Ausstellung über NS-Kriegsreporter Hans Bayer: Sein schöner, schmutziger Krieg
Der Schreibtischtäter: Eine Ausstellung in der Berliner Topographie des Terrors zeigt, wie aus dem NS-Kriegsreporter Hans Bayer der Bestsellerautor Thaddäus Troll wurde.
Eine bettelnde Familie mit halb verhungerten Kindern. Bärtige alte Männer kauern vor einem Geschäft. Ruinöse Häuser, davor eine unüberwindbare Mauer. Knochendürre Menschen in viel zu großen Mänteln. Es sind Bilder aus dem Warschauer Ghetto, aufgenommen von Angehörigen der deutschen Wehrmacht. Gefunden wurden sie nach dem Tod des Journalisten und Schriftstellers Hans Bayer, der als Thaddäus Troll berühmt geworden war, in dessen Schreibtisch. Über einen Historiker gelangten die Fotos zu Claudia Steur, die eine Ausstellung über „Formen des Tourismus in NS-Lagern“ plante. Dann begann sie zu recherchieren. Doch Bayer war nicht als Tagestourist ins Warschauer Ghetto gekommen. Er arbeitete dort, sein Taschenkalender vermerkt sieben Besuche in dem Lager im April und Mai 1941. Am Ende schrieb der Kriegsberichter eine vierseitige Bild-Text-Reportage, die in der auflagenstarken „Berliner Illustrierten Zeitung“ erschien: „Juden unter sich“.
Die Bilder, aufgenommen von Fotografen aus Propagandakompanien der Wehrmacht, sind jetzt in einer Ausstellung über Hans Bayer in der Topographie des Terrors zu sehen. Sie stehen für einen moralischen Sündenfall. Kuratorin Steur nennt Bayer „einen Mitwisser und Mitläufer, keinen großen Täter“. Museumsdirektor Andreas Nachama spricht von einem „ganz gewöhnlichen Deutschen mit der Fähigkeit schreiben zu können“, der „vom Zuschauer zu einem Akteur“ geworden sei. Journalisten legen gemeinhin Wert auf ihre Distanz. Im nationalsozialistischen Vernichtungskrieg kannten sie keine Distanz mehr und ließen sich bereitwillig von der Militärmaschinerie einverleiben. Texte, Filme und Fotos wurden zu einer Waffe.
Die Kriegsberichter waren auf Hitler vereidigte Soldaten
Sie nannten sich Kriegsberichter, in Abgrenzung zu den Kriegsberichterstattern des Ersten Weltkriegs, die das militärische Geschehen aus der Etappe heraus beobachtet hatten – und Zivilisten blieben. Die Kriegsberichter, zu denen auf dem Höhepunkt der deutschen Expansion Ende 1942 rund 15 000 Männer gehörten, waren Soldaten, auf Hitler persönlich vereidigt. An Waffen ausgebildet, kämpften sie an vorderster Front mit, um „Kriegsrealität“ einzufangen, saßen in Bomberflugzeugen, U-Booten und Panzern. Neben Pistole und Handgranate führe der deutsche Kriegsberichter, so schrieb Joseph Goebbels, „noch andere Waffen mit sich: die Film-Kamera, die Leica, den Zeichenstift oder den Schreibblock“.
Der Propagandaminister orchestrierte seine Kampagnen in Abstimmung mit dem Oberkommando der Wehrmacht, dem die Kriegsberichter unterstanden. Bayers Texte aus dem Ghetto – er produzierte noch zwei weitere – gehörten vermutlich zur Vorbereitung des bevorstehenden Angriffs auf die Sowjetunion, der neue antisemitische Attacken verlangte. Bayer benutzt rassistische Klischees und greift zum Vokabular des Unmenschen: „In den beispiellos verwahrlosten, schmutzstarrenden Judenvierteln von Warschau ist das Fleckfieber nie zum Erlöschen gekommen.“ Unter das Bild eines Jugendlichen schreibt er: „Gesichter dieser Art machen es verständlich, dass das Judentum ständiges Reservoir des Verbrechertums in der ganzen Welt ist.“
Hans Bayer, vor hundert Jahren, im März 1914 in Stuttgart-Cannstatt geboren, kannte wohl nur eine Leidenschaft: das Schreiben. Das war sein Glück, aber auch sein Verhängnis. Die Ausstellung, die vom Berliner Büro Tatwerk gestaltet wurde, ist als „Lebensband“ gestaltet, das einer Rotation gleicht. Wie an einem Endlospapier entlang kann der Besucher die Stationen dieser Biografie abschreiten, die Reproduktionen der Texte sind nostalgisch vergilbt. Der Sohn eines Seifensieders absolvierte ein Volontariat bei der „Cannstatter Zeitung“ und war während seines Germanistikstudiums Mitglied einer schlagenden, deutsch-nationalen Verbindung. Als Rekrut einer Nachrichtentruppe langweilte er sich nach Kriegsausbruch 1939 an der deutsch-französischen Grenze und bewarb sich um einen Posten bei den Propagandakompanien. „Nachricht: PK. Freudentaumel!“, jubelte er 1940 in seinem Tagebuch.
