Salzburger Festspiele: Sie kam, sang und siegte
Premiere des Jahres bei den Salzburger Festspielen: Die Künstlerin Shirin Neshat gibt mit „Aida“ ihr Operndebüt im Großen Festspielhaus. In der Titelrolle: Anna Netrebko.
Ist „Aida“ ein Produkt des europäischen Kolonialismus? Der palästinensische Literaturwissenschaftler Edward Said trieb diese Debatte voran, indem er sein Konzept von „Orientalism“ nicht zuletzt anhand von Verdis Oper entwickelte. „Als visuelles, musikalisches und theatralisches Schauspiel charakterisiert ,Aida’ den Orient als eine exotische, entlegene und antike Region, in der die Europäer ihre Kraftakte vorführen können“, schreibt er. Das dürfte inzwischen Konsens sein: Wohl kaum jemand glaubt, authentisches Ägypten vorgeführt zu bekommen, wenn er Verdis Oper besucht.
Aber was dann? Eine Projektion des Komponisten? Rassismus, gekleidet in „schöne Musik“? Eine kaum kaschierte Kritik an Militär- und Kriegsbegeisterung? Nur wer sehr ungenau hinhört, kann den Triumphmarsch als prunkvolle Jubelmusik genießen. Offensichtlich will Verdi jemanden bloßstellen, aber wen? Die Ägypter? Die Äthiopier sind nicht weniger grausam bei der Behandlung ihrer Feinde. Oder versucht er gar die Preußen und ihren König Wilhelm zu treffen, die im Jahr der Uraufführung von „Aida“ gerade Frankreich besiegt haben und sich anschicken, das alte europäische Machtgefüge durch die Etablierung eines neuen Riesen in dessen Mitte zu zerstören?
Verführerisch der Gedanke, jemanden wie Shirin Neshat auf diese Fragen anzusetzen. Kaum jemand scheint so geeignet zu sein wie die 1957 im iranischen Qazvin geborene Künstlerin, neue Perspektiven auf „Aida“ zu werfen. Denn Neshat kennt beide Welten, den Osten aus ihrer Jugend, den Westen aus ihrer Gegenwart. Mit 17 verließ sie den Iran, um in den USA zu studieren – und kehrte nicht mehr zurück, denn inzwischen war in ihrer Heimat Ayatollah Khomeini an die Macht gekommen. Immer wieder hat sich Neshat in ihren Werken mit der Rolle der Frau in islamischen Ländern auseinandergesetzt, erst als Foto-, später auch als Video- und Filmkünstlerin. In ihrer Fotoserie „Women of Allah“ bringt sie Kunst und Gewalt zusammen, indem sie bewaffnete Frauen zeigt, deren unbedeckte Körperpartien mit Versen zeitgenössischer iranischer Lyrikerinnen bedruckt sind. 1999 gewann sie den Preis der Biennale Venedig für die beiden Videoarbeiten „Turbulent“ und „Rapture“, 2009 den Regiepreis der Filmfestspiele Venedig für „Women Without Men“, der vom Schicksal iranischer Frauen während des Militärputschs von 1953 erzählt.
Riccardo Muti dirigiert mit Präzision und Passion
Jetzt erprobt sie sich mit „Aida“ auch auf dem Terrain der Oper. Intendant Markus Hinterhäuser hat Neshat für die Salzburger Festspiele verpflichtet, ebenso den bereits opernerfahrenen südafrikanischen Künstler William Kentridge, der Bergs „Wozzeck“ inszenieren wird. Und da Anna Netrebko die „Aida“-Titelrolle singt, war klar, dass dieser Sonntagabend zum Premiumtermin der diesjährigen Festspiele werden würde. Nur dass das Schaulaufen mit Roben und Geschmeide vor dem Festspielhaus wegen Dauerregen leider ausfallen und drin mehr schlecht als recht nachgeholt werden musste.
Leise, spinnfädenfeine Töne nur der hohen Streicher: So beginnt es, und so wird es auch enden. Riccardo Muti lässt mit den Wiener Philharmonikern keinen Zweifel daran, dass er dieses italienische Repertoirestück als Chefsache betrachtet. Im Graben entfacht er ein orchestrales Feuer, dass bei diesem stets auf Zurückhaltung und Grandseigneutralität bedachten Dirigenten nur als höchst leidenschaftlich bezeichnet werden kann. Die Wiener machen klanglich nachvollziehbar, wie bei Verdi die Überwältigung aus kleinsten motivischen Zellen erwächst, und Muti temperiert es mit der richtigen Mischung aus Präzision und Passion.
Eine Passion, die man auf der Bühne schmerzlich vermisst. Shirin Neshat arbeitet mit Schwarz und Weiß, vor allem mit zwei riesigen Bauelementen (Bühne: Christian Schmidt), wohl aus geweißeltem Beton, der sowieso der Baustoff der Wahl ist bei diesen Festspielen. Auch Andreas Kriegenburg verpflanzte wenige Tage zuvor bei Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ das Geschehen in eine Betonstadt.
