Gedenkkonzert für Opfer des Holocaust: So achtsam wie nie
Die Berliner Philharmoniker spielen die „Violins of Hope“ im Kammermusiksaal, Simon Rattle und Duncan Ward dirigieren.
Anfangs fürchtet man, die Berliner Philharmoniker folgten mit dem Abend „Violins of Hope“ einer Mechanik der Überbietung. Wer könnte Ausgefalleneres offerieren als ein Konzert mit Geigen, die die Emigration, Verschleppung, Lagerhaft, den Tod ihrer jüdischen Besitzer überlebt haben? Doch verflüchtigen sich solche Gedanken schon nach den ersten Sekunden des berühmten, sanft-schönen Adagietto aus Mahlers Fünfter (dirigiert von Simon Rattle), wird dieser Konzertabend im Kammermusiksaal zu einem berührenden und tief beeindruckenden Erlebnis.
Viele Menschen haben daran teil: der israelische Geigenbauer Amnon Weinstein, der seit zwei Jahrzehnten Geigen aus dem Besitz verfolgter Musiker zu sich nimmt und restauriert und der den Philharmonikern für dieses Konzert 15 Violinen und ein Violoncello überlassen hat. Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der das Projekt mit klugen, bedächtigen Worten vorstellt und damit eine Atmosphäre schafft, die von Achtsamkeit geprägt ist. Ulrich Matthes, der in bewunderungswürdiger Weise Passagen liest aus Elie Wiesels autobiografischem Bericht „Die Nacht“ und den Lebenserinnerungen des Geigers Henry Meyer, der 1943 nach Auschwitz deportiert wurde.
Guy Braunstein erzählt von Ernst und Verantwortung
Ihren Anteil haben auch die Zuhörenden im ausverkauften Saal, die selbst beim Applaudieren vorsichtig sind und die sich zum Schluss zu stehenden Ovationen erheben. Der wunderbare Geiger Guy Braunstein, ehemaliger philharmonischer Konzertmeister und inzwischen als Solist tätig, der gemeinsam mit seinem israelischen Kollegen Zvi Plesser (Violoncello) und Emily Hoile an der Harfe Auftritte hat, die mehr von Ernst und Verantwortung erzählen als von dem Wunsch nach Geltung. Der Musikwissenschaftler Albrecht Dümling, der für das umfangreiche Begleitheft eine Dokumentation erstellt hat, die von Stetl-Kapellen und Geigenbauern ebenso berichtet wie von Komponisten oder Musikstudenten.
Der Komponist Ohad Ben-Ari, dessen Uraufführung „Violins of Hope“ ein ganzes Geiger- und Geigen-Leben nachzeichnet, mit schweren Seufzern und einer zarten Dur-Hoffnung, in die sich zum Schluss eine heisere Klangwand schiebt (Dirigent: Duncan Ward). Schließlich die philharmonischen Streicher in kleiner Runde: Niemals hat man sie so achtsam erlebt. Sie nehmen sich sehr zurück. Sie hören ihren Instrumenten zu, in Joseph Achrons „Hebräischer Melodie“ oder Beethovens 2. Violinromanze Klänge erzeugend, die sich so zart entfalten, dass man tatsächlich den Beistand zu vernehmen glaubt, den die Musik angesichts des Holocaust geben konnte und kann.