
Okay, das mit der Zeitmaschine stimmt natürlich nicht. Die „Hase Hase“-Inszenierung, die Martin Woelffers Komödie am Kurfürstendamm in ihrer Ausweichspielstätte an der Bismarckstraße zur Wiederentdeckung anbietet, ist taufrisch. Regie führt die Autorin höchstselbst, die zum ersten Mal an einem deutschen Theater arbeitet. Und zwar inmitten eines wildwuchernden Geflechts aus familiären Verbandlungen und historischen Bezügen.
Auf der Bühne stehen vier Besson-Kinder: Nathanael, der gemeinsame Sohn von Benno und Coline Serreau, außerdem Pierre und Philippe Besson sowie deren Halb-Schwester Katharina Thalbach, die wiederum ihre Tochter Anna und Enkelin Nellie zur Seite hat. Damals, 1992, als die deutschsprachige Erstaufführung von „Hase Hase“ am Schillertheater gefeiert wurde, war noch Ursula Karrusseit als Mutter dabei, Benno Bessons Ex. Vielleicht sollte man mal ein epochales, mehrere Generationen umspannendes Familienstück über diesen Theater- Clan schreiben, oder wenigstens eine Soap.
Das Erfolgsidyll entpuppt sich als Fake
Das Gute ist: Auch ohne dieses verwandtschaftliche Background-Brimborium im Kopf macht Coline Serreaus Neu- Inszenierung einen Heidenspaß. Die Geschichte, von der Autorin hier und da aktualisiert, hat mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Schließung des Schillertheaters, wo sie bis zuletzt auf dem Programm stand, nichts an subversivem Witz verloren. Mutter und Vater Hase (Pierre Besson und Markus Völlenklee) freuen sich, dass in ihrer arg beengten Hütte bald mehr Platz ist. Sohn Jeannot (Raphael Dwinger) arbeitet als Dolmetscher beim Europäischen Parlament, dem Ältesten Bébert (Philippe Besson) steht eine Karriere als Mediziner bevor, Tochter Marie (Nellie Thalbach) ist schon unter der Haube, ihre Schwester Lucie (Anna Thalbach) will es ihr gleichtun, und das jüngste Kind im Hasen-Stall, Hase Hase (wie schon’92 von der mittlerweile 65-jährigen Katharina Thalbach gespielt), ist ein Mathe-Genie, das nichts als Freude macht.
Offenes Wohnsilo mit kubistischen Knicken
Leider nur entpuppt sich dieses Erfolgsidyll als Fake an allen Fronten. Jeannot zum Beispiel wird von der Polizei gesucht, weil er Geflüchtete mit falschen Papieren ausstattet. Die Beziehungen der Töchter sind zerrüttet, der Vater verheimlicht seine Arbeitslosigkeit, Bébert ist ein heimlicher Cyber-Terrorist – ein Update der Autorin, weil sich die Terror-Konnotationen seit der Uraufführung doch deutlich verschoben haben und nur noch wenig linksromantische Umsturz-Fantasien zulassen. Und Hase Hase hat man schon längst von der Schule geschmissen. Ach so, und außerdem ist er ein Außerirdischer, der mit höheren Mächten in Kontakt steht. Als Resultat wird’s jedenfalls unerwartet wieder voll im Hase-Bau, den Bühnenbildner Momme Röhrbein als offenes Wohnsilo mit kubistischen Knicken errichtet hat – toll!
Klar weckt diese Geschichte über Zusammenhalt in sozial prekären Verhältnissen Assoziationen an gegenwärtige Gelbwesten-Proteste. Natürlich hört man unterschwellig den Bocksgesang des anschwellenden Rechtspopulismus, dem hier ein Ausrufezeichen der Solidarität entgegen gesetzt wird. Etwas beklemmend ist einzig die (frenetisch beklatschte) Szene, in der sich Tochter Lucie aus Provokationslust mit einem Kopftuch bekleidet, das die resolute Frau Mama ihr mit begleitender Tirade gegen die Unterdrückung der Frauen wieder abnimmt. Ob feministisches Empowerment auch so viel Beifall bekäme in Kontexten, die nicht unter Islamophobie-Verdacht fallen?
Pierre Besson ist eine Wucht in der Rolle der Mutter
Ungeachtet dessen ist Pierre Besson eine Wucht in der Rolle der Mutter Hase. Ganz ohne Charleys-Tante-Travestie stellt er eine vom Leben verhärtete Frau auf die Bühne, die noch den irrsten Widrigkeiten mit unverbrüchlichem Überlebensbiss trotzt. Hervorragend ist auch Johanna Schall als Nachbarin Duperri, die sich trotz des ohnehin schon herrschenden Matratzenmangels auch noch bei den Hases einquartiert– allerdings aus Einsamkeit. Ein schönes Stoßgebet schickt sie zum Himmel: „Mach, mein Gott, dass mir jemand einen Blumenstrauß zu meinem Geburtstag kauft, es kann auch ein ganz kleines Tulpensträußchen sein, Tulpen sind nicht teuer“.
Und Katharina Thalbach? Sieht mit ihrem roten Haarschopf und in Latzhosen aus wie ein Sams ohne Rüssel und Wunschpunkte, lässt ihr Talent für die Farce sprühen und sucht immer wieder mit herrlich irrlichternden Blicken den Schulterschluss mit dem Publikum. Am Ende gibt’s Standing Ovations. Alles wie früher.
Vorstellungen bis 24. Februar
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