„Obacht! Lumpenpack“ von Kate Beaton: So lustig war die Französische Revolution
Clever, unorthodox und urkomisch: Die Kanadierin Kate Beaton nimmt in ihrem Webcomic „Hark! A Vagrant“ Literaturklassiker auseinander und schreibt fröhlich die Weltgeschichte um. Jetzt ist mit „Obacht! Lumpenpack“ ein Sammelband auf Deutsch erschienen.
Wussten sie, dass Jules Verne seinem Idol Edgar Allan Poe peinliche Fanboy-Briefe schrieb? Dass die Hipster schon im Frankreich des 18. Jahrhunderts alles verdorben haben? Oder dass Draculas Vampir-Ladys Jonathan Harker vor allem deshalb in Angst versetzten, weil sie das Wahlrecht forderten? Stimmt nicht? Egal, in den Comics der kanadischen Zeichnerin Kate Beaton ist eben manches möglich, was in der (scheinbar) trockenen Welt der Literatur und der Geschichte sonst Tabu wäre – von viktorianischen Sitcoms über „Robinson Crusoe“ erzählt aus der Sicht des genervten Freitag, bis hin zum heiligen Franziskus, der von seinen Vögeln mit Marihuana versorgt wird.
Von Kritzeleien zum „New Yorker“
In den USA und Kanada hat Beatons Webcomic „Hark! A Vagrant“ längst eine treue Anhängerschaft, ihre Bücher stehen auf den Bestsellerlisten und sogar die Magazin-Aristokratie wie „The New Yorker“ oder „Harpers Magazine“ druckt die Strips der viermaligen Harvey Award-Preisträgerin ab. Nun kommt Beatons erste Print-Veröffentlichung auf Deutsch heraus: „Obacht! Lumpenpack“. Die Autorin stellte ihr Buch in den vergangenen Tagen bei einer Deutschland-Tour vor.
Begonnen hatte alles vor etwa zehn Jahren während des Geschichts- und Anthropologie-Studiums: In Arbeitspausen vertrieb Beaton sich die Zeit, indem sie mit Microsoft Paint Comics über ihre größte Leidenschaft kritzelte – Literatur und Geschichte. Nachdem ihre Strips in einer Studentenzeitung abgedruckt wurden, drängten Beatons Freunde darauf, dass sie ihre Arbeiten auch online veröffentlichen solle. Das tat sie 2007 – und wurde praktisch über Nacht zum Shooting Star der amerikanischen Indie-Comic-Szene.
Intelligent, lehrreich – und überaus albern
Dabei kommen Beatons Themen erst mal reichlich nerdig daher: Fröhlich dekonstruiert sie Klassiker wie „Der große Gatsby“, „Charlie und die Schokoladenfabrik“, „Macbeth“ oder „Schuld und Sühne“, spekuliert schwarzhumorig über die Liebe im Mittelalter oder schreibt einfach mal die Französische Revolution oder den Zweiten Weltkrieg um. Nicht selten handelt es sich dabei um Insider-Witze, weshalb unter vielen der Strips auch ein kleiner, launiger Kommentar der Autorin steht.
Die Comics sind allerdings derart komisch, überraschend und großartig gezeichnet, dass es gar nicht stört, wenn einem die behandelten Bücher oder Persönlichkeiten erst mal nichts sagen. Beatons Taktik scheint darin zu bestehen, dass die Leser ihre Bildung erweitern müssen, wenn man viele ihrer Pointen verstehen will: „Sollten Sie also nach der Lektüre dieser Comics das ein oder andere gelernt oder nachgeschlagen haben, so bin ich mehr als zufrieden!“, schreibt sie im Vorwort. „Wenn’s Ihnen nur um Albernheiten geht, davon ist auch jede Menge dabei.“ Das ist wahr: Selten ist jemand so unorthodox durch die die Hallen der Hochkultur spaziert – Beaton geht zwar immer liebevoll mit den Objekten ihres Spotts um, aber heilig ist ihr nichts. Ihre Comics sind ein wenig wie Monty-Python-Sketche: Unglaublich albern, aber man merkt dennoch, dass sie von hochintelligenten Menschen geschrieben wurden.
Beaton rückt die Geschichte humorvoll zurecht
Immer wieder wirft Beaton dabei erfrischende Blicke auf viele historische und literarische Schicksale von Frauen (zum Beispiel der Mathematikerin Ada Lovelace, der Chemikerin Rosalind Franklin oder der Brontë-Schwestern) und rückt den Fokus auf von der Geschichte vergessene Persönlichkeiten (zum Beispiel den schwarzen Polarforscher Matthew Henson oder den kanadischen Politiker Lester Pearson). Man wird schnell süchtig nach immer neuen Strips, um zu erfahren, welches Thema Beaton als nächstes ausgräbt und welche Sichtweise sie darauf präsentiert.
Wer Beatons Comics liest und ihren Werdegang verfolgt, muss unwillkürlich an Randall Munroe denken: Auch der Schöpfer des äußerst populären Webcomics „xkcd“ begann mit Kritzeleien während seiner Arbeit als Physiker und verarbeitete darin zahlreiche naturwissenschaftliche Insider-Themen, über man oft nur mit dem entsprechenden Vorwissen lachen kann. „Hark! A Vagrant“ ist gewissermaßen „xkcd“ für Geisteswissenschaftler – kein Wunder, dass Beatons Comics dermaßen eingeschlagen sind. Eine Saat, die hoffentlich auch im Literatur-begeisterten Deutschland auf fruchtbaren Boden fallen wird.
Kate Beaton: Obacht! Lumpenpack, Zwerchfell Verlag, 168 Seiten, schwarz-weiß, Hardcover, 24 Euro
Weitere Artikel unseres Autors Erik Wenk finden Sie hier. Sein Weblog mit Essays und Comics findet sich hier: elfenbeinbungalow.de.
Erik Wenk
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