"3 Herzen" mit Charlotte Gainsbourg: Schwaches Herz
Amour fou: Mit "3 Herzen" hat Benoît Jacquot einen Männerfilm gemacht, in dem ein Steuerprüfer und Charlotte Gainsbourg nach dem richtigen Pulsschlag suchen. Doch wer heiratet schon einen Steuerprüfer?
Der Steuerprüfer Marc hat den letzten Zug nach Paris verpasst. Von einem Augenblick auf den anderen sieht er sich ausgesetzt in der Provinz, ausgesetzt sich selbst. So wie er am Tresen der letzten offenen Kneipe in sein Spiegelbild blickt, hat er sich wohl lang nicht mehr angesehen. Der Typ da gefällt ihm nicht. Ist er nicht ein Schon-halb-Verlorener? Da kommt eine Schon-halb-Verlorene (Charlotte Gainsbourg) herein, um Zigaretten zu kaufen. Vielleicht wird sie irgendwann zwischen der 10. und der 15. Zigarette wissen, ob sie mit ihrem Freund nach Amerika gehen soll oder besser nicht. Sie ist schon jetzt dagegen.
Als Sylvie das Lokal verlässt, wird dem Steuerprüfer augenblicklich klar, dass dies die Chance ist, die Nacht nicht in der desillusionierenden Gesellschaft seiner selbst zubringen zu müssen. Man hat den Franzosen Benoît Jacquot („Leb wohl, meine Königin“, „Villa Amalia“) längst schon zum „Frauenregisseur“ promoviert, gar zum Wiedergänger von François Truffaut. Er mag es, seine Geschichten ganz über die Gesichter seiner Schauspielerinnen zu erzählen, und wahrscheinlich lieben sie ihn dafür. Hier ist es das Gesicht von Charlotte Gainsbourg. Aber stimmt das denn?
Benoît Jacquot hat einen Männerfilm gemacht
Ist nicht Marc (Benoît Poelvoorde) das Zentralgestirn des Films? Ja, Benoît Jacquot hat einen Männerfilm gemacht, er wollte nachschauen, ob er das noch kann. Dieser Steuerprüfer ist kein schöner Mann, er besitzt das Charisma seines Berufs, eigentlich hat Marc nur eine Chance bei Frauen: wenn seine Unbeholfenheit ihre Beschützerinstinkte weckt. Doch Benoît Poelvoorde ist ein Ereignis, er gewinnt zwar nie etwas Strahlendes, doch er spielt alle Nuancen von Seelen-Mausgrau bis zur Mausgrau-Ekstase.
Sylvie hat sich bereit erklärt, dem Obdachlosen für eine Nacht ein Hotel zu zeigen, doch als er unterwegs über einer Tür die Hausnummer 47 erblickt, erleidet er fast einen Herzanfall. 47, so alt ist er jetzt, gleich ist alles vorbei, und er hat noch nicht einmal begonnen zu leben. „3 Herzen“ ist ein Film für alle, die zumindest im Kino daran glauben möchten, dass jeden Tag eine Tür zu einem neuen Leben aufgehen könnte und man nur eintreten muss. Der Zufall hat den Platz Gottes eingenommen, er ist die säkularisierte Vorsehung, und Jacquot ist ihr Regisseur.
Charlotte Gainsbourgs zeigt Prä-Freitags-Leichtigkeit
Marc und Sylvie reden eine Nacht lang, nur nicht über sich, sie verabreden sich in letzter Minute, als Marc schon in den Zug steigt: am Freitag um 18 Uhr in Paris, im Jardin des Tuileries. Es ist schön, Charlotte Gainsbourgs Prä-Freitags-Leichtigkeit zuzusehen, plötzlich trägt das Leben. Sie braucht gar nicht mehr alle Zigaretten zu rauchen: Natürlich geht sie nicht nach Amerika. Sie muss das gar nicht aussprechen, es steht in jedem ihrer Blicke. Und dann bleibt sie allein am Freitag um 18 Uhr im herbstblätterraschelnden Jardin des Tuileries. 18.10 Uhr: Kein Ort könnte einsamer sein. Sie ist schon weg, als Marc doch noch kommt.
Er wurde aufgehalten, erst von zwei Chinesen, bei denen er eine Steuerprüfung machen wollte, dann von einem Herzinfarkt. Marc neigt zu Herzrhythmusstörungen.
Irgendwann, vielleicht zwischen der 40. und 60. Filmminute, möchte man „3 Herzen“ zum ersten Mal dieselbe Diagnose stellen. Etwas stimmt nicht mit dem Takt. Dass Jacquot seinen Helden nun ausgerechnet auf Sylvies Schwester (Chiara Mastroianni) treffen lässt, worauf beide bald heiraten wollen, wirkt schon erkältend auf unsere Teilnahme. Und Jacquots Arrangements gewinnen in Folge kaum mehr Raffinesse. Marc hätte Sylvie wohl längst vergessen, wären da nicht die Familienfotos im Haus seiner Schwiegermutter. Natürlich ist Sylvie mit nach Amerika gegangen, jetzt wird sie wohl zur Hochzeit kommen …
„3 Herzen“ fehlt der richtige Pulsschlag
Poelvoorde und Gainsbourg können solche Begegnungen spielen. Aber für eine Amour fou gewinnt „3 Herzen“ nie den richtigen Pulsschlag. Es wird viel gegessen. Das hält keine Amour fou aus. Hauptesserin ist Catherine Deneuve, Mutter der Schwestern. Sie kaut noch, wenn alle anderen schon fertig sind, und wenn sie nicht isst, räumt sie die Teller ab. Was sonst hätte eine Frau ihres Alters noch vor im Leben? Auch ahnt man längst, wie alles endet, aber das dauert noch, lange, zu lange. Nicht nur Marc, auch dieser Film hat zuletzt ein zu schwaches Herz.
In Berlin in drei Kinos
Kerstin Decker
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