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Bunt bleiben. Coldplay mit Sänger Chris Martin (vorne).
© Parlophone/Warner

Neues Album von Coldplay: Sing positiv

Zu Gast bei Geistern: Coldplay feiern mit „A Head Full Of Dreams“ hochtourig das Leben. Über dem siebten Studioalbum der britischen Band liegt statt Überschwang ein Gefühl von Hysterie.

Im Sommer hat Barack Obama eine bemerkenswerte Rede gehalten, es war einer der größten Momente seiner Präsidentschaft. Er sprach in Charleston, wo neun Afroamerikaner in einer Kirche erschossen worden waren, und am Ende seiner Traueransprache stimmte er mit brüchiger Baritonstimme „Amazing Grace“ an, den Gospel-Klassiker, den schon die Sklaven der Südstaaten gesungen hatten. Bei diesem Auftritt, der in Deutschland kaum beachtet worden ist, wurden die Grenzen zwischen Politik und Pop durchlässig. Soul, das war zu sehen und zu hören, besitzt die Kraft zu heilen und zu vereinen.

Obamas Gesang ist jetzt wieder zu hören, als Sample eingebettet in den Song „Kaleidoscope“ auf dem gerade erschienenen Coldplay-Album „A Head Full Of Dreams“. Das Stück, das mit einer verhangenen Spieluhrenmelodie beginnt, sich zur Pianoballade weitet und ins Kirchenkonzert der Trauergemeinde mündet, soll das spirituelle Zentrum der Platte bilden.

Nahkitschpathos ohne Beat

Der Text, gesprochen von einer dunklen, an Johnny Cash erinnernden Altmännerstimme, ist ein Willkommensgruß an Geister und andere Gäste: „Welcome and entertain them all / Be grateful for whoever comes / Because each has been sent as a guide.“ Jeder, der hereinschneit, kann zum Anführer werden. „Kaleidoscope“ bleibt mit seinem Nahkitschpathos ein Fremdkörper im Flow der Songs, seine Stimmung fügt sich schwer ein in den Emo-Pop der Band. Unklar ist, was hier bewiesen werden soll. Dass jeder Mensch es wert ist, beweint zu werden? Dass Obama vorbildlich regiert? Dass Sänger Chris Martin und seine Mitstreiter empathiebegabte, also gute Menschen sind?

Coldplay, 1996 von vier Studenten des University College in London gegründet, waren einmal die Hoffnung des Indie-Rock. Mit ihren ersten Veröffentlichungen „Parachutes“ und „A Rush of Blood to the Head“ brachten sie Mitsingchöre und das große Drama zurück in den Pop. Ein Sänger wie Martin mit seiner himmelhochjauchzenden Falsettstimme schien gefehlt zu haben. Und das rückwärts laufende Video zu „The Scientist“ war sensationell.

Allerdings entschied sich die Band dann dafür, nicht die neuen Radiohead, sondern die nächsten U2 werden zu wollen. Keine Experimente, stattdessen die ewige Wiederholung der immer gleichen Klaviergitarrenhymnenformel. Dabei kamen zwar einige herausragende Popkathedralen wie „Fix You“ oder „In My Place“ heraus, doch die Gruppe musste sich beschimpfen lassen, „wie U2 ohne Eier“ („Spiegel Online“) zu klingen.

Überschuss an Enthusiasmus

„A Head Full Of Dreams“ markiert nun eine Wende. Die Singleauskopplung „Adventure of a Lifetime“ gibt die Richtung vor: zum Dancefloor. Zu Handclaps, elektronisch verzerrtem Backgroundgesang und fröhlich dengelnden E-Gitarren jubelt Martin da: „Turn your magic on, to me she’d say / Everything you want is a dream away.“ Das klingt nach einer Überdosis Think-positive-Ideologie. Wie sich Coldplay ja ohnehin mehr und mehr zu einer amerikanischen Band zu wandeln scheinen. Im Februar werden sie zur Halbzeitattraktion beim 50. Super Bowl in in Santa Clara, Kalifornien.

Aus dem Überschuss von Energie und Ekstase ist Dauerenthusiasmus geworden. Über „A Head Full Of Dreams“ liegt statt Überschwang ein Gefühl von Hysterie. Beim Titelsong, dem Auftakt der Platte, erheben sich aus aufschäumenden Sounds ein energischer Beat und unruhige, an afrikanische Highlife-Musik gemahnende Gitarren. Auch „Oohhahaoo“-Chöre fehlen nicht, der Stadionmoment. Martin verkündet die Botschaft der Befreiung, ganz im Sinne der Kant’schen Selbstermächtigung: „You get a head / A head full of dreams / You can see the change you want to / Be what you want to be.“ Der Mensch hat einen Kopf, und der Kopf ist zum Denken da.

Manie und Depression

Küchenpsychologisch könnte man beim Sänger eine manische Depression diagnostizieren. „Ghost Stories“, bei dem Chris Martin 2014 die Trennung von der Schauspielerin Gwyneth Paltrow verarbeitete, klang schwer depressiv. Mit „A Head Full Of Dreams“, dem siebten Coldplay-Album, feiert er übertourig seine Wiedergeburt. Und doch gibt es zwei große Momente, Songs, die vielleicht bleiben werden: „Everglow“ und „Amazing Day“. Natürlich sind es Balladen, natürlich mit Klavier und Flüstergesang.

„A Head Full Of Dreams“ von Coldplay ist bei Parlophone/Warner erschienen

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