Hier sind die Wände strukturiert, mit Rillen und Löchern, mal antikisierend, mal wie Ziegelsteinmauern. Die riesigen Bühnenelemente selbst sehen aus wie umgekippte Hocker, verändern sich, bilden eine Tribüne oder lassen nur noch einen schmalen Schlitz frei, eine Art Tempeltor. Und natürlich taugen sie auch zur Leinwand. Shirin Neshat wollte zunächst keine Videos verwenden, drei sind es dann doch geworden. Sie zeigen – ähnlich wie ihre preisgekrönten Venedig-Filme – Gruppen von Menschen, Gesichter, Individuen. Still stehen sie da und blicken die Besucher an. Es sind, wie sich später herausstellt, die unterlegenen Äthiopier, markiert als „die Anderen“ durch einen oder zwei senkrechte Striche im Gesicht.
In Salzburg begann einst Netrebkos Karriere. Ihre Stimme: eine Wucht
Und dann kommt sie, La Netrebko, im wallenden blauen Kleid und mit Kopfschmuck, nicht ganz so prachtvoll wie das ihrer Rivalin Amneris, aber doch gewöhnungsbedürftig für eine Sklavin. Die schier unerschöpfliche Kraft, das helle, voluminöse Strahlen dieses Soprans mit dem charakteristisch-breiten Stich ins Tiefe, ins Dunkle: Sie sind da und sie entfalten ihre Wirkung mit Wucht wie eh und je. Und wie bezwingend kann Anna Netrebko ihren Gesang modulieren, fein ausdünnen und gestalten wie in der großen Romanze „O patria mia“ zu Beginn des dritten Akts. Diese Frau, deren Weltkarriere ja in Salzburg mit „La Traviata“ an der Seite von Rolando Villazón begonnen hat, ist ganz Stimme, da ist sie großartig, da ist sie bei sich. Gestalterisch hingegen erfährt man von ihr wenig Neues über die Sklavin und ihr Dilemma, zwischen der Liebe zu einem Mann und der Liebe zu ihrem Vaterland entscheiden zu müssen.
Ekaterina Semenchuk als Pharaonentochter Amneris bietet da mehr. Ihr heller gelagerter, etwas dünnerer Mezzo mischt sich reizvoll mit Netrebkos Powerorgan. Zwar verharrt auch sie lange in Opernposen und ist vor allem damit beschäftigt, so zu wandeln, dass sie nicht auf ihre Schleppe tritt (Kostüme: Tatyana van Walsum). Aber in den finalen Minuten, als dem geliebte Radamès schon der Prozess gemacht wird, geht sie zu Boden, bricht anrührende Verzweiflung aus ihr heraus, so dass man sich bei dem Gedanken ertappt, Verdi hätte seine Oper genauso gut „Amneris“ nennen können.
Die heimliche Hauptfigur der Inszenierung: Amneris
Amneris ist fast präsenter auf der Bühne als Aida – und verstrickt sie sich nicht ebenso in den Schlingen von Leidenschaft und Pflichtgefühl? Und die Männer? Francesco Meli als Radamès, dem all diese Gefühlskaskaden gelten, singt mit juvenil-sympathischem, für einen Feldherrn fast zu sanften Tenor, Roberto Tagliavini verleiht seinem König einen tatsächlich majestätischen Bass, Luca Salsi ist ein durchtriebenskrupelloser, mit aufgerautem Bariton singender Äthiopierkönig Amonasro.
Von Shirin Neshat aber hatte man bei dieser "Aida" mehr erwartet als eine Abfolge von statischen, szenisch harmlosen, schockgefrorenen Tableaux. Nun könnte man sagen, dass gerade in dieser Stillstellung ihre Kritik am Pomp etwa des notorischen Triumphmarschs steckt. Aber einen explizit weiblichen Blick auf Aida sucht man genauso vergeblich wie die bei Neshat sonst oft zentrale Auseinandersetzung mit der Unterdrückung von Frauen in islamisch geprägten Ländern. Dabei ließe sich das Herstellen eigener Identität durch die Konstruktion von Fremdheit gerade in „Aida“ gut zeigen, mit dem Gegensatz des „heiligen Ägyptens“ und der „Barbaren“. Und sollten die Äthiopier in dieser Inszenierung tatsächlich, wie zu lesen ist, reale Flüchtlinge aus Syrien oder dem Irak sein, dann sieht man es nicht. Auch was die Herausforderungen der Flüchtlingskrise für das Selbstverständnis der Europäer betrifft, bleibt diese „Aida“ bedeutungslos.
Für die letzte Szene im Grab drehen sich die beiden Kulissenteile so, dass sie endlich eine Einheit bilden, Yin und Yang. Einen Kasten, eine Kühltruhe, einen Sarg. Hier wird, ganz dezent, deutlich, was Shirin Neshat vielleicht meint, wenn sie den Schluss der Oper „wunderschön“ nennt. eine „Allegorie auf das Überleben“. Kreative Personenführung ist jedoch nicht ihre Stärke. Radamès und Aida stehen selbst im Tod ganz konventionell zum Publikum gerichtet da. Der Applaus erfolgt denn auch verräterisch schnell, kaum dass Muti und die Philharmoniker mit hohem, dünnem Streicherklang in den Schlusstakten den Bogen zurück zum Anfang geschlagen haben. Klar, es ist alles nur Theater. Aber selbst, wenn man sich nur vorstellt, dass hier gerade zwei Menschen lebendig begraben wurden – kann man da so bruchlos in Jubel ausbrechen?
Extrem berührend dann allerdings, wie Shirin Neshat auf die Bühne kommt. Eine zarte, zerbrechliche Frau, ganz allein, ohne Team. Als sie sich zwischen Netrebko und Muti einreiht, werden einige bedrohlich laute Buhs von der großen Mehrheit weggeklatscht.