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Obama als Wiedergänger Richard Nixons: Eine Seite aus dem besprochenen Buch.
© Edition Moderne

Neues von Comic-Journalist Joe Sacco: Schwarzer Humor im Weißen Haus

Comic-Reporter Joe Sacco verbindet mit „BUMF“ den Biss seines Frühwerks mit analytischem Tiefgang. Politikwissenschaftler Thomas Greven hat den Comic analysiert.

Barack Obama hat sein letztes Jahr als amerikanischer Präsident begonnen; der Wahlkampf über seine Nachfolge dominiert bereits die Medien. Es beginnt damit auch die Zeit der vorläufigen Bewertungen seiner Präsidentschaft, der historischen Vergleiche, der Einordnung. Ein besonderer Platz in den Geschichtsbüchern ist Obama als erstem afro-amerikanischen Präsidenten sicher, aber war seine Präsidentschaft ein Erfolg, war sie besonders, war sie jenseits seiner Hautfarbe gar „historisch“?

In seinem 2015 in den USA erschienenen und jetzt auf Deutsch vorliegenden Comic „BUMF“ zeigt Joe Sacco Präsident Obama als Wiedergänger Richard Nixons und in Kontinuität zu anderen Kriegspräsidenten, insbesondere zu George W. Bush.

Ein Rollenspiel wie bei Michael Moore

Der durch seine journalistischen Comic-Reportagen zu Palästina und dem Balkan auch in Deutschland bekannt gewordene Sacco kehrt hier stilistisch zu seinen alternativen Comix-Wurzeln zurück, insbesondere in den ersten Kapiteln, die älteren Datums sind. Gemeinsam ist Saccos Arbeiten ihre Subjektivität; als Journalist will er explizit „auf Seiten der Schwachen objektiv sein“, was sich in seinen Recherche- und Interviewstrategien niederschlägt (vgl. Joe Sacco: Reportagen, Edition Moderne 2013).

Nackter Spin Doctor: Sacco hat sich als Vogel in den Comic hineingezeichnet.
Nackter Spin Doctor: Sacco hat sich als Vogel in den Comic hineingezeichnet.
© Edition Modern

Wie der Regisseur Michael Moore spielt Sacco eine Rolle in seinem Werk, gewöhnlich als Interviewer und teilnehmender Beobachter. In „BUMF“ (ein Slang-Term für offensichtliche, platte Regierungspropaganda) zeigt Sacco sich dagegen als eine Art Hof-Cartoonist, welcher der Bevölkerung die totale Überwachung mit einer Liebesgeschichte („Junge trifft Mädchen trifft den Staat“) schmackhaft machen soll.

Die Verführbarkeit der Medien durch die Macht wird in einer skurrilen Szene thematisiert. Sacco wird vom völlig nackten Berater des Präsidenten, der als unrasierte, kettenrauchende Ente dargestellt wird, aufgefordert, sich zu den anderen Nackten im Pool zu gesellen. Zunächst behält Sacco die Unterhose an; ganz will er sich dem Herrschaftsdienst noch nicht verschreiben. Wenig später jedoch sind alle Bedenken vergessen. Nachdem der Präsident vom Bett aus per Drohne eine an das My-Lai-Massaker im Vietnamkrieg erinnernde Katastrophe ausgelöst hat, übt Regisseur Sacco im Stile des Spin Doctors aus „Wag the Dog“ mit ihm verschiedene Präsentationsvarianten seiner Anteilnahme. Später ist auch Sacco völlig nackt.

Im Bett mit Michelle Obama

Auch wenn Obama im Buch nicht direkt vorkommt zeigen Referenzen auf seinen Wahlkampf (Schilder mit „Change“) und seine Präsidentschaft (Nixon liest im Bett neben Michelle liegend Obamas Buch „The Audacity of Hope“), dass Sacco ihn nicht von seiner scharfen Kritik der westlichen und insbesondere der amerikanischen Politik ausnimmt. Kern der Kritik ist die Entmenschlichung des jeweiligen Gegners: „[D]en Feind zu töten reicht nicht“, heißt es an einer Stelle, „er soll auch gefickt werden“. Als Chiffre für die Entmenschlichung des Gegners dient Sacco die gewaltsame anale Penetration.

