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Die Kunst des Kompromisses. Blick in die Ausstellung „Der Konsens“ – rechts die simulierte Hörkammer der Hanse.
© Hansemuseum/Olaf Malzahn

Europäisches Hansemuseum Lübeck: Der Konsens - was die Hanse mit der EU verbindet

Die Ausstellung „Der Konsens. Europas Kultur der politischen Entscheidung“ im Europäischen Hansemuseum Lübeck zeigt ein wichtiges Erbe

Lübeck 1518. Die ganze Stadt ist in heller Aufregung – es ist Hansetag. Delegationen aus vielen Hansestädten ziehen mit Pomp und Gloria ins Zentrum. Und genauso soll es sein. Denn schließlich repräsentieren die Abgeordneten ihre Städte – es geht um Macht und Ansehen. Ein Hansetag ist das zentrale Organ der Kaufleute, Abgeordnete der Hansestädte kommen bei Beratungsbedarf zusammen, um wirtschaftliche, politische und rechtliche Fragen zu klären. Lübeck als mächtige Stadt des Bundes ist 1518 der Gastgeber, getagt wird im Obergeschoss des Lübecker Rathauses, aber auch in den Sitzungssälen im Erdgeschoss.

500 Jahre später in Brüssel ist die Aufregung vielleicht nicht ganz so groß, aber wenn der Europäische Rat der Europäischen Union in der belgischen Hauptstadt tagt, wie zum Beispiel am 14. und 15. Dezember 2017, wird auch der Verkehr lahmgelegt, werden U-Bahnhöfe gesperrt, lauern Bildreporter am Eingang, um die Ankunft der Staats- und Regierungschefs zu fotografieren und aus Details und kleinen Gesten etwas herauszulesen. Natürlich wissen die Staatschefs, dass diese Bilder um die Welt gehen. Insofern hat sich in 500 Jahren nicht viel verändert, nur die Anreisezeiten sind wohl kürzer geworden.

Was verbindet den Hansetag von 1518 mit der Sitzung des Europäischen Rats im Dezember 2017? Dem geht die Ausstellung „Der Konsens. Europas Kultur der politischen Entscheidung“ im Europäischen Hansemuseum in Lübeck nach. Der Ort ist ausgezeichnet gewählt, denn schon das Museum mit seiner wunderbaren international zusammengesetzten Dauerausstellung zur Geschichte der Hanse ist europäisch ausgerichtet. Die Sonderausstellung zeigt mit relativ einfachen Mitteln, dass es faszinierende Parallelen in der politischen Entscheidungsfindung gibt.

Eigentlich waren die Verhandlungen vertraulich

Das Farbkonzept der Ausstellung erleichtert den Besuchern die Orientierung – alles, was in Magenta gehalten ist, bezieht sich auf die Hanse, und Blau ist für die Europäische Union reserviert. Die große Europakarte am Eingang zur Ausstellung dokumentiert eindrucksvoll die europäische Dimension der Hanse – von dem Kontor in Brügge bis zu dem in Nowgorod.

Die Beschlüsse des Hansetages wurden in sogenannten Rezessen (landesrechtliche Vergleiche) festgehalten und in Lübeck archiviert. Wie die Entscheidungen zustande kamen, ist nicht Gegenstand dieser Werke. Dazu muss man auf Berichte und Erinnerungen der Delegationsmitglieder zurückgreifen. Eigentlich waren die Verhandlungen vertraulich. Veröffentlicht wurden die gesammelten Rezesse später im 19. Jahrhundert.

Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates werden in 24 Sprachen veröffentlicht. Sie werden vom Präsidenten des Rates als Entwurf vorbereitet, und dann von den Mitgliedern korrigiert. Am Ende steht in der Regel ein einstimmiger Beschluss. „Soweit in den Verträgen nichts anderes festgelegt ist, entscheidet der Europäische Rat im Konsens“, heißt es in Artikel 15, Absatz 4 des Vertrages über die Europäische Union. Fünf DIN-A4-Seiten des Europäischen Präsidenten vom 14. Dezember 2017 liegen neben einer Kopie des Hanserezesses von 1518 in der Vitrine, europäische Konsensbildung im Vergleich.

In der „Hörkammer“ wurden Konflikte gelöst

Diese übereinstimmende Meinung war schon im Mittelalter als Mittel der politischen Willensbildung fest verankert – „Nil de nobis sine nobis – nichts über uns ohne uns“ lautete das Motto. Die Hanse hat sich das zu eigen gemacht. Manchmal hat sich so ein Hansetag dadurch so lange hingezogen, bis alle Entscheidungen gefallen waren. Das dauerte in der Regel etwas mehr als einen Monat.

Wurde eine Entscheidung einstimmig gefällt, so geschah das dann in „Eintracht“. Alternativ wurden strittige Themen ausgeklammert und einem Ausschuss übergeben. Außerdem gab es neben dem Hansesaal im Lübecker Rathaus eine sogenannte „Hörkammer“, in der individuell nach Lösungen gesucht wurde.

In der Europäischen Union kennt man das „Beichtstuhlverfahren“, in dem der EU-Präsident sich die widerspenstigen Staatschefs zur Seite nimmt und unter vier Augen bearbeitet, um einen Weg zum Konsens zu finden. Das lässt sich in der Ausstellung in einer Hörkammer hinter geschlossenem Vorhang nachvollziehen. Helmut Kohl soll übrigens kleine Kaffeerunden vor entscheidenden Sitzungen bevorzugt haben, um strittige Fragen zu diskutieren. Davon zeugt eine kleine Sitzgruppe.

Bedeutend waren damals wie heute informelle Treffen. 1518 spielten gemeinsame Kirchgänge und Abendessen eine große Rolle bei der Konsensfindung. Bei den Arbeitsessen der EU geht es abends weniger um gepflegte Dinner, sondern um die Vorbereitung der Lösung heikler Probleme.

Der Konsens gehört zum europäischen Kulturerbe

An runden Tischen können die Besucher sich an großen Bildschirmen in die Thematiken des Hansetages und der EU-Ratssitzung vertiefen, um die Konsensbildung nachzuempfinden. Vertraulichkeit war 1518 ein hohes Gut, die Ratssitzungen waren geheim und dennoch gab es immer wieder Lecks, als etwa Münster, das nicht anwesend war, erfuhr, dass es ausgeschlossen werden sollte und dann doch anreiste, wenn auch verspätet.

Auch in der EU gilt die Regel der Verschwiegenheit, doch „das Smartphone ist der Tod der Vertraulichkeit“, heißt es im Museum. Am Ende der Dauerausstellung im Untergeschoss befindet sich eine angedeutete Nachbildung des Lübecker Ratssaales. Besucher können auf den Ratsbänken Platz nehmen und den Diskussionen lauschen.

Der Konsens gehört zum europäischen Kulturerbe, er stärkt die Gemeinschaft, Freiheit und Demokratie. Er schützt die Kleinen, die allein chancenlos wären. Das zeigt sich jetzt in Europa, das nun in einer Zeit der wachsenden Bedrohungen wieder mehr zur Erkenntnis gelangt, dass eine Konsenslösung am Ende allen nützt.

Europäische Hansemuseum Lübeck, noch bis 10. Juli. www.hansemuseum.eu

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