"Othello"-Premiere am Berliner Maxim Gorki: Schwarzer Bock, weißes Lämmchen
Wenn die Mehrheitsgesellschaft das Fremde ist: ein starker, cleverer und unterhaltsamer „Othello“ am Maxim Gorki Theater.
Schwer zu sagen, zum wievielten Diensteinsatz diese Gestalten eigentlich antreten, die da zu Beginn des Abends aus einer Art Schlund auf die Guckkasten-Bühne des Maxim Gorki Theaters gespuckt werden. Zum Beispiel der verhaltensauffällige Herr in der grünen Harlekinskluft: Der grimassiert und posiert so gut geölt wie in der zwölfmillionsten Wiederholung; punktgenau auf Paukenschlag der beiden Live-Musiker Jens Dohle und Falk Effenberger.
Tatsächlich wirken der Grünling und seine ebenfalls aus Clown, Hofnarr und Marionette gesampelten Kollegen, die rein bewegungstechnisch an ein in Richtung Herbert Fritsch übersteuertes Robert-Wilson-Ensemble erinnern, fast älter als das Genre, auf das sie anspielen: die vor über 400 Jahren entstandene Commedia dell`arte, die dann im 17. Jahrhundert gerade in Venedig zu Höchstform auflief. Ungefähr genauso alt und ebenfalls in Venedig angesiedelt ist das Stück, das dieser Harlekinstrupp hier aufführt: William Shakespeares „Othello“.
Klarer Fall von "Whitefacing"
Zu Beginn unterhalten sich der Grünkostümierte – es handelt sich um Othellos Fähnrich und Gegenspieler Jago, den Thomas Wodianka als leicht vom eigenen Intrigen-Erfolg gelangweilten IQ-Strategen mit akuten Underdog-Weinerlichkeitsanfällen grandios übers Szenario turnt – und sein Kollege Brabantio über das Liebesleben des gemeinsamen Chefs. „Othello und Desdemona? Der schwarze Schafbock auf dem weißen Lämmchen?“, ereifert sich Brabantio – adäquat an die Rampe karikiert vom afrodeutschen Schauspieler Falilou Seck, der eine satte Portion weißer Gesichtsschminke trägt.
Klarer Fall von „Whitefacing“ also – und nur ein kleines Unterelement des großen Perspektivwechsels, den dieser „Othello“-Abend vollzieht. Denn wie sich ein postmigrantisches Ensemble dem schwer rezeptionsbelasteten Stoff nähert, wie es das aus kruden Fremdzuschreibungen bestehende Konstrukt namens Othello dekonstruieren würde, war natürlich die Premierenfrage schlechthin im Berliner Maxim Gorki Theater.
Die Antwort lautet: clever! Und höchst unterhaltsam, bekanntlich eine nicht häufig anzutreffende Kombination. Der Regisseur Christian Weise dreht den Zuschreibungsspieß nämlich einfach mal um. Das „Fremde“ ist hier die (weiße venezianische) Mehrheitsgesellschaft, die gleichsam seit vier Jahrhunderten in dieser antiquierten Theatergeschichte festhängt; sämtliche ausgeleierten Repräsentationsschleifen inklusive. Spuckt der Bühnenschlund schließlich Othello in Gestalt des Schauspielers Taner Sahintürk in Jeans, Trainingsjacke und Turnschuhen aus, verirrt sich quasi ein tagesaktueller Zeitgenosse in einem am Vorgestern festgerosteten Spieldosenkunstfigurenkabinett.
"Die ganze Welt ist eine Bühne" ist hier auch hereingeborgt
Und wenn dieser Othello als frisch gekürter General schließlich Diffamierungen und Chancenungleichheit anprangert in seiner Antrittsrede, die hier übrigens auch auf Debatten in Barack Obamas Präsidentschaftswahlkampf vor acht Jahren rekurriert, ist es natürlich nicht schwer, in der unter kiloweise Schminke erstarrt danebenstehenden Theaterkonvention auch eine sich gegenüber Neuem abschottende Gesellschaft zu erkennen. Der aus der Shakespeare-Komödie „Wie es euch gefällt“ in den Abend hineingeborgte Satz: „Die ganze Welt ist Bühne“ (und umgekehrt, wie man im vorliegenden Fall ergänzen müsste) darf als abendprogrammatisch verstanden werden. Da wäre es hinweistechnisch gar nicht mehr nötig gewesen, dass der ebenfalls in die Othello-Gattin Desdemona verliebte Brachialclown Rodrigo seinen Part hier vor der Pause konsequent durchsächselt und sich „heem noach Dlauhsnids“ (sprich: „nach Hause nach Clausnitz“) sehnt. Auch wenn Till Wonka das in wirklich treffsicherster komödiantischer Überaffirmation über die Rampe bringt.
Textlich eine „Othello“-Überschreibung „nach William Shakespeare“ von dem als Soeren Voima firmierenden Autor Christian Tschirner, ist es logisch, dass der Abend sonst an allen möglichen Ecken und Enden repräsentationskritisch unterwegs ist; und zwar zumeist wohltuend krampffrei. Jagos Hassobjekt Cassio (Oscar Olivo) beispielsweise – derjenige, der an seiner Stelle befördert wurde – entpuppt sich nicht nur als begnadeter Bewegungslakoniker, sondern empfängt zu vorgerückter Stunde auch einen Lover. Und zu den beiden Frauen – zu Desdemona (Aram Tafreshian)wie zur Jago-Gattin Emilia (Falilou Seck) – müssen die Venezianer kollektiv aufschauen, weil sie von den beiden längsten Schauspielern des Ensembles dargestellt werden.
Dann, kurz vor Pause: einer der berühmten Gorki-Monologe. Ein großer. Sahintürks Othello denkt laut über die Dialektik von Sein und Bewusstsein, von Eigenperspektive und Fremdzuschreibung nach. Um sich dann im zweiten Teil, dirigiert vom Intriganten Jago, seinerseits zur Marionette zu versteifen, während die Restvenezianer die Masken jetzt etwas lockern. Statt des finalen Othello-Mords an Desdemona steht das Ensemble schlussendlich an der Rampe und sucht nach einem alternativen Text. Starker Abend.
weitere Vorstellungen: 27. 2., 19.30 Uhr, 28. 2., 18 Uhr
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