Nachhaltig scheiden: Nie wieder Rosenkrieg
36 Prozent aller Ehen werden geschieden. Eigentlich müssten nun wichtige Dinge verhandelt werden: Kinder, Haus, Geld ... Doch bei vielen kracht es gewaltig – bis zum Hass. Wie es mit einer Mediatorin anders gehen soll.
Am Ende ist ihre Katze tot und sein Auto Schrott. Er hat auf ihr Gästebuffet uriniert, und sie ihn in der Sauna eingesperrt. Am Ende liegen sie da, begraben unter einem Kronleuchter, vereint im Hass. Und selbst im Todeskampf schiebt sie die Hand weg, die er ihr zur Versöhnung reicht. So sieht die Schreckensvision aller Scheidungswilligen aus: wie die finale Szene in Danny DeVitos Film „Der Rosenkrieg“. Die Komödie zeigt auf groteske Art, was passiert, wenn sich die Wutspirale dreht und dreht, sich die Machtspiele und das Wie-du-mir-so-ich-dir zum Albtraum entwickeln und keine Rückkehr zur Normalität denkbar ist.
Die Scheidungsmediatorin Nadja von Saldern kennt diese Mechanismen – in abgeschwächter Form aus ihrem Freundeskreis. Viele ihrer Bekannten trennen sich derzeit nach 20 oder 30 Jahren und kommunizieren von Anfang an über Dritte. „Wenn aber dieser Prozess begonnen hat, wenn der Brief vom Anwalt – ‚Mein Mandant stellt Folgendes fest‘ – im Briefkasten ist und der andere ihn öffnet, dann wird meist das Kriegsbeil ausgegraben.“ Die Messer sind gewetzt, der Partner rüstet zum Gegenschlag.
Eine Seite verteidigen, die andere ausnehmen – das wäre in dieser Situation Nadja von Salderns Job gewesen, wenn sie es bei ihrem Juraabschluss belassen hätte. Keine schönen Aussichten für eine Frau, die auf Schlichtung geeicht ist: „Ich fühle mich schon als Paartherapeutin, seit ich vier war und meine Eltern sich scheiden ließen“, sagt die 47-Jährige. „Ich bin in einer großen Patchworkfamilie aufgewachsen. Mein Vater hat sich drei Mal scheiden lassen, meine Mutter hatte oft Beziehungsprobleme – und ich habe mich immer als Ratgeberin gefühlt.“
Mehrere Coaching-, Therapie- und Mediationsausbildungen später kann die Juristin eine besondere Kombination anbieten: Sie ist Paartherapeutin und Anwältin in einem, Mediatorin und juristische Beraterin für Paare, die sich nicht erst vor Gericht einig werden oder dem Urteil des Scheidungsrichters ausgeliefert sein wollen. Paare, die trotz verletzter Gefühle weder die Kinder instrumentalisieren noch einen Streit um die zweite Zimmerpalme riskieren möchten. Der Frieden ist das Ziel.
Im Jahr 2013 wurden in Deutschland rund 170 000 Ehen geschieden, teilte das Statistische Bundesamt diese Woche mit. Die durchschnittliche Ehedauer betrug 14 Jahre und acht Monate. Etwa 36 Prozent der 2012 geschlossenen Ehen werden im Laufe von 25 Jahren geschieden – ein gutes Drittel. Da kommt eine Menge Arbeit auf die Streitschlichterin zu.
Mit ihrem Ansatz liegt Nadja von Saldern im Trend. Eine friedliche Trennung gehört zum guten Ton. In den Niederlanden gibt es ein „Divorcehotel“, wo man an einem Wochenende die Scheidung vollziehen kann – untergebracht in getrennten Luxuszimmern, unterstützt von einem Mediatorenteam. In den USA bieten Spezialisten Scheidungsyoga-Kurse an: Übungsfolgen, die der Bewältigung von Trauer dienen sollen. Heute feiern Paare Scheidungspartys, um das Ende ihrer Ehe zu zelebrieren. Statt der Türen knallen Sektkorken.
Unlängst gaben Hollywood-Star Gwyneth Paltrow und Sänger Chris Martin (siehe Foto) die Auflösung ihrer Ehe so bekannt: „We consciously uncouple and coparent.“ Eine Art „bewusste Entpaarung“ oder nachhaltige Trennung also, verbunden mit harmonischer Elternschaft. Auch die Schauspieler Antonio Banderas und Melanie Griffith, die gerade nach 18 Jahren Ehe die Scheidung eingereicht haben, nennen ihre Trennung „liebevoll und freundschaftlich“. Vor langer Zeit folgte auf eine Vernunftehe mit etwas Glück die Liebe. Heute folgt auf die Liebesheirat die Vernunftscheidung. Lass uns Freunde bleiben! Ein No-Go-Satz wird zum Konzept.
Scheidungspartys zu feiern, ist das nicht geschmacklos? Im Gegenteil, findet die Mediatorin aus Potsdam. Trennungsrituale seien wichtig. Nadja von Saldern rät ihren Klienten dazu. Manche gehen gemeinsam an einen See und werfen die Eheringe hinein. Andere durchblättern das Hochzeitsalbum und klappen es zusammen zu.
Wer eine Beziehung zu einem schönen Abschluss bringt, hat größere Chancen, die Krise zu verarbeiten. „Es ist kein schönes Gefühl, eine Leiche im Keller zu haben“, sagt von Saldern. Einer ihrer Klienten zersticht noch immer die Autoreifen seiner Ex, obwohl die Trennung zehn Jahre her ist und er längst in einer neuen Partnerschaft lebt. Manche, erzählt sie, sagen noch nach 20 Jahren, ihre Scheidung sei das Schlimmste gewesen, was sie je erlebt hätten.
