Romandebüt von Miranda July: Schlag mich, küss mich, lieb mich
Die Filmemacherin, Künstlerin und Autorin Miranda July bringt ihren ersten Roman heraus: „Der erste fiese Typ“ ist schräg-schön - und ein bisschen queer.
Sie müffelt und mampft. Trinkt literweise Diätcola. Ihr Sofa-Lager mit Blick auf den Fernseher besteht aus einem lila Schlafsack und einem großen Blumenkissen. Hier hängt die 20-jährige Clee den ganzen Tag ab und kümmert sich nicht darum, dass sie nur zu Gast in diesem Wohnzimmer ist. Einquartiert von ihren Eltern, die die Vorgesetzten von Hausherrin Cheryl sind. Die konnte schlecht nein sagen zu diesem Arrangement, schließlich kennt sie die beiden schon ewig, arbeitet seit den Anfangstagen für deren Firma.
Cheryl missfällt die Anwesenheit dieses blonden, vollbusigen Eindringlings, denn durch Clee gerät ihr Ordnungssystem durcheinander. Es beruht auf dem Prinzip, dass möglichst kein Gegenstand weit von seinem ursprünglichen Platz entfernt werden darf. Die Ich-Erzählerin erklärt es so: „Und wenn Sie schon irgendetwas irgendwohin tragen, nehmen Sie auf jeden Fall alles mit, was in dieselbe Richtung muss. Die Sachen bilden sozusagen eine Fahrgemeinschaft.“ Wenn es richtig gut laufe, berichtet sie weiter, verschaffe ihr das System „ein fließendes Lebensgefühl“, nach mehreren Tagen allein laufe alles so geschmeidig, dass sie sich nicht mehr spüre. Als existiere sie gar nicht.
Cheryl führt imaginäre Dialoge mit Babys
Dass es sich bei dieser 43-jährigen Kalifornierin um eine sehr einsame und sehr seltsame Frau handelt, ist schon nach zwei Kapiteln von Miranda Julys Debütroman „Der erste fiese Typ“ klar. Darin erfährt man nicht nur von ihrem häuslichen Minimalismus, sondern auch von ihrer langjährigen heimlichen Liebe zum 22 Jahre älteren Phillip, von ihrem Gefühl ständig einen Kloß im Hals zu haben (Fachbegriff: „Globus hystericus“) und von ihrer eingebildeten telepathischen Verbindung zu einem Baby namens Kubelko Bondy. Als Kind hatte sie den Jungen für einen kurzen glücklichen Moment in ihren Armen gehalten. Seither erkennt sie ihn immer wieder in anderen Babys und führt im Kopf imaginäre Dialoge mit ihnen.
Cheryl Glickman ist in ihrer grenzneurotischen Verschrobenheit eine geradezu prototypische Miranda-July-Figur, die auch aus einer ihrer Kurzgeschichten oder Filme stammen könnte. Darin wimmelt es von schrägen Gestalten. Einige davon hat die 1974 geborene Künstlerin sogar selbst verkörpert. So spielte sie in ihrem liebevollen Episodenfilm „Ich und du und alle die wir kennen“, mit dem sie vor zehn Jahren bekannt wurde, die Rolle einer schrulligen Performancekünstlerin, die sich in einen ebenfalls äußerst eigenwilligen Schuhverkäufer verliebt. Die beiden sind von einer großen Sehnsucht nach Nähe erfüllt und haben viel Fantasie, doch mit ihren Mitmenschen zu kommunizieren fällt ihnen schwer.
Gleiches galt für viele Figuren aus Julys wunderbarem Kurzgeschichten-Band „Zehn Wahrheiten“ (2008). Träume und imaginierte Szenarien sind ihnen oft wichtiger als die Realität: Ein Mädchen verliebt sich in einen geheimnisvollen Schatten, eine Senioren-Gruppe macht einen Wohnzimmer-Trockenschwimmkurs, ein abgestumpftes Ehepaar findet durch seine Statistenszene in einem Film wieder zueinander.
In den nuller Jahren stieg Miranda July, die nicht zu Unrecht mit Kollegen wie David Sedaris, Spike Jones oder Paul Thomas Anderson verglichen wurde, zu einem Independent-Star auf, gewann diverse Preise, wurde von Kritik und Kollegen gelobt. Einige ihrer Performances und Videos schafften es ins MoMa und ins Guggenheim Museum. Und sie heiratete den nicht minder coolen Filmemacher Mike Mills. So viel Hipness kann auf die Dauer aber auch wieder nerven, genau wie die clevere Verspieltheit ihrer Werke. An diesen Punkt kamen viele Zuschauer 2011, als in Julys letztem Spielfilm „The Future“ eine sprechende Katze und ein tanzendes T-Shirt zentrale Rollen spielten.