Die Bekämpfung des Terrorismus erwähnt er nicht explizit; sichtbarer Feind ist der „Kaiser“. Sacco nutzt den ersten Weltkrieg als Folie für eine Kritik an sinnlosen militärischen Operationen (vgl. auch Joe Sacco, Der erste Weltkrieg. Die Schlacht an der Somme, Edition Moderne 2014). Als endlich „der Kaiser [in den Arsch] gefickt“ werden soll, wird der inzwischen maskierte Präsident, gerade höchstpersönlich mit Folter beschäftigt, in den „Situation Room“ geholt. Der doppelte Sacco arrangiert die Szene wie auf dem ikonischen Foto vom gemeinsamen Betrachten des Kommandoeinsatzes zur Tötung Osama Bin Ladens; der „Schrecken [soll] nur in den grimmigen Gesichtern der Mächtigen aufscheinen“.

„Nichts zu sein heißt, alles sein zu können“

Die partei- und epochenübergreifende moralische Verwahrlosung der amerikanischen Politik schließt die willkürliche Verfolgung von Staatsbürgern ein; eine Frau hat sich beim Milchkaufen zwar nicht verdächtig, aber „rätselhaft“ verhalten, weil sie mit Bargeld bezahlt hat: „Nichts zu sein heißt, alles sein zu können.“ Sacco liefert keine Erklärungen, aber er gibt Hinweise darauf, warum dies trotz internationaler und nationaler Rechtsordnungen und trotz demokratischer Verfasstheit immer wieder möglich ist. Der Präsident ist begeistert von den Möglichkeiten des Drohnenkrieges und der Folter und greift begierig die Möglichkeit auf, ein rechts- und moralfreies Paralleluniversum dafür zu nutzen. Diesem überantwortet er schließlich die Erde, so dass alle Erdenbewohner formal zu „Aliens“ werden (ein Verweis auf den fragwürdigen Status der „enemy combattants“).

Nun kann der Präsident, hier als Verfassungsrechtler bezeichnet, Obamas Job vor der Politik, jenseits der Genfer Konvention gottgleich über ihr Schicksal entscheiden. Die quasireligiöse Überhöhung des Präsidentenamts ist Saccos zweiter Hinweis. Als der Präsident, nun wie alle mit Maske, aber als einziger bekleidet, glaubt, ein „vollbrachtes Wunder“ zu brauchen, um seinen Status als Messias zu sichern, wird der Kaiser dem Volk zum Fraß vorgeworfen. Dies treibt die Entmenschlichung des Feindes auf die Spitze und zeigt darüber hinaus die Verführbarkeit des Volkes sowie dessen Naivität. Pressesprecher Sacco verkündet: „Der Präsident hat nie angedeutet, dass irgendwer außer dem Kaiser essbar sei. Und wenn, würde er dies sofort mit einer eindrücklichen Mitteilung untermauern“.

Fortsetzung folgt: Das Cover des ersten Bandes von "BUMF".
Fortsetzung folgt: Das Cover des ersten Bandes von "BUMF".
© Edition Moderne

Der Präsident fährt folgerichtig zum Himmel auf und wird endgültig unangreifbar. Der Leser schaut nun zu ihm herauf; in der Pose des Lincoln-Denkmals kann er angebetet werden. Ganz am Ende hat er plötzlich die Gestalt seines Hundes Cheka – erster Name der sowjetischen Geheimpolizei – und ist in seiner Allmacht zur grauenerregenden Fratze geworden: „[E]r bemerkt dich nicht mal, … bis er dich dann doch bemerkt“.

„BUMF“ ist voller Verweise, mal feinsinnig, mal drastisch, immer politisch: Der Gang in den „Situation Room“ im Keller ist wie ein von Breughel gezeichneter Gang ins Mittelalter der katholischen Inquisition oder in Dantes Inferno; unter den Figuren tauchen aber auch General Custer und der Comic-Superheld Captain America auf. Manche Referenzen gehen in der Übersetzung etwas verloren, wie der Verweis auf Clint Eastwoods berühmte Rolle als Dirty Harry.

Sacco hat es geschafft, die inhaltliche Frische und den Biss seiner älteren Arbeiten mit dem hohen zeichnerischen und konzeptionellen Niveau der jüngeren Veröffentlichungen fruchtbar für ein Werk von höchster politischer Relevanz zu verknüpfen.

Joe Sacco: BUMF Vol. 1, Edition Moderne, 120 Seiten, 28 Euro.

Unser Autor Dr. Thomas Greven ist Senior Research Fellow am Institut für Internationale Politik, Berlin, und Privatdozent am John-F.-Kennedy-Institut der FU Berlin. 

Thomas Greven

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