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Sarah Connor am Samstagabend in der Mercedes Benz Arena, Berlin
© imago images/Votos-Roland Owsnitzki

Sarah Connor bei Berlin-Konzert: Sie verweigert „AfD-Idioten“ ihr Herz

Delmenhorst kann stolz sein: Die Pop- und Schlagersängerin Sarah Connor demonstriert in der Benz-Arena, dass sie sich um die Welt sorgt.

„Element of Crime“ hatten einst drüber gesungen: „Ich bin jetzt immer da wo du nicht bist / und das ist immer Delmenhorst.“ Sarah Connor, aufgewachsen in ebenjenem Kaff, legt im Song „Kleinstadtsymphonie“ noch eins drauf. „Egal wie weit ich zieh' / Kleinstadtsymphonie / Du bist 'n Teil von mir / der Teil bleibt immer hier“.

Damit machte die längst aus der Klein- in die Hauptstadt umgesiedelte Sängerin am Samstagabend die Berliner Mercedes Benz Arena voll. Mit dieser Variante von Carl Perkins Apercu „You can take the boy out of the country, but you can’t take the country out of the boy“ quasi. Und mit ihrer Stimme. Und ihren Gefühlen. Und ihrer sympathischen, niedersächsischen Nudeligkeit. Die ein Charisma befeuert, das zwar einerseits aus klassischen Entertainment-Elementen (Gesangs-Impro Mikroständer recken, von der eigenen Emotion berührt sein) besteht, aber andererseits auch aus ihrem Mut, Relevanz zuzulassen.

Connor ackert tapfer im Mainstream

„Vincent kriegt kein’ hoch wenn er an Mädchen denkt“, die erste Zeile aus dem offiziellen Hit ihres letzten Hit-Albums „Herz Kraft Werke“, in dem es (unter anderem) um einen schwulen Jungen geht, und der von manchen verklemmten und/oder homophoben Radiosendern nicht gespielt wurde, ist nicht mal das einzige.

„Wir haben lange über den Text diskutiert“, moderiert Connor am Samstag  ihren Song „Ruiniert“ an, in dem sie sich positioniert: „AfD-Idioten, mein Herz kriegt ihr nicht“. In Berlin zeigt sie vor dem begeisterten Publikum im ausverkauften Saal dazu sogar zwei Stinkefinger, und plötzlich wird klar: Connor, mit diesem Namen, der (zufällig? oder nicht?) der ersten weiblichen Sci-Fi-Actionikone aus „Terminator“ gleicht, will tatsächlich nicht auf den größtmöglichen Nenner.

So wie viele ihrer unpolitischen Pop-Schlager-Schwestern im Geiste, die bei auch nur minimal ins Politische abdriftenden Texten Angst hätten, einen Teil (ein Viertel? ein Drittel? die Häfte?!) ihres Publikums zu verlieren. Connor jedoch, 39 Jahre alt, in Leder-Schlaghose und T-Shirt, mit vier Kindern, einem Platz für Geflüchtete, lauten Beziehungen und ungesunder Doku-Soap-Erfahrung, Connor, die vielleicht nicht jede Zeile der Deutschen Nationalhymne auswendig kann (es gab neulich einen hübschen Versinger an prominenter Stelle), ackert tapfer im Mainstream und sorgt sich um die Welt.

Sie will sie für ihre Kinder, für andere Kinder, für alle Menschen besser machen. Sie sieht die „Haltung“ in der „Unterhaltung“.

Der Beckenboden besitzt im Pop höchste Wichtigkeit!

Zum Beispiel durch das vorsichtige Ausbrechen aus der Pop- und Helene Fischer-affinen „Liebe/Ex-Liebe/designierte Liebe“-Thematik. Nicht nur, indem sie die sexuelle Orientierung betextet. Sondern auch ihre Angst vor Trump formuliert, ihre Kinder, und, im Song „Flugzeug aus Papier“ vom neuen Album, das sie fast komplett spielt in Berlin, den Verlust eines Kindes.

Sie heult am Samstag bei dem Song, viele im Publikum ebenfalls, man ist eh angefasst, vorher hatte man sich schon auf die Frage gemeldet, wer alles heute „kinderfrei“ hat (sehr viele). Und man hatte erfahren, dass sie bei ihrem letzten Mehrzweckhallenkonzert 2017, als der jüngste Sohn zwei Wochen alt war, zwischen dem Hüpfen immer wieder den Beckenboden ausruhen musste – das ist wahrlich keine bahnbrechende Information, weder überraschend noch relevant, aber im weiblichen Pop, im weiblichen Schlager (so klingen einige Songs) hatte der Beckenboden bislang noch nie einen Platz!

Dabei ist er doch so wichtig! Auch und erst recht für die Stimme.

Connors neue Songs sind leider nicht die stärksten

Zwischen die beiden deutschen Blocks setzen Connor und ihre versierte Band (dass bloß keiner denkt, Backgroundsängerinnen könnten nur souligen Chorsatz: Connors drei paillettenglitzernde Asse hauen auch noch Gitarren- und Schlagzeugsoli raus!) ein Medley aus Soulhits.

Eigenen („From zero to hero“) und fremden (Stevie Wonders „As“) – was zwar hübsch anzuhören ist, aber ein kleines Grundproblem der Connorschen Verortung im, nun ja, weitesten Sinne R’n’B-Pop-Bereich zutage kommen lässt: Die neuen, wiederum mit Peter Plate und Ulf Sommer geschriebenen, textlich wackeren Lieder stinken musikalisch enorm ab (wie fast alles, wenn man es neben einen Stevie Wonder-Song hält).

An der Band liegt es nicht, schon gar nicht an dem wuchtigen Gospel-Begleitchor, dessen Mitglieder auch einzeln garantiert ebenso wuchtige Konzerte geben könnten (eine rappt in einer klitzekleinen Umziehpause mal eben „Whatta Man“ von Salt’n’Pepa). 

Es liegt einfach am Songwriting: Als ob mit den deutschen Texten, die Connor seit ihrem vorletzten Album „Muttersprache“ bevorzugt, auch eine gewisse Vier-Akkord-Engstirnigkeit Einzug gehalten hätte. Oder als ob man davon ausgeht, dass deutsche Texte einfach keine allzu raffinierten Harmonik vertragen.

Was ja vielleicht sogar stimmt. Aber andererseits tut Connor, was sie kann. Und wirft bei Vincents Mitgröl-Refrain „Mama, ich kann nicht mehr denken“ sämtliche Freunde, Freundinnen und GBFs im Publikum in sämtliche Arme. Delmenhorst kann stolz sein.

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