Horrorautor H. P. Lovecraft im Comic: Sex and Drugs and Cthulhu
Die Horror-Phantasien H. P. Lovecrafts sind ein dankbares Thema für den Comic. In den vergangenen Jahren ist eine Fülle neuer Bearbeitungen und Adaptionen erschienen. Ein Überblick über einige der wichtigsten deutschsprachigen Veröffentlichungen - von Reinhard Kleist bis Alan Moore.
Er selbst hätte es wohl nicht gerne gehört, aber Howard Phillips Lovecraft, der sich stets als literarischer Aristokrat verstand, ist längst zu einem Star der Popkultur avanciert. Unterschiedlichste Lager berufen sich auf den Schöpfer des modernen Horrors und des Cthulhu-Mythos: Filmemacher wie John Carpenter oder Guillermo Del Toro, Literaten wie Stephen King, William S. Burroughs oder Michel Houellebecq, auch Bands wie Metallica oder bildende Künstler wie HR Giger zählten und zählen zu seinen Fans. Auch in der Welt der Comics hat Lovecraft bleibenden Eindruck hinterlassen: Alan Moore („Watchmen“), Neil Gaiman („Sandman“) oder Mike Mignola („Hellboy“) sind allesamt Verehrer des Schriftstellers aus Providence, der zu Lebzeiten kaum Anerkennung für seine Arbeiten erfuhr und 1937 verarmt mit 46 Jahren verstarb.
Im Laufe der Zeit haben sich diverse Zeichner und Autoren der Herausforderung gestellt, Lovecrafts Horror in Bilder umzusetzen, welcher trotz all seiner Tentakel-Monster im Grunde ein psychologischer Horror des kosmischen Grauens ist.
Expressionistische Labyrinthe: Reinhard Kleist
Die wohl ältesten Adaptionen aus deutschen Comic-Ateliers stammen beide von Reinhard Kleist („Cash“): 1994, lange bevor Lovecraft so en vogue war wie heute, hatte sich Kleist des literarischen Sonderlings angenommen. Tatsächlich war „Lovecraft“ erst Kleists zweiter Comic überhaupt, noch entstanden während seines Grafik-Design-Studiums. Prompt wurde das Buch 1996 mit dem Max-und-Moritz-Preis des Comic-Salons Erlangen ausgezeichnet, denn schon in dieser frühen Arbeit tritt Kleists markanter Stil voll zu Tage - hier gibt es einige Beispielseiten.
Gemeinsam mit dem befreundeten Theaterregisseur Roland Hüve entstand eine sehr freie Nacherzählung von Lovecrafts tragischem Leben, lose basierend auf der Biographie von Lyon Sprague de Camp. Es ist der etwas krude Versuch, die Kurzgeschichte „Die Aussage des Randolph Carter“ mit Fragmenten aus Lovecrafts Biographie zu kombinieren: Die behütete Kindheit in der Bibliothek seines Großvaters, der Tod des Vaters im Irrenhaus, die bedrückende Erziehung durch seine neurotische Mutter und die gescheiterte Ehe mit Sonia Greene. Verbunden werden diese beiden Teile eher holprig durch ein fiktives Telefonat zwischen Kleists an Lovecraft, bei dem letzterer sich mit seiner Figur Randolph Carter vermischt.
Während der Inhalt nicht ganz überzeugt, ist die Bildebene ein optisches Abenteuer: Der Zeichenstil ändert sich von Seite zu Seite zum Teil dramatisch, die Panels springen auf, Skizzen mischen sich mit Malerei, streckenweise erinnern die Bilder an die surreal-düsteren Collagen Dave McKeans („Sandman“). Noch beeindruckender ist der ebenfalls in „Lovecraft“ enthaltene Comic zu „Die Musik des Erich Zann“. Die kurze Geschichte über einen verfluchten Giger ist noch stärker in Kleists typischem Schwarz-Weiß-Stil gehalten und beeindruckt durch ausschweifende, expressionistische Entwürfe, in denen der Protagonist durch finstere Treppen-Labyrinthe und an „Das Kabinett des Dr. Caligari“ erinnernde Räume irrt.
Vom Lovecraft-Virus infiziert
Nur wenige Jahre später lieferte Kleist einen weiteren Schwung Lovecraft-Adaptionen ab, die qualitativ und stilistisch ein ähnlich hohes Level aufweisen wie die Bearbeitung von „Die Musik des Erich Zann“: In „Das Grauen im Gemäuer – Neue Lovecraft-Geschichten“ nimmt sich der Zeichner vier der weniger prominenten Geschichten des Meisters an.