"Aus allen Rohren gegen Brest-Litowsk" titelt er im NS-Propagandasound
Bayer ist ein Meister humoristischer Betrachtungen. In der Armeezeitung „Der Stoßtrupp“ erscheinen ein Nachruf auf seine durchgelaufenen Soldatenstiefel und die Ausflugsreportage „Frühlingsfahrt zum Bug“. Seine Landsersatire „Urlaub auf Probe“ erregt Anstoß bei Vorgesetzten und wird in anderen Blättern nachgedruckt. Aber Bayer beherrscht auch den brutaleren Propagandasound, eine Mischung aus Abenteuergeschichten und Lügen. In einem Bericht über den Kriegsbeginn gegen die Sowjetunion, Überschrift: „Aus allen Rohren gegen Brest-Litowsk“, behauptet der „Wortberichter“, die deutschen Truppen seien einem russischen Angriff zuvorgekommen.
Im Inneren muss Bayer gezweifelt haben. Seinem Tagebuch vertraut er einen selbstkritischen Satz an: „Die Krieg ist ein furchtbares Feuer und es ist schwer, ihn mit allen Fasern mitzumachen und sich nicht zu beschmutzen.“ Doch in dem Tagebuch, das als Reprint in der Ausstellung einsehbar ist, steht auch: „Sicher, der Krieg ist schrecklich. (...) Aber dann hat die Gefahr doch wieder etwas ungemein Lockendes an sich. Es mag unwahrscheinlich klingen, aber es ist so: einen Angriff mit vortragen, ein Spähtruppunternehmen, eine Schlauchbootfahrt mitzumachen ist schön.“
Der Kriegsberichter beherrscht sein Handwerk und macht Karriere. Im Sommer 1943 wird er nach Kiew versetzt, um die Armeezeitung „Der Sieg“ zu verstärken. Die Redaktion zieht zunächst nach Warschau, dann nach Lódz, das die Nationalsozialisten in Litzmannstadt umbenannt haben. Bayer steigt zum Schriftleiter – so die damalige Bezeichnung für einen Chefredakteur – auf, konzentriert sich auf Feuilletonistisches, verfasst aber auch Durchhaltetexte wie „Die Stunde zwischen Tod und Teufel“. Weil die Front immer näher rückt, werden Redaktion und Produktion der Zeitung Ende 1944 in einen komplett ausgestatteten Druckereizug verlegt. Es wird eine groteske Fahrt in den Untergang. Am Ende bleibt der Zug in Danzig stehen, wo Bayer Angehörige des Volkssturms an der Panzerfaust ausbildet. „Es machte viel Spaß und war sehr laut“, schreibt er.
Nach dem Krieg beginnt die Verwandlung. Hans Bayer, der als Journalist in Stuttgart einen Neuanfang versucht, wird zu Thaddäus Troll. Unter diesem Pseudonym publiziert er rund siebzig Bücher, viele davon in Mundart. Seine Landeskunde „Deutschland deine Schwaben“ gilt bis heute als Standardwerk. Über die Zeit vor 1945 schweigt er, sagt allenfalls, „Soldat im Krieg“ gewesen zu sein. Das große Schweigen ist das Kennzeichen dieser Jahre. Über Politik schreibt Bayer nach 1945 nicht mehr. Aber er macht Wahlkampf für Willy Brandt. Als Brandt 1970 vor dem Ehrenmal des Warschauer Ghettos niederkniet, ist das für Bayer die „erschütterndste Geste der Versöhnung“. „Ich kann nur mit tiefer Scham auf das zurückblicken, was ich im Krieg gesehen und erlebt habe“, notiert er, „und dass ich nicht den Mut hatte, mich (...) gegen diese Gewalt aufzulehnen.“ 1980, mit 66 Jahren, begeht der an Depressionen leidende Schriftsteller Selbstmord.
Topographie des Terrors, Niederkirchnerstraße 8, bis 16. November, täglich 10–20 Uhr. Katalog 12 €.
Christian Schröder
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