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Ilan Ronen mit Tochter Yael und Sohn Michael im Maxim Gorki Theater.
© DAVIDS

Die Theaterfamilie Ronen: „Schaut her, wir sind hier!“

Die Ronens sind eine jüdische Künstlerdynastie: Vater Ilan leitet eine Bühne in Tel Aviv und inszeniert nun in Berlin, wo auch seine Kinder Yael und Michael am Theater arbeiten. Ein Familientreffen.

In den Weddinger Uferstudios drängen sich die TV-Teams. Im Studio 6 probt der israelische Regisseur Ilan Ronen gerade mit einem deutschen Ensemble das bitterkomische Generationendrama „Eine Familie“ von Tracy Letts (letztes Jahr im Kino, unter dem Titel „Im August in Osage County“ mit Meryl Streep und Julia Roberts). Ein freies Projekt mit bekannten Gesichtern: Annette Frier, Felix von Manteuffel, Ursula Karusseit, Friederike Kempter kennt man aus dem Fernsehen. Annette Frier spielt Barbara, die älteste der drei Schwestern und knallt Jan Messutat gerade eine rabiate Selbstbezichtigung an den Kopf: „Innerhalb von neun Stunden habe ich meine Mutter und meine Tochter physisch angegriffen. Wenn du noch ein wenig hierbleibst, schneide ich dir den Penis ab.“

Ilan Ronen begegnet dem Trubel mit stoischer Ruhe. Der Regisseur, 1948 im Kibbuz Ein-Gev geboren, kann auf eine lange Theaterkarriere zurückblicken. Seit 2004 leitet er das Habima National Theatre in Tel Aviv. „Eine Familie“ ist seine erste Regiearbeit in Berlin.

In Deutschland zu inszenieren, ist für ihn keineswegs selbstverständlich. „Ich bin mit gemischten Gefühlen nach Berlin gekommen – wegen unserer gemeinsamen komplizierten Geschichte“, sagt er. Das Pulitzer-Preis-gekrönte Stück, das er jetzt fürs Theater am Kurfürstendamm probt, hat Ronen bereits in Israel aufgeführt. Es stellt grundsätzliche Fragen, findet er. „Können wir über die Zukunft unserer Kinder und Enkel entscheiden? Und wie beeinflussen die Sünden der Vergangenheit die nächste Generation?“

Ilan Ronens Kinder sind nach Berlin gezogen - wie viele junge Israelis

Die Schauspieler ermutigt er, das Stück sehr persönlich zu nehmen. „Ich liebe Schauspieler! Und ich erforsche sie, wie auch mich selbst. Als Regisseur greife ich auf meine eigenen Erfahrungen zurück – als junger Mann, als Vater und als Großvater.“ Aber nicht nur die Darsteller öffnen sich und erzählen von ihrer eigenen Geschichte. In Berlin treffe er öfter auf Menschen, die ihm ihr Inneres offenbaren, stellt Ronen ein wenig überrascht fest.

Das Thema Familie beschäftigt Ilan Ronen nicht nur auf der Bühne. Denn in Berlin leben auch seine beiden Kinder. Yael Ronen ist Hausregisseurin am Maxim Gorki Theater und hat das Profil des Hauses entscheidend mitgeprägt. Bekannt wurde sie mit „Dritte Generation“, einer gemeinsamen Produktion des Habima Theaters und der Schaubühne. Michael, der zunächst am Ballhaus Naunynstraße inszeniert hat, forscht am Gorki an neuen Erzählweisen. In „Soldaten“ erzählt er, wie die Kriege die Biografien der Ronen- Männer bestimmt haben.

Gelegenheit für ein Familientreffen: Michael zeigt seinem Vater „Infarm“, eine grüne Oase mitten in Kreuzberg. Sein Freund Erez Galonska betreibt hier Indoor-Farming, das futuristische Gewächshaus samt Café ist ein Treffpunkt für junge Israelis in Berlin.

Die junge Berliner Künstlerszene begeistert Ilan Ronen, gerade weil sie so kosmopolitisch ist. Und er kann durchaus nachvollziehen, warum es so viele junge Israelis hierherzieht. Michael und Yael fühlen sich besonders in Kreuzberg und Neukölln mit ihren vielen Migranten heimisch. Mit Blick auf die Pariser Anschläge sagt Ilan Ronen: Der interkultuelle Dialog, wie er am Gorki praktiziert wird, müsse in Zukunft verstärkt werden. Dass seine Kinder den Austausch suchen mit Künstlern aus Palästina und dem Mittleren Osten, findet er ermutigend.