„Man trennt sich nicht ohne Grund“, sagt von Saldern. „Es gibt Hassgefühle oder Wut. Oft kippen Leute in dieser Situation um und werden plötzlich zu schlechten Menschen.“ Schier unmöglich, in so einer Situation all die wichtigen Fragen zu klären, die eine Scheidung aufwirft: Wer kümmert sich um die Kinder? Wie machen wir das mit dem Haus? Was passiert mit der Altersvorsorge oder den Schulden?
Einen Tag dauert eine Scheidungsmediation in der Regel, rund 800 Euro kostet sie. Die gemeinsam aufgesetzten Schriftstücke und Vereinbarungen sind rechtlich verbindlich. Partner, die jeweils einen Anwalt für einen langwierigen Rechtsstreit beauftragen, müssen dafür mehr bezahlen. Zu Beginn der Mediation wird im Einzelgespräch geklärt: Warum bin ich hier? Dann verteilt die Mediatorin Kärtchen, und auf jedes kommt ein Thema: Vom Streit ums Auto bis zur Frage, wie viele SMS man dem anderen schicken darf. Jeder schildert seine Befindlichkeiten: Wie geht es mir? Welche Ängste habe ich? Für den Zuhörer gilt: Kein Kritisieren! Die „unüberbrückbaren Differenzen“ werden neutral analysiert.
„Dann kommt mein Hollywood-Sinnbild“, sagt Nadja von Saldern. „Ich sage den beiden: Wenn ein Disney-Film entsteht, gibt es einen Raum voller Leute, die nur verrückte Ideen haben. Die denken nicht darüber nach, was realisierbar ist, die spinnen einfach rum.“ Raus aus festgefahrenen Spuren, neu denken, Lösungen finden. Da beschließt plötzlich ein Paar, das stundenlang darüber gegrübelt hat, wer in der Wohnung bleiben darf, dass doch beide dort wohnen können. Oder ein Mann, dessen Exfrau 20 Jahre nach der Scheidung Geld von ihm will, gibt nach, obwohl sie ihn damals betrogen und sich getrennt hat. Sein Deal: Er gibt ihr monatlich 500 Euro, aber sobald sie von ihren Eltern erbt, kriegen die gemeinsamen Kinder die eingezahlte Summe.
Manche Klienten, die vor Nadja von Saldern sitzen, haben eine lange Krise hinter sich. Seit Jahren kein Sex, kein vernünftiges Gespräch. Dann bricht in der Praxis hervor, was verdrängt wurde. „Neulich hat eine Frau 15 Minuten geweint. Eine Viertelstunde in einer solchen Situation – das ist lang.“ Einige Partner bemerken erst dann, wie endgültig die Entscheidung ist. Jedes Detail, das sie nun verhandeln, ist ein weiterer kleiner Riss. „Im Moment, in dem die Trennung ausgesprochen wird, habe ich viele Männertränen erlebt“, sagt von Saldern.
In 53 Prozent der 2012 deutschlandweit geschiedenen Ehen hat die Frau den Scheidungsantrag gestellt, in 40 Prozent der Mann. Sieben Prozent der Scheidungen waren von beiden Partnern gewünscht. Nadja von Saldern ist eine Ausnahme: In ihrer Praxis melden sich häufiger Männer. Vielleicht, vermutet sie, trage ihre juristische Ausbildung dazu bei, dass sie stärkeres Vertrauen zu ihr haben.
Scheitern Nadja von Salderns Klienten in der Paartherapie, gehen manche direkt in die Scheidungsmediation. „Wenn die Trennung unausweichlich bleibt, ist es gut, dass ich die Geschichte des Paares kenne und es durch die Scheidung leiten kann.“ Sie gibt keine Lösungen vor, sondern wirft Fragen auf und bleibt neutral. „Nur wenn etwas gegen das Wohl der Kinder geschieht, werde ich streng.“
Fast die Hälfte aller geschiedenen Paare hat Kinder unter 18 Jahren. 2012 waren 143 000 minderjährige Kinder betroffen. Ihnen einen Rosenkrieg zu ersparen ist ein Hauptziel der Mediation. „Wenn die Eltern sich weiterhin verstehen, ist das für die Kinder ein Geschenk“, sagt Nadja von Saldern. „Ich kenne das: Meine Eltern feiern immer noch zusammen Weihnachten, obwohl sie seit 35 Jahren geschieden sind.“Die Kinder müssen wissen: Die Partnerschaft geht zu Ende, nicht die Elternschaft. Und die Schuld am Scheitern der Beziehung liegt allein beim Paar.
Manchem Paar, sagt von Saldern, hätte die Trennung erspart bleiben können, wenn es sich früher Hilfe geholt hätte. Die 47-Jährige, selbst verheiratet, beherzigt diesen Rat und geht gemeinsam mit ihrem Mann zum Therapeuten, um zu gucken, „was in all den Ehejahren unbemerkt hochgewachsen“ ist. „Unkraut jäten“, nennt sie das.
Bei ihren Klienten geht es nicht mehr ums Unkraut, sondern um den ganzen Garten. Für die Therapeutin ist das anstrengend: „Die Energien, die da im Raum schweben, das ist der Wahnsinn.“ Der Scheidungsanwalt in „Der Rosenkrieg“, gespielt von Danny DeVito, ist nach kurzer Zeit mit dem Paar ein psychisches Wrack – und raucht nach Jahren der Abstinenz wieder. So schlimm wird es für Nadja von Salden nicht werden: Die Vernunftscheidung ist auf dem Vormarsch.
Lydia Brakebusch
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