Einstürzende Neubauten im Tempodrom: Schlag auf Schlag
Entwaffnend: Die Einstürzenden Neubauten stellen im Berliner Tempodrom ihr Album "Lament" vor, das sich mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigt.
Den Ersten Weltkrieg zum Thema eines Albums und einer Konzerttournee zu machen, birgt gerade für die Einstürzenden Neubauten Gefahren: Da die Erzeugung von Lärm zu den Kernkompetenzen der Berliner Band gehört und maßgeblich dazu beigetragen hat, ihren weltweiten Ruf als radikale Erneuerer der Popmusik zu zementieren, hätte sie versuchen können, mit ihrem infernalisch-markenzeichenhaften Industrialrock den Schlachtenlärm zu vertonen.
Doch genau diesen billigen Mimikry-Effekt habe man vermeiden wollen, wie Neubauten-Sänger und -Chefdenker Blixa Bargeld in Interviews zur Platte betont. Zumal man in der akribischen Vorbereitung auf etliche, aus den zwanziger Jahren stammende Aufnahmen gestoßen sei, auf denen das versucht wurde: den Klang des noch nicht auf Tonträgern festgehaltenen Kriegsgeschehens zu imitieren. Die Ergebnisse seien schrecklich, erklärt Bargeld nun im ausverkauften Tempodrom – ehe er dann doch ein eher absonderliches Dokument nachstellt. „Der Beginn des Weltkriegs 1914 (dargestellt unter Zuhilfenahme eines Tierstimmenimitators)“, ein skurriles Werk von 1926, in dem Bargeld als Gans, Kuh oder Hund den Vorbeizug eines Regiments kommentiert.
Bis zur Aufführung dieser heiteren Schnurre hat man mit den Neubauten schon anderthalb Stunden im Schützengraben verbracht. Verstärkt durch ein zwischen Neubauten-typischem Schlagwerk kauerndes Streichquartett, arbeitet sich das Quintett auf hohem intellektuellem Niveau am Thema ab. Mit erstaunlichen, zum Teil brillanten Ergebnissen.
Ist der Opener „Kriegsmaschinerie“ noch illustrativ im Sinne eines martialisch anschwellenden Kettengerassels und Blechgescheppers, zu dem Bargeld wie im Brecht’schen Theater Texttafeln hochhält, so ist „Hymnen“ von entwaffnender Doppelbödigkeit. Die Hymnen verfeindeter Nationen wie Deutschland („Heil dir im Siegerkranz“) und Großbritannien („God save the King“) überblenden zum überraschend harmonischen Choral.
Das Getrommel entwickelt einen hypnotischen Sog
Noch besser: „Der 1. Weltkrieg (Percussion Version)“, eine mathematische Komposition, bei der Alexander Hacke, N.U. Unruh und Rudolf Moser nach strengem Muster auf Plastikröhren herumklöppeln. Jede symbolisiert eine der am Krieg teilnehmenden Nationen, jeder Schlag einen Tag des Krieges. Alle paar Minuten tritt Blixa Bargeld ans Mikro und markiert mit sonorer Stimme ein weiteres vergangenes Kriegsjahr. Das Getrommel entwickelt einen hypnotischen Sog, doch nach einer guten Viertelstunde ist man froh, dass sie nicht den Dreißigjährigen Krieg zum Thema gemacht haben.
Zu den Höhepunkten gehören die beiden Songs der Harlem Hellfighters, der ersten afroamerikanischen Kampfeinheit. Aus deren Reihen ging eine legendäre Protojazz-Band hervor, die kurz nach Kriegsende zerbrach, weil der Schlagzeuger im Eifersuchtsaffekt den Bandleader erstochen hatte. Vor allem ihr „All Of No Man’s Land Is Ours“ ist ein ergreifende Kummerballade, die die bärbeißigen Neubauten so inbrünstig intonieren wie ein Shantychor, der gerade mit Betonschuhen im Hafenbecken versenkt wird. Auch groß: der Antikriegsklassiker „Sag mir, wo die Blumen sind“, den Blixa in der Version von Marlene Dietrich interpretiert – stilecht im aus Papier nachgebastelten Marlene-Glitzerfummel.
Das alles ist natürlich ein ziemlicher Brocken, vor allem für Fans, die sich nicht über das Programm schlaugemacht haben. So werden denn auch die beiden „klassischen“ Songs im Zugabenblock erleichtert bejubelt, mit denen die Einstürzenden Neubauten beiläufig feststellen, dass sie selbstverständlich immer noch die Allerheftigsten sind, wenn sie nur wollen: das Urmeter des deutschen Lärmrocks, gegen das Rammstein und Konsorten wie Kindergartencombos klingen.
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