In „Der leuchtende Trapezoeder“ lauert das Grauen in einem merkwürdigen Apparat, in dem sehr gelungenen „Die Ratten im Gemäuer“ stößt ein junger Adliger unter dem Haus seiner Vorfahren auf ein schreckliches Familiengeheimnis. Ironischer und freier bearbeitet wurde „Das Grauen von Red Hook“, in der Lovecraft selbst als Antagonist auftritt – nicht ganz unverdient, ist doch gerade diese Story ein trauriges Zeugnis für den Rassismus des Horror-Autors. Bei Kleist hat die Geschichte – ganz Lovecraft-untypisch – sogar ein Happy End.
„Kühle Luft“ spielt ihm Berlin der 1980er Jahre: Der Protagonist, der den Umtrieben eines kranken Nachbarn auf den Grund geht, ist Kleist selbst, auch Lovecraft hat erneut einen Kurzauftritt. Dass dieser Kleist hinterrücks mit einem Virus infiziert, stellt die Beziehung zwischen den beiden sehr schön dar. Schon das Vorwort zum dem Band von Tobias O. Meißner („Berlinoir“) macht klar, wie stark verbunden sich der Zeichner mit Lovecraft fühlt: Meißner schildert eine fiktive Anekdote, in der sich Kleist in einer Art Hassliebe mit dem untoten Lovecraft in einem Café streitet.
Von Alan Moore bis Erik Kriek
Eine sehr freie Interpretation des Cthulhu-Mythos und besonders der Erzählung “Schatten über Innsmouth” haben Alan Moore und Jacen Burrows („The Courtyard“) in einer zwischen 2010 und 2011 entstandenen Mini-Serie abgeliefert: In „Neonomicon“ stoßen zwei FBI-Agenten bei ihren Nachforschungen über eine Reihe von Ritualmorden und einen wahnsinnig gewordenen Kollegen auf den „Esoterischen Orden von Dagon“. Dieser veranstaltet Sexorgien mit humanoiden Fischwesen, in die auch die Protagonisten bald hineingezogen werden.
Der Klappentext bringt die Grundidee von „Neonomicon“ auf den Punkt: „Aus den ‚blasphemischen Riten’ von einst wird endlich das, was der schüchterne Herr aus Providence immer damit gemeint hat: Sex mit großen schleimigen Monstern!“ Dementsprechend explizit geht es in dem Mystery-Horror-Thriller zu.
Originell, aber konträr zur Vorlage
Moores Ansatz ist zwar originell, läuft jedoch Lovecrafts Vorstellung von Horror völlig zuwider: Für diesen erwuchs das Grauen gerade nicht aus der direkten Darstellung und Benennung des Abscheulichen, sondern aus dessen schierer Unfassbarkeit, an welcher die geistige Gesundheit von Lovecrafts Protagonisten regelmäßig zugrunde geht. Die suggestive Andeutung, das bewusste Im-Dunkeln-lassen der Blasphemien, die Albtraum-Orte wie Innsmouth, Arkham oder Dunwich heimsuchen, macht die eigentliche Qualität von Lovecraft aus.
Abgesehen davon ist der Comic auch sonst etwas lieblos geraten, auch wenn die Story wie bei Moore üblich voller Anspielungen auf Lovecrafts Werke steckt (so taucht etwa eine Rock-Band namens „The Ulthar Cats“ auf). Die unspektakulären Zeichnungen von Burrows tun ihr übriges. Moores Aussage, er habe den Comic vor allem gemacht, weil er gerade Geld brauchte, ist nicht unbedingt als Scherz zu verstehen.
Nyarlathotep, mach meine Hausaufgaben!
Ähnlich unkonventionell, aber in ganz anderer Hinsicht, gehen die Spanier José Oliver und Bartolo Torres mit dem Horror-Autor um: Der Funny-Strip „Der junge Lovecraft“ aus dem Jahr 2013 zeigt erneut, welche Faszination dessen Biographie auf viele seiner Fans ausübt, denn hier ist Lovecraft – als Kind – selbst die Hauptfigur. In einem Manga-beeinflussten Zeichenstil zeigen Oliver und Torres den Eigenbrödler als altklugen Bücherwurm und Muttersöhnchen, der versucht Schulhofschlägern und Mathe-Hausaufgaben mit der Beschwörung okkulter Dämonen zu begegnen.
