Als Flüchtling in Deutschland: Skizzen der Not
In Berlin und anderswo machen derzeit Asylbewerber mit Protesten auf ihre prekäre Situation aufmerksam. Paula Bullings grafische Reportage „Im Land der Frühaufsteher“ hilft, ihre Situation zu verstehen.
Die ökonomischen Nöte der rund 130.000 Asylbewerber in Deutschland, welche das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zu den seit sechzehn Jahren nicht mehr erhöhten Regelsätzen vom 18. Juli 2012 aufgegriffen hat, spielen auch in Paula Bullings autobiografischem Bericht eine zentrale Rolle. So verhandeln einige von der Erzählerin gerade kennengelernte Bewohner der „Zentralen Anlaufstelle für Asylbwerber“ in Halberstadt (in Sachsen-Anhalt, dem „Land der Frühaufsteher“) untereinander, wer mit den deutschen Besuchern nach Halle fahren und also in die Disco gehen darf und wer zurückbleiben muss, weil deren Bahnticket nicht für alle reicht. Die „Gewinner“ gehen dann sofort los, weil ihnen das Geld für den Bus zum Bahnhof fehlt.
Kennzeichnend für den Band ist seine hohe Authentizität: Die Unterhaltung wird auf Mòoré geführt, der Sprache der Mossi aus Burkina Faso, und nicht übersetzt. Wie die Autorin und ihre Freundin, so müssen auch wir Leser aus dem Weiteren schließen, worum es im dem Gespräch ging. Jene Unterhaltungen der Autorin, die auf Französisch stattfinden (ihre Freunde in den Heimen stammen meist aus dem frankophonen Afrika, so z.B. aus Mali), werden dagegen übersetzt, wenn auch nicht immer ganz akkurat.
Leider können weder die Zeichnungen noch das Lettering mit der Qualität der Erzählung mithalten. Es ist bisweilen schwierig, die Protagonisten zu erkennen, alles wirkt skizzenhaft. Die bedrückende Atmosphäre der Wohnheime ist dennoch zu spüren, auch weil die ökonomischen Sorgen noch das geringste Problem sind.
Rassismus und Gewalt sind allgegenwärtig – der einzige nicht anonymisierte Protagonist, Azad Hadji, starb im Juli 2009, vermutlich weil Neonazis die Imbissbude, in der er schwarz arbeitete, in Brand gesetzt und ihn nicht ins Krankenhaus gebracht hatten.
Der Band ist damit auch eine Kritik an der skandalösen Verharmlosung und Verdrängung, mit denen viele ostdeutsche Kommunen auf fremdenfeindliche Vorfälle reagieren – mehr dazu aktuell bei Thomas Bürk („Gefahrenzone, Angstraum, Feindesland?“, Verlag Westfälisches Dampfboot).
Was Paula Bulling zeichnerisch nicht gelingt, kompensiert sie inhaltlich und erzählerisch – ihr gelingt sogar das Kunststück, einen Dialog zwischen ihr und einem Freund, der ihr vorwirft, „weiße Bilder von schwarzen Menschen“ zu produzieren, so mit Bildern von einer Demonstration gegen die Residenzpflicht zu kombinieren, dass die Forderung des Freundes, die Betroffenen selbst sprechen zu lassen, ein Stück weit erfüllt wird.
Paula Bulling: Im Land der Frühaufsteher, Avant-Verlag, 120 Seiten, 17,95 Euro. Ein Interview mit Paula Bulling findet sich hier.
Unser Gastautor Dr. Thomas Greven ist Senior Research Fellow am Institut für Internationale Politik, Berlin, und Privatdozent am John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin. Mehr Texte von ihm zu politischen und sozialen Themen im Comic finden sich unter diesem Link.
Thomas Greven
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