"Aida"-Premiere an der Deutschen Oper: Kryptisch ägyptisch
Chor-Ereignis mit Buh-Gewitter: Benedikt von Peter inszeniert Verdis „Aida“ an der Deutschen Oper als düsteres Hördrama.
Liebevoll nährt man an der Deutschen Oper die Mär, Regisseur Benedikt von Peter habe sich einen Elefanten für seine „Aida“ ausbedungen. Ja, einen echten lebenden Dickhäuter, vorzugsweise afrikanischer Provenienz. Da das mächtige Tier aber den Bühnenaufzug nicht benutzen könne, habe es dort bleiben müssen, wo es keinerlei Auflagen zu seinem Schutz braucht: in der Fantasie. Wie hätte man auch noch einen Elefanten in eine Raumkonzeption einfügen sollen, die ja schon den gewaltigen Chor und alle Partien außer Aida, Amneris und Radames in den Zuschauerraum versetzt? Zweifellos hätte das Rüsseltier inmitten des auf der Bühne platzierten Orchesters oder gar im Parkett einiges Geschrei verursacht. Doch das gelingt dem Regisseur am Premierenabend auch ohne tierischen Beistand.
Von Peter räumt so konsequent mit jeglicher Realitätsflucht ins exotische Ägypten auf, dass man erst einmal blinzeln muss, um zu erkennen, was auf der Bühne überhaupt noch zu sehen ist. Viel ist es nicht. Auf der Vorderbühne markiert ein Tisch Reste unerfüllter Gemeinschaft, was draufliegt, wird als Stillleben auf eine Leinwand projiziert: Sachbücher über Ägypten, eine Karte des Roten Meeres, historische Fotos der Pyramiden, Zeitungen, eine leere Kaffeetasse.
Vorne, an der Rampe auf dem überbauten Orchestergraben, kauert ein Mann, der sich krampfhaft an einen Stoffhaufen klammert. Er blickt unrettbar betrübt und mit größter Zerknirschung ins Nichts. Es ist Radames, der von Aida träumt, der Sklavin, die doch eine Prinzessin ist. Das Textilbündel in seinen Armen entpuppt sich als Hochzeitskleid, das er ihr zugedacht hat.
Gespinste und Gespenster lungern da im fahlen Licht auf der Vorbühne herum
Den Alltag jedoch in dieser unwirtlichen, mit ihren Kontrollmonitoren an einen Bunker gemahnenden Stätte hat ganz klar Amneris in der Hand. Zwischen Wut und Bemutterung schwankend, setzt sie dem ersehnten Radames zu, der einfach immer nur wegmöchte: zu seiner Aida, von der die Zuschauer bald annehmen müssen, dass es sie gar nicht gibt, zumindest nicht aus Fleisch und Blut.
Gespinste und Gespenster lungern da im fahlen Licht auf der Vorbühne herum, die einen Knoten in ihrem Leben einfach nicht lösen können – obwohl es für sie nicht der erste Anlauf ist. Das Aida-Spiel, das von Peter in der Deutschen Oper anrichtet, trägt eine Endlosschleife in sich. Und es versucht mit aller Regie-Macht, das klassische Liebesdreieck ebenso zu überwinden wie jegliches Pyramidendekor. Denn hinter ihnen wittert der 38-jährige Regisseur das alte (nicht nur Opern-) Regime des passiven Weltschmerzes.
Sich dagegen aufzulehnen, fühlt von Peter als seine Pflicht. Dabei geht er musikalisch vor, als lasse man einen älteren Menschen von seine Ängsten erzählen, die sich in ihrer Gänze zeigen, wenn man nur aktiv zuhört. Die geballte Wucht der Verzweiflung mit ihren Ausbrüchen in Kriegsgeschrei und raunender Mystik entdeckt der Regisseur in den Chören. Und findet dafür einen wahrhaft ergreifenden Klangraum: Chor und Extrachor der Deutschen Oper singen weit verstreut aus dem Zuschauerraum, die Sänger erheben sich plötzlich von den Sitzen und bilden im Halbdunkel wie von Geisterhand geleitet ein Kollektiv, dem man sich partout nicht entziehen kann.
Dort das sich quälende, in unerwiederter Liebe aneinandergeschweißte Paar, das eigentlich doch zur jungen Führungselite gehört, hier die ungehinderte Kraftentfaltung einer Masse, die bald den Tod aller Fremden, bald Erbarmen mit ihnen, vor allem aber Schicksalsbejahung einfordert. Kein mühseliger Aufzug von kostümierten Choristen dämpft dieses Elementarerlebnis, das bis zur Pause immer wieder emotional durchrüttelt. Keine frivole Balletteinlage von Amneris-Günstlingen, wie sie noch Götz Friedrich auf die Bühne stellen ließ, lenkt hier vom Kern einer „Aida“ als existenziellem Hördrama ab.
Ein Ansatz, der auch einen Klanganalytiker wie Giuseppe Sinopoli gefesselt hätte. Dem Maestro entglitt 2001 der Taktstock im dritten Akt einer „Aida“- Aufführung an der Deutschen Oper für immer. Benedikt von Peters konsequente Zurichtung des bestbezahlten Auftragswerks der Operngeschichte zum Requiem mit weitestgehend unsichtbaren Stimmen mag den Zorn derer wecken, die es lieben, wenn das Auge sich sättigen darf. An Verdis Musik und seiner Weltsicht vorbeikonzeptioniert ist es aber nicht. Das zeigt sich auch darin, wie sehr der Regisseur Chor und Orchester für seine Lesart begeistern kann.
Chor und Orchester lassen sich begeistern zu großen Taten
Was William Spaulding mit seinen Chorsängerinnen und Chorsängern erreicht, ist – im Wortsinne – blindes Vertrauen hörbar zu machen. Eine große Tat, die diesem zupackenden Ensemble weiteres Selbstbewusstsein schenken wird. Auch das Orchester der Deutschen Oper erlebt einen beseelten Abend unter dem jungen Dirigenten Andrea Battistoni, der es völlig normal erscheinen lässt, mit federndem Taktstock 360 Grad Aufmerksamkeit zu schenken und einzufordern.
Wenn diese „Aida“ am Ende hinter ihren eigenen hohen Ansprüchen zurückbleibt, liegt das vor allem an dem Theaterrest, der sich an der Vorderbühne noch selbst beglaubigen muss. Zu schaffen ist das nicht, denn nicht mal dem sanft entschlossen Alfred Kim als Radames gelingt es, seine endlose Zerknirschtheit und sture Aida-Besessenheit über die Stunden zu retten. Auch dass die energische Amneris von Anna Smirnova glücklich ist, wenn sie ihrem zerzausten Zauderer endlich ein Wurstbrot schmieren kann, mag glauben, wer will. Schließlich muss man die barmende Tatiana Serjan nicht darum beneiden, als Aida-Fantasma im Hochzeitskleid über den Boden zu rutschen. Musikalisch machen die unseligen Drei in ihrem grauen Zwischenreich fast alles richtig, ohne dabei flüchtigen Solistenglanz zu verbreiten.
Letztlich ist von Peters mit erstaunlich vielen Premieren-Buhs belegte Inszenierung in ihrem Kern konservativ: Sie glaubt an die Kraft der Musik und an Menschen, die Zeitung lesen. Wenn die jetzt noch den Hintern hochbekommen, anstatt unserer Gesellschaft das Requiem zu singen, dann können wir es schaffen. Dafür muss man zuerst sein Herz öffnen – und die darin hausenden Geister ziehen lassen. Addio, Aida.
Wieder am 25., 28. 11. sowie 3., 6., 10. 12.