Entstanden war die Idee schon 2004: Zunächst als Webcomic veröffentlicht erfreute sich der Strip wachsender Beliebtheit und wurde auch von diversen Zeitungen abgedruckt. Mittlerweile liegen drei Sammelbände vor, auf Deutsch ist bislang nur der erste erschienen.
Auch neue Figuren werden eingeführt
Man muss kein ausgewiesener Lovecraft-Kenner sein, um alle Witze zu verstehen, die Autoren beziehen sich nur lose auf die Geschichten und führen auch gänzlich neue Figuren ein: Zum Beispiel einen rüpelhaften Werwolf-Ghoul, den Lovecraft unfreiwillig als Haustier akzeptiert, oder das Gothic-Mädchen Siouxie, das – welch ein Horror für den jungen Nerd! – gerne mit Lovecraft befreundet sein würde. Nebenbei werden auch noch sämtliche Klassiker der Weltliteratur von Dracula bis Macbeth durch den Kakao gezogen und mit einem typischen Lovecraft-Ende versehen.
Lovecraft-Fans werden schmunzeln, aber man hätte aus dem witzigen Ansatz durchaus mehr machen können. Die Pointen sind oft recht lau, auch wenn immer wieder schöne Ideen aufblitzen: etwa, dass Lovecraft beim Scrabble-Spielen auf die unaussprechlichen Namen seiner außerirdischen Gottheiten gekommen ist („Zxlygstnh – 82 Punkte und dreifacher Wortwert!“).
Werkgetreuer Einstieg: Erik Kriek
Im selben Jahr veröffentlicht wurde „Vom Jenseits und andere Erzählungen“ des niederländischen Zeichners und Illustrators Erik Kriek, der vor allem für seine wortlose Comic-Serie „Gutsman“ bekannt ist. Der Band beinhaltet mit „Die Farbe aus dem All“, „Der Außenseiter“, „Dagon“, „Vom Jenseits“ und „Schatten über Innsmouth“ einige der berühmtesten Geschichten des Autors.
Im Zentrum steht natürlich letztere Erzählung, die längste des Bandes: Ein junger Reisender stößt auf die verfallene Hafenstadt Innsmouth, dessen degenerierte Bewohner einen Pakt mit einer Rasse von Fischwesen geschlossen haben und bald Jagd auf den neugierigen Besucher machen; „Dagon“ schließt inhaltlich daran an.
Die Optik erinnert an Charles Burns
Kriek setzt dies alles mit seinem sorgfältigen, realistischen Stil in Szene, der gelegentlich an die beunruhigende Schwarz-Weiß-Optik eines Charles Burns erinnert. Allerdings wirken die Zeichnungen in ihrer akzentuierten Klarheit gelegentlich etwas unpassend für die Geschichten, die vor allem von ihrer Atmosphäre und weniger von naturalistischer Darstellung leben.
Der Zeichner bekennt selbst, er habe sich mit diesem Buch einen lange gehegten Traum erfüllt. Dies merkt man seinem Comic durchaus an: Kriek ist von den hier vorgestellten Adaptisten der konventionellste und werkgetreueste, auf dem Einband zu „Vom Jenseits“ steht daher auch respektvoll „… bearbeitet und illustriert von Erik Kriek“. Anders als Kleist oder gar Moore erzählt er die Geschichten so, wie sie in den Büchern stehen und nutzt dafür zum Teil auch die entsprechenden Textpassagen. Aber gerade deshalb ist der geschmackvoll aufgemachte Band, der neben den Comics auch noch einen kurzen aber aufschlussreichen Essay über Lovecraft enthält, vor allem für Lovecraft-Unkundige ein guter Einstieg in dessen Werk.
Reinhard Kleist: Lovecraft, 1994 Feest/Ehapa, 80 Seiten, farbig und schwarz-weiß, nur noch antiquarisch erhältlich
Reinhard Kleist: Das Grauen im Gemäuer – Neue Lovecraft-Geschichten, 2002 Edition 52, 48 Seiten, schwarz-weiß, 12,50 Euro
Alan Moore & Jacen Burrows: Neonomicon, 2011, Panini, 144 Seiten, farbig, 16,95 Euro
José Oliver und Bartolo Torres: Der junge Lovecraft, 2013, Diaboló Comics, 104 Seiten, farbig, gebunden, 14,95 Euro
Erik Kriek: Vom Jenseits und andere Erzählungen, 2013, Avant-Verlag, 112 Seiten, schwarz-weiß, 19,95 Euro
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