Ausstellung in der Galerie St. Agnes: Schwarze und Schwule statt Jesus und seine Jünger
Michael Elmgreen und Ingar Dragset, Kuratoren der Istanbul-Biennale 2017, inszenieren mit „The Others“ eine Schau über die Mitschuld der Kunst an der Unterdrückung von Minderheiten durch Christen.
Da staunt der Ungläubige, und die Protestantin wundert sich: In der ausgesegneten St. Agnes-Kirche, ehemals Gotteshaus einer katholischen Gemeinde in Kreuzberg, glänzen Madonnen und Kreuze. Wieder sakral wirkt das sachlich-brutalistische Kirchenschiff, das Galerist Johann König nutzt. Sogar Glocken läuten. Doch die Marienstatue vorn trägt einen weißen Mantel mit koreanischer Schrift. Und hinten wendet ein Gekreuzigter den Besuchern seinen Rücken zu, den Bauch presst er an das Marterholz.
Die Schau „The Others“ haben Michael Elmgreen und Ingar Dragset zusammengetragen. Das dänisch-norwegische Paar aus Berlin und London, das 2017 die Istanbul-Biennale ausrichten soll, zählt zu den Stammkünstlern des Galeristen Johann König, aus dessen Programm das Duo jedoch nur Kris Martin dazugeladen hat: „The Others“ ist keine weihnachtliche Accrochage, sondern eine kuratierte Ausstellung, mit nur teils verkäuflichen Beiträgen (Preise: 16 000–150 000 Euro). Wer jene „Anderen“ sind, hängt ganz vom Betrachter ab.
Im mehrheitlich konfessionslosen Berlin könnten es diejenigen sein, die an Jesus und Maria glauben. Oder Frauen, denn wie bei den Geistlichen der Katholiken bestimmen in St. Agnes Männer das Bild: Unter den zwölf Künstlern aus neun christlich geprägten Ländern finden sich nur zwei Künstlerinnen. Doch Elmgreen & Dragset fordern buchstäblich zum Perspektivwechsel auf: Ganz bis zur Rückwand müssen Besucher gehen, um Martins kleine Figur der Heiligen Elisabeth zu entdecken („Annunciata“, 2016). Drehen sie sich um, sehen sie erst jetzt die Arbeiten auf den Rückseiten zweier Stellwände: Martin Kippenbergers berühmten Holzfrosch am Kreuz (1990) und eine schwarzweiße Pietà von Aidan Salakhova (2016).
Man muss also zweimal hinschauen. Staunend berührt Ron Muecks kleine Männerfigur mit dem Titel „Youth“ (2009) den blutigen Schnitt unter ihrem T-Shirt. So verkörpert sie Jesus und den ungläubigen Thomas zugleich – und zwar mit dunkler Haut und schwarzem Haar. Die koreanischen Worte auf Young-Jun Taks Marienfigur „Salvation“ (2016) entstammen Flugblättern, die christliche Fundamentalisten in Seoul auf einer Demonstration gegen Homosexuelle verteilten. Den verkehrt Gekreuzigten von „Reversed Crucifix“ (2016) haben Elmgreen & Dragset nicht an den schwarz lackierten Balken genagelt, sondern mit Seilen festgebunden, als sei er bei einem Bondage-Spiel vergessen worden. Und Mark Wallingers männliche Figur mit der goldenen Drahtkrone, wie sie auch auf dem Trafalgar Square stand, hält die Augen geschlossen. „Ecce Homo“ heißt sie. „Siehe, ein Mensch“, soll Pontius Pilatus gesagt haben, als er dem Volk den gefolterten Jesus vorführte.
Eine ernste Mind Map des neuen Testaments
Klare Linien und rechte Winkel dominieren, sowie Schwarz, Weiß und Braun. Kein ironisches Spiel, sondern eine ernste Mind Map des Neuen Testaments, das Schwarze und Schwule anstelle von Jesus und seinen Jüngern ins Bild rückt. Die Rolle des Pontius Pilatus kommt somit jenen Autoritäten zu, die unter religiösen Vorwänden „die Anderen“ verfolgen. Zeit für den Gang gen Himmel, hoch in den Turm, aus dem das Geläut dringt. Es erklingt in Tacita Deans Film „The Angry Mountain and Lava Beast“ aus dem Jahr 1995, einem poetisch unscharfen 16-mm-Streifen über die Verehrung der Märtyrerin Agatha von Catanien auf Sizilien. Sie soll sich ihrer Verheiratung widersetzt haben, um als Jungfrau in den Himmel zu gelangen. Dean zeigt auch sittsam gekleidete Mädchen, vielleicht Klosterschülerinnen. Sie packen Kopien von Agathas Brüsten in Schachteln – Reliquien, die wie Kunsteditionen verpackt werden. Damit kommt die Ausstellung an ihren Kern: zur historischen Mitschuld von Künstlern an christlich legitimierter Repression. Noch wollen sich Michael Elmgreen und Ingar Dragset nicht zur kommenden Istanbul-Biennale äußern. Zu unsicher wirkt die Situation in der Türkei. Doch betrachtet man ihr Kammerspiel bei König, könnten sie etwas vorbereiten, das an wunden Punkten im Verhältnis von Religion, Politik und Kunst rührt.
St. Agnes, Alexandrinenstr. 118-121, bis 22. 1. , Di–So 11-18 Uhr, 31. 12. geschlossen
Claudia Wahjudi
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