Wenn man Sohn Michael fragt, ob er sich als Jude in Berlin nun stärker bedroht fühlt, betont er: „Ich habe mehr Angst vor ,Pegida‘.“ Grenzen überschreiten die Ronens nicht nur in ihrer Kunst. „Wir sind eine sehr internationale Familie geworden“, erzählt Ilan. „Meine Tochter ist mit einem palästinensischen Schauspieler verheiratet, Michael ist mit einer deutschen Dramaturgin liiert.“

Yael und Michael sind im Theater aufgewachsen und haben die Leidenschaft ihrer Eltern geerbt. Ilan erzählt eine Anekdote aus der Zeit, als er in Jerusalem das Khan Theatre leitete. Seine Frau, die Schauspielerin Rachel Hafler, musste für eine Kollegin einspringen. Geprobt wurde eine Vergewaltigungsszene und der Vater war besorgt, dass seine vierjährige Tochter das Spiel für Realität halten würde. „Ich weiß, dass es nicht echt ist“, beruhigte die ihren Vater. Den furchtlosen Blick auf das Theater hat sie noch heute.

„Meine Arbeitsweise wurde dadurch geprägt, dass ich meinem Vater bei den Proben zugeschaut habe“, unterstreicht Yael. Ihr Markenzeichen ist ein provokanter Humor. Der zeichnet auch das Stück „Hakoah Wien“ aus, für das sie die Geschichte ihres Großvaters recherchiert hat. Dafür hat sie eine Art Familienaufstellung durchgeführt. Sie bat ihren Vater, die Rolle des Großvaters, der Fußballer im jüdischen Verein „Hakoah Wien“ war, einzunehmen und mit Michael, der als Schauspieler mitwirkt, einen Dialog zu improvisieren. Der Disput ist dann in die Inszenierung eingeflossen.

"Wir haben unsere jüdische Identität nicht verloren."

Sich auf die eigenen Wurzeln zu besinnen, das ist allen Ronens wichtig. Der Großvater ist denn auch präsent beim Generationendialog, der sich in einem Kreuzberger Restaurant entspinnt. Er war ein überzeugter Zionist. 1936 emigrierte er mit seinen Geschwistern nach Palästina, gegen den Willen seines Vaters. „Sein Traum war es, eine neue demokratische Gesellschaft aufzubauen“, erzählt Ilan. „Ein Kollektiv, wo jeder sich um den anderen kümmert.“ Yael ergänzt: „Er musste mitansehen, wie der Traum zerbrach. Denn die Gesellschaft, die er sich erhoffte, wurde nie Wirklichkeit.“

Die Enkel leben zwar in der selbst gewählten Diaspora, doch sie tragen die Ideen des Großvaters weiter. „In gewisser Weise führen wir sein Erbe fort“, erklärt Michael. „Wir untersuchen die Idee des Kollektivs, die Idee von Gemeinschaft. Wir haben die jüdische Identität nicht verloren.“

Sie empfinde heute eine ähnliche Zerrissenheit wie der Großvater, sekundiert Yael. „Er hatte eine Hassliebe-Beziehung zur deutschen Kultur. Seinen Pass warf er weg, aber er besuchte Wien jedes Jahr und hörte zu Hause Mozart. Auch wir als Israelis im selbst gewählten Exil verspüren heute eine Ambivalenz. Wir haben Israel verlassen, weil wir sehr kritisch eingestellt sind. Aber wir sprechen obsessiv über das Thema und analysieren es in unserer Arbeit.“

Starke Familienbande

Yael und Michael haben heute österreichische Pässe. Dem Großvater würde das nicht gefallen, meint Ilan. Doch als seine Kinder 2013 für „Hakoah Wien“ mit dem Nestroy-Preis ausgezeichnet wurden, war der Vater sehr bewegt. Für ihn ist dies eine politische Botschaft: „Schaut her, wir sind hier! Wir sind Teil euer Kultur und werden sie auch weiterhin beeinflussen, so, wie wir es vor 1939 getan haben.“ Ein Glück für das deutschsprachige Theater!

Tief in der Familiengeschichte zu graben, das ist zugleich Selbstvergewisserung und Geschichtsaufarbeitung – und gehört zu ihrer künstlerischen DNA. „Einer der wenigen Vorteile, ein Jude zu sein, ist es, dass du eine traumatische Geschichte mit dir herumträgst, aber es ist eine Geschichte, die es lohnt, davon zu erzählen“, erklärt Yael.

Die Familienbande, sie sind stark. Und so hofft Ilan Ronen, dass seine Kinder nicht für immer im Exil leben. „Ich wünsche mir, dass Yael und Michael nach Israel zurückkehren und dort arbeiten. Sie sollen ihre Kritik dort äußern, um etwas zu verändern.“

Der Traum von einer Gesellschaft, in der Menschen unterschiedlicher Kultur und Religion friedlich zusammenleben, er verbindet alle Ronens. Und natürlich der wunderbare Humor. Ronen ist nämlich das hebräische Wort für Fröhlich.

„Eine Familie“ hat am 22. 1. im Theater am Kurfürstendamm Premiere.

Sandra Luzina

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