Die Frauen denken sich ausgefeilte Prügelszenarien aus
Dass nun eine Weile kaum etwas von der in L.A. lebenden Künstlerin zu hören war – sie bekam ein Kind und schrieb den Roman –, verhilft ihrem Romandebüt nun zu einem frischen Start ohne Überdosierungsgefahr. Allerdings hätten ein paar Verschrobenheitsschnörkel weniger dem Roman durchaus gutgetan. Ekel-Motive wie eine Schneckenplage in Cheryls Haus oder das Toilettenproblem einer Heilpraktikerin sind erzählerische Angeberei, die weder zur Figurenzeichnung, der Handlung oder dem Setting etwas Entscheidendes beitragen.
Der Plot ist ohnehin schon aufregend genug. Er nimmt abenteuerliche Wendungen, je länger Clees Aufenthalt bei Cheryl dauert. So geraten die beiden irgendwann nicht mehr nur verbal aneinander, sondern beginnen, sich regelmäßig zu prügeln. Für dieses Ritual denken sie sich immer ausgefeiltere Angriffsszenarien aus. Was die Jüngere von den Kloppereien hat, bleibt unklar. Für Cheryl ist es himmlisch, sie fühlt sich anschließend locker, spürt überall ein Kribbeln. Und der Kloß in ihrem Hals ist weg. Clee hat ihn buchstäblich aus ihr rausgeprügelt.
Clee wird zu Cheryls Kurzzeit-Geliebter
Auch Schläge sind Berührungen – das größte Defizit in Cheryls Leben. Von daher verwundert es nicht, dass diese Frau, über deren Herkunft man fast nichts erfährt, auch dann noch auf Clee fokussiert bleibt, als die häuslichen Schlägereien ausbleiben. Wie Miranda July es nun gelingt, die Jüngere erst zu einer Sexfantasie, dann zur Ersatztochter und schließlich zur Kurzzeit-Geliebten ihrer Protagonistin werden zu lassen, ist eine beachtliche Leistung der Autorin. Zumal diese Entwicklung, während der Clee obendrein noch ein Baby zur Welt bringt, vollkommen organisch und plausibel wirkt.
Dass man Cheryls Weg gebannt verfolgt, liegt an der Nähe zu ihr, die July geschickt aufgebaut hat. Wegen all ihren Ticks und Schrulligkeiten schließt man sie zwar nicht sofort ins Herz. Doch je deutlicher die sie umgebende Wohlstandsverwahrlosung zutage tritt, desto sympathischer wird sie. Ihr Angebeteter Phillip beispielsweise wünscht sich Sex mit einer Minderjährigen, wofür er bei Cheryl per SMS um Erlaubnis bittet – er hält sie für eine feministische Instanz.
Der immer wieder aufblitzende absurde Humor und Julys Talent zu prägnanten, schillernden Formulierungen befördern ebenfalls die Sympathiewerte von Cheryl, die über ihr Verhältnis zu Clee einmal auf entwaffnende Weise sagt: „Jeder, der daran zweifelt, wie viel Erfüllung einem eine Freundin geben kann, die nicht die Hellste ist und halb so alt wie man selbst, hat noch nie eine gehabt.“
Dass „Der erste fiese Typ“ so rund und mitreißend geworden ist, liegt sicher auch daran, dass July einige Typen und Themen – die Anziehung zwischen Menschen aus verschiedenen Generationen, das Begehren zwischen Frauen – schon häufiger in Filmen und Kurzgeschichten angespielt hat. So wirkt Cheryl wie eine Seelenverwandte von Deborah aus der Story „Geschichtenerzählen für Kinder“, die ein ähnlich kompliziert-intimes Verhältnis zu einer Ziehtochter hatte wie sie. Zwei Herzenseinsame in der großen Stadt – vielleicht treffen sie sich irgendwann mal. Miranda July hätte da sicher schon ein paar hübsch skurrile Ideen.
Miranda July: Der erste fiese Typ. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Stefanie Jacobs. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015, 336 S., 19,90 €.
Nadine Lange
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