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Denker, Visionär, Künstler. Kandinsky, von Georg Hartmann 1927 porträtiert.
© dpa

Wassily Kandinsky zum 150.: Sehen heißt Hören

Blauer Reiter bis Bauhaus: Vor 150 Jahren wurde Wassily Kandinsky geboren. Er ist der Mann, der die Malerei ins Freie führte und einer der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts.

Im Januar 1911 besucht Wassily Kandinsky mit Freunden das „Neujahrs-Kompositionskonzert“ von Arnold Schönberg in München. Die Musik wühlt ihn auf, bald malt er „Impression III“. Schönberg gegenüber erkennt er gemeinsame „Bestrebungen“, und Schönbergs Antwort spricht am klarsten aus, was in den Künsten im Werden begriffen ist: „Ich kann auch nicht glauben, dass die Malerei unbedingt gegenständlich sein muss. Ich glaube sogar bestimmt das Gegenteil.“

„Impression III“ ist kein abstraktes, sondern ein abstrahierendes Bild: Der Betrachter wird Zeuge, wie die Figuren zur Linken übergehen in eine gelbe Farbfläche zur Rechten. Das Bild ist unendlich oft reproduziert worden, es ist zum Inbegriff der ungegenständlichen Malerei geworden. Kandinsky zählt zur raren Spezies der Synästhetiker, die Töne sehen und Farben hören können. Für ihn war die Beziehung zwischen Musik und Malerei ganz selbstverständlich, und zahlreiche seiner Bilder hat er mit musikalischen Begriffen bezeichnet. Doch gleichermaßen spielte die sichtbare Welt eine große Rolle. „Eigentlich ist Moskau immer der Grundstein, das Leitmotiv meiner Kunst gewesen“, bekannte Kandinsky gegenüber seiner Partnerin und Malerkollegin Gabriele Münter. Immer wieder tauchen Moskau und Russland im Werk des gebürtigen Russen auf. Die gesehene Realität bleibt gegenwärtig.

Höhepunkte der abstrakten Malerei

Später hat Kandinsky, heute vor 150 Jahren in Moskau geboren und in Odessa aufgewachsen, doch erst im Alter von 30 Jahren in seiner neuen Wahlheimat München zur Malerei gekommen, die Gleichwertigkeit der „großen Abstraktion“ mit der „großen Realistik“ betont. Der Almanach „Der Blaue Reiter“, den er 1912 gemeinsam mit Franz Marc herausgibt, enthält Beispiele für beides – und für Musik, die die Künstler als gleichgesinnt erachten. Zu dieser Zeit malt Kandinsky immer größere und komplexere „Kompositionen“, wie er sie – wiederum in Analogie zur Musik – nennt. Sie gelten als Höhepunkte der abstrakten Malerei – und sind doch, wie ihr Name andeutet, eben nicht allein Form und Farbe, sondern folgen einem Geflecht von Beziehungen und Bedeutungen. Sie sind gemalt gemäß der „inneren Notwendigkeit“, wie Kandinsky es in seinem theoretischen Hauptwerk ausführt, „Über das Geistige in der Kunst“.

Kaum eine Künstlerschrift hat vergleichbaren Einfluss ausgeübt. Sie öffnete ganzen Generationen von Künstlern den Weg in eine autonome, von keinen Regeln begrenzte Kunst. Dabei wurde übersehen, dass Kandinsky sich intensiv mit den anthroposophischen und theosophischen Lehren der Zeit um 1900 befasst hatte und seine Bilder seelische Vorgänge in Malerei übersetzen.

1922 nimmt er Ruf an das junge Bauhaus an

Kandinsky musste zu Beginn des Ersten Weltkriegs als „feindlicher Ausländer“ Deutschland verlassen und ging nach Moskau zurück. In den Anfangsjahren Sowjetrusslands – wie es damals hieß – war er in leitender Funktion im Volkskommissariat für Aufklärung tätig und baute Kunstschulen und Museen auf. 1922 nimmt er, ohnehin auf Dienstreise in Deutschland, einen Ruf an das junge Bauhaus in Weimar an. Eine zweite fruchtbare Phase beginnt, die mit der Schließung des Bauhauses 1933 und der erneuten Vertreibung endet. Am Bauhaus lehrt Kandinsky nicht eigentlich Malerei, sondern die Analyse bildnerischer Elemente. In seinen eigenen Bildern geht er den Weg von der Darstellung solcher Elemente zur Komposition, im Sinne seines Buches „Punkt und Linie zu Fläche“ von 1926.

Eine letzte Werkphase beginnt in Paris. Die Bilder werden heller – ein Reflex auf das „starkweiche“ Licht, wie er es nennt – und zeigen biomorphe Formen, ganz im Gegensatz zu den geometrisch strengen Bildern der Dessauer Bauhaus-Zeit. Kandinsky stirbt 1944, drei Tage vor seinem 78. Geburtstag. Es gibt kaum einen Künstler des 20. Jahrhunderts, der eine solche Präsenz besitzt wie Wassily Kandinsky. Und das bis heute: Seine Kunst ist alterslos.

Matthias Haldemann: Kandinsky. Beck Wissen, München 2016. 119 S., 10 €.

Helmut Friedel, Annegret Hoberg: Kandinsky. Prestel, München 2016, 320 S., 29,95 €.

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