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Chinesische Provokation. Szene aus der Eröffnungsshow „Ishvara“.
© dpa

"Theater der Welt"-Festival in Hamburg: Schlafen am Hafen

China, Südsee und ein Holzhaus an der Elbe: zum Auftakt des Festivals Theater der Welt in Hamburg dreht sich alles um die Themen Meer und Migration - bisher ohne große Überraschungen.

Er ist Umschlagplatz für den weltweiten Verkehr von Menschen, Kulturen und Waren, ein Ort der Ankunft und des Aufbruchs: der Hafen. Beim Festival Theater der Welt, das noch bis 11. Juni in Hamburg läuft, gehört der Hafen zu den Brennpunkten. Alle zwei, drei Jahre findet das vom Internationalen Theaterinstitut vergebene Festival in einer anderen deutschen Stadt statt. 2014 war es Mannheim, davor Essen und Mülheim an der Ruhr. Ein für Hamburg charakteristisches Motto war also Pflicht.

Der Hafen ist da schrecklich naheliegend und an sich ja gar nicht originell, gibt Joachim Lux, Intendant des Thalia Theaters und einer der vier Kuratoren, offen zu. Es ist ein dankbares Thema, ergänzt die Theatermacherin und Kampnagel-Leiterin Amelie Deuflhard. Denn unter dieser Überschrift konnten die Veranstalter so unterschiedliche Künstler wie die syrisch-armenische Sängerin Lena Chamamyan oder die niederländische Performancegruppe Wunderbaum einladen. In ihren Arbeiten umkreisen sie die Themen Meer, Migration, Kreuzfahrt.

Tianzhuo Chen, der mit „Ishvara“ auf Kampnagel das Festival eröffnet hat, passt zwar nicht unbedingt in dieses Themenspektrum. Der Querulant der chinesischen Kunstszene fällt eher in die Kategorie Asien-Import, was ja auch ein wenig mit dem Thema Hafen zu tun hat. Bereits bei den Wiener Festwochen war seine überladene und zugleich oberflächliche Arbeit durchgefallen. Statt einer angekündigten „Neudefinition des Genres Oper“ machen sich zweieinhalb Stunden Langeweile breit mit einer kruden Mischung aus Kitsch und platter Provokation, überdimensionale Gummipuppen, Kunstblut und nackte Körper inklusive.

Ein bisschen Blut, viel Wasser, noch mehr Menschen

Die zweite Eröffnungsproduktion, „Die Gabe der Kinder“, ein Musiktheaterabend von Lemi Ponifasio und seinem Ensemble MAU aus Samoa, findet im Hafen statt. In einem ehemaligen, 9 000 Quadratmeter großen Kakaospeicher weihen trauerschwarz gekleidete Frauen chorisch singend den Raum.

Allmählich entwickelt sich daraus ein Ritual mit ein bisschen Blut, viel Wasser (das bewirkt auf dem staubigen Boden schöne Raum- und Lichteffekte) und noch viel mehr Menschen. Am Ende schreiten etwa 200 Menschen – Sänger, Chormitglieder, ambitionierte Laien, Kinder, Jugendliche, Samoaner – durch den gigantischen Raum. Nach zunächst live gesungenen Klageliedern aus irritierender Südseeferne mündet der Abend dann in einer Zuspielung aus der Konserve. Dass die archaisch anmutende Aufführung als „Gebet der Kinder für unsere Menschlichkeit“ zu verstehen ist, erzählt der Abend sehr deutlich. Hin und her gerissen zwischen pathetischem Ritualzauber und überzogenem Kitschschauder, erkennt man schließlich gern die in ihrer Rohheit belassene Halle als Hauptsache.

Ebenfalls in der ersten Festivalwoche: „The Song of Roland“ von Wael Shawky. Mit Fidjeri-Musikern interpretierte der ägyptische Künstler das blutrünstige christliche Heldenepos aus dem Mittelalter neu, während das Paper Tiger Theater Studio aus China mit „500 Meters“ eine Annäherung an Kafkas Text „Beim Bau der chinesischen Mauer“ versuchte.

Der Hamburger Hafen soll selbst zum Spielort werden

Zu den zahlreichen Gastspielen, internationalen Koproduktionen und Weltpremieren steuert das Thalia Theater selbstbewusst einige Eigenproduktionen bei. Neben thematisch naheliegenden, wenn auch etwas älteren Inszenierungen wie „Moby Dick“ in der Regie von Romero Antú Nunes oder dessen jüngster Arbeit, dem grandiosen Schauspielerduell „Die Odyssee – eine Irrfahrt nach Homer“ mit Thomas Niehaus und Paul Schröder reiht sich auch die plakativ geratene „Weber“-Inszenierung von Kornél Mundruczó ins Festivalprogramm ein.

Und natürlich soll neben dem Thalia Theater und den Kampnagel-Hallen der Hamburger Hafen selbst zum Spielort werden. Zum Beispiel auf dem Kulturschiff MS Stubnitz oder bei Veranstaltungen in und um das mit Rollrasen, Festzelten und Palettensofas angelegte Festivalzentrum namens Haven. Dort, am Ufer der Elbe, haust fünf Tage lang ein Mann, verkörpert von dem Schauspieler Christoph Finger. Er bewohnt ein Holzhaus, genauer, die Installation „The Time between us“ von Fernando Rubio.

Der argentinische Künstler hat diesen „Ort der Kontemplation“ entworfen zum Nachdenken über die Zeit, die als Fluss – also als Elbe – vorbeifließt, als Sammelbecken für Geschichten. Geöffnet für täglich mehrere Stunden lädt der Mann ein, „Zeit und Raum mit seinen Gästen zu teilen“. Aber wehe, man klopft zur falschen Zeit an der Tür. Doch auch der Besuch der angekündigten, öffentlichen Programmpunkte „Abendessen“ und „Er lädt ein paar Leute ins Haus ein, die ihm etwas vorlesen sollen“ endet jäh vor verschlossenen Türen und schwarz verhängten Fenstern.

Ausgewanderte erzählen im Schiffscontainer ihre Geschichten

Immerhin erweisen sich die maritimen Touren der Australier Madeleine Flynn und Tim Humphrey als spielerische Reise auf den Gewässern der Stadt, mit hübsch inszenierten Nebenschauplätzen und irritierenden Koinzidendenzen am Ufer. Allerdings hätten eine genauere Textauswahl und vor allem ein Blick in den Tidekalender dieser charmanten Arbeit deutlich sehr geholfen.

Weitere ortsspezifische Aufführungen folgen: etwa die virtuelle Reise „Sanctuary“ des südafrikanischen Regisseurs Brett Baily zu Geflüchteten oder die Performance-Installation „Moving People“ der Brasilianerin Christiane Jatahy, bei der Ausgewanderte und Reisende in einem Schiffscontainer ihre – erfundenen? – Geschichten erzählen. Noch hat das Festival mit dem Theater der Welt Zeit genug, zu überraschen, zu irritieren und auch den Hafen zu erkunden. Bisher war er nur Kulisse mit Kränen.

Katrin Ullmann

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