Eisner Award für „Gideon Falls“: Schrecken in Stadt und Land
„Gideon Falls“ ist mit einem Eisner Award ausgezeichnet worden. Die auch auf Deutsch erscheinende Comicserie überzeugt unseren Autor bisher allerdings nicht.
In der Nacht zu Sonnabend wurden auf der Comic-Con International in San Diego wieder die Eisner Awards vergeben, die als die wichtigsten Comicauszeichnungen Nordamerikas gelten. Eine (nicht ganz vollständige) vorläufige Siegerliste gibt es unter anderem hier.
Unter den Ausgezeichneten waren mehrere Serien und Einzelveröffentlichungen, die auch auf Deutsch vorliegen und bereits im Tagesspiegel rezensiert wurden. Darunter „Mister Miracle“ von Tom King und Mitch Gerads, „Descender“ (Auszeichnung für Dustin Nguyen als bester Künstler) sowie die englische Ausgabe von Pénélope Bagieus „Unerschrocken“.
Als beste neue Serie wurde Jeff Lemires und Andrea Sorrentinos „Gideon Falls“ ausgezeichnet. Tagesspiegel-Autor Jeff Thoss hat sich die Reihe, deren erster Sammelband kürzlich ebenfalls auf Deutsch erschienen ist, genauer angeschaut.
Manchmal liegt die Originalität einer Geschichte in der Art und Weise, wie sie Gewöhnliches miteinander verknüpft. In Jeff Lemires und Andrea Sorrentinos „Gideon Falls“ (Splitter, Band 1: Die Schwarze Scheune, Splitter, 160 S., 24€) treffen zwei Figuren und Erzählstränge aufeinander, denen man einzeln schon dutzende Male begegnet ist.
Wilfred ist ein katholischer Pfarrer, der nach wiederholten Fehltritten in ein unscheinbares Nest entsandt wird. Gleich in der ersten Nacht wird er von seinem toten Vorgänger geweckt und Zeuge eines bizarren Mordes. Es ist der erste einer Serie in der Kleinstadt, auf der ein Fluch zu lasten scheint.
In der Großstadt streift derweil Norton, ein junger Eigenbrötler, mit Atemmaske umher und durchwühlt Abfalleimer und Müllsäcke. Seiner Psychiaterin Dr. Xu berichtet er von wundersamen Funden, Holzsplittern und rostigen Nägeln, die zu einer schwarzen Scheune gehören sollen, von der er regelmäßig träumt.
Spuk, Verschwörungstheorie oder kollektive Wahnvorstellung?
Hier liegt die Verbindung zwischen den beiden Geschichten, denn die Scheune verfolgt nicht nur Norton, sondern auch Wilfreds neue Pfarrgemeinde. Auf ihr Konto sollen neben den Morden auch eine ganze Reihe anderer Unglücke gehen, die sich in Gideon Falls ereignet haben. Mit eigenen Augen gesehen haben die Schwarze Scheune aber nur wenige.
Spuk, Verschwörungstheorie oder kollektive Wahnvorstellung? Darüber streiten die Einwohner der Kleinstadt ebenso wie Norton und Dr. Xu. Das Mysterium im Zentrum der Serie soll natürlich auch die Leser*innen bei der Stange halten. In diesen ersten sechs Hefte wird es selten spannend, dafür werden Spuren gelegt und Stimmungen erzeugt.
Der Comic überzeugt dort, wo er sich seinen Gegensatz aus Stadt und Land zunutze macht. Wilfred ist von endlosen Feldern umgeben, und doch teil eines engmaschigen sozialen Netzes. Norton bewegt sich durch ein klaustrophobisches Großstadtdickicht und ist mit seinen Gedanken allein.
Die Bausteine für eine ansprechende Serie sind vorhanden
Lemire und Sorrentino gestalten die Seiten zumeist mit wenigen, vertikal arrangierten Panels. Wenn die Schwarze Scheune auftaucht, überraschen sie jedoch mit ausgefallen, selbstreflexiven Layouts, die bei Grant Morrison nicht fehl am Platz wären. Lob gebührt insbesondere dem Koloristen Dave Stewart, dessen herbstliche Farbpalette und knallrote Sprengsel die Atmosphäre von „Gideon Falls“ bestimmen.
Die Bausteine für eine ansprechende Serie sind alle vorhanden, aber unbedingt lesenswert ist dieser erste Band noch nicht. Dafür ist das Tempo zu zäh und viele Szenen und Nebenfiguren – gerade in der Kleinstadt – zu klischeebeladen.
Man muss darauf vertrauen, dass die vielfach ausgezeichneten Schöpfer von „Gideon Falls“ dem Comic in Zukunft mehr Rasanz und mitreißende Momente verleihen.
Jeff Thoss
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