Graphic Novel: Auf dünnem Eis
Simon Schwartz' Graphic Novel „Packeis“ ist eine aufregende literarische Annäherung an die Wirklichkeit.
Für die einen war es eines der ruhmreichsten Abenteuer der jüngeren Zeit – für die anderen eine Gotteslästerung und eine Heimsuchung des Teufels, der nach dem Glauben der Inuit am kältesten Punkt der Welt lebt. Mit geschickten Perspektivwechseln erzählt Simon Schwartz in seiner Graphic Novel „Packeis“ die Geschichte der ersten Eroberung des Nordpols vor gut 100 Jahren als packendes Lehrstück über menschliche Hybris und ihre Folgen.
Dass er es versteht, in klaren, auf den ersten Blick naiv wirkenden Bildern Geschichten von überraschend hoher Komplexität und Emotionalität zu erzählen, hat der in Erfurt geborene, in Berlin aufgewachsene und heute in Hamburg lebende Comicautor vor drei Jahren mit seinem viel gelobten Graphic-Novel-Debüt bewiesen, der autobiografischen Familiengeschichte „drüben!“.
Leidenschaft und Wahn
Für „Packeis“ hat Schwartz sich künstlerisch und erzählerisch noch einmal deutlich weiterentwickelt. Vor dem Hintergrund des wahnwitzigen Wettlaufs zum Pol entfaltet er seine weitgehend auf realen Begebenheiten beruhende Geschichte von Leidenschaft und Wahn, Triumph und Betrug. In sorgfältig komponierten Bildern führt er vor Augen, wie unterschiedlich die Beteiligten die dramatischen Reise ans Ende der Welt erlebten. Im Zentrum steht die Erinnerung des wegen seiner schwarzen Hautfarbe um die Früchte seiner Leistung betrogenen afroamerikanischen Polarforschers Matthew Henson. Er war es, der dem launenhaften, rassistischen Expeditionsleiter Robert Edwin Peary dessen größten, wenngleich unverdienten Triumph bescherte – und dem der Ruhm als erster Mann am Pol lange verwehrt blieb. 1955 Jahren starb der von den Inuit als mystisches Wesen Mahri Pahluk verehrte, aber von seinen weißen Zeitgenossen weitgehend ignorierte Abenteurer einsam und verarmt in New York.
Erst posthum wurde Henson für seine wissenschaftlichen Verdienste geehrt. Die Abenteuer der beiden Forscher kontrastiert Schwartz mit der von Mythen geprägten Sichtweise der Inuit, in deren Land die Eroberer einfallen – und alles rauben, was den in der Folge zu Sklaven und billigen Arbeitskräften degradierten Ureinwohnern heilig ist.
Für den Max-und-Moritz-Preis nominiert
Die vom Künstler in dezentem Blau kolorierten Bilderfolgen, die an die nordamerikanischen Comicästheten Chris Ware und Seth erinnern, verknüpfen scheinbar mühelos Zeiten, Orte und Perspektiven. Die Charaktere, deren Linien Assoziationen an Hergés „Tim und Struppi“, aber auch an das populäre DDR-Comicmagazin „Mosaik“ wecken, erweisen sich trotz ihres anfangs schlicht wirkenden Erscheinungsbildes beim Lesen als bemerkenswert vielschichtig. Das liegt zum Teil an dem ohnehin schon reichhaltig dramatischen realen Stoff, der die Grundlage der Arbeit bildet.
Es ist aber vor allem das Verdienst des Erzählers Schwartz: Bei seiner Schilderung stützt er sich zwar auf historische Dokumente, Fotos und Autobiografien der wichtigsten Akteure. Diese ergänzt er aber um eigene Einschätzungen zu deren Gedanken und Gefühlen, was den Stoff auch für Leser interessant macht, die historischen Abenteuergeschichten sonst nicht viel abgewinnen können.
Eine aufregende literarische Annäherung an die Wirklichkeit, die jetzt ganz zu Recht für den diesjährigen Max-und-Moritz-Preis nominiert wurde, die wichtigste deutschsprachige Comic-Auszeichnung.
Simon Schwartz: Packeis, Avant-Verlag, 175 Seiten, 19,95 Euro. Schwartz’ Blog zum Entstehungsprozess des Buches findet sich hier: packeis.blogspot